Am berühmtesten ist wohl sein Gedicht «Von guten Mächten», das Dietrich Bonhoeffer Ende 1944 im Kellergefängnis der Geheimen Staatspolizei in der Prinz-Albrecht-Strasse in Berlin schrieb. Über kirchliche Kreise hinaus wird sein Name heute kaum noch erwähnt, obwohl er zu den bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts gezählt werden kann. Nun sagt eben die Theologie einer säkularisierten Gesellschaft nicht mehr sehr viel – oder höchstens in Situationen, wenn es besonders feierlich zu- und hergehen soll.
Dietrich Bonhoeffer, geboren 1906, entstammte einem gutbürgerlichen Milieu. Der Vater, Karl Bonhoeffer, war Psychiater und Neurologe, seine Mutter Lehrerin. Dietrich wuchs mit sieben Geschwistern auf und interessierte sich schon früh fürs Transzendente. Nachdem er bereits als 17-Jähriger sein Abitur bestanden hatte, immatrikulierte er sich im Herbst 1923 in Tübingen. Das war die Zeit einer tiefgehenden wirtschaftlichen Krise Deutschlands, die sich in einer immensen Inflation manifestierte. Doch Dietrich wollte nichts von Politik wissen, sondern genoss neben seinem Studium das Leben der Burschenschaften, die sich durch militanten Nationalismus auszeichneten.
Eine konservative Kirche
Der Student Bonhoeffer war dank seinem Vater mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet, um immer wieder Reisen unternehmen zu können. So kam er 1924 mit seinem Bruder Klaus bis nach Sizilien. Beide machten sogar einen zweiwöchigen Abstecher nach Libyen. Im gleichen Jahr setzte Bonhoeffer sein Studium in Berlin fort. Dort wurde eine liberale Sicht gelehrt, zu der die dialektische Theologie des Schweizers Karl Barth in klarer Opposition stand. Dieser betonte die Andersartigkeit, die Unfassbarkeit Gottes so stark, dass Berliner Theologen wie Adolf von Harnack glaubten, Barth sei ein «Verächter wissenschaftlicher Theologie» und ziehe sich ins Irrationale zurück.
Dietrich Bonhoeffer fühlte sich zu Barths Lehre hingezogen, blieb aber zunächst ein theologisch Liberaler. Die liberale Theologie hatte mit politischem Liberalismus wenig zu tun, denn die evangelische Kirche in Deutschland war mehrheitlich konservativ und konnte sich mit den Institutionen der Weimarer Republik nicht so recht anfreunden. Bereits 1927, als 21-Jähriger, legte Bonhoeffer eine Dissertation vor. Nach einem Aufenthalt als Hilfspfarrer in Spanien bereitete er die Habilitation vor. In seiner Schrift «Akt und Sein» betont er, dass die Wirklichkeit Gottes weder vollkommen transzendent noch bloss subjektiv immanent sein könne, sondern sich in der Dynamik von Beziehungen, also in der sozialen Dimension, zeige.
Politisches Erwachen
1930 trieb ihn sein Reisefieber in die Vereinigten Staaten. Als Stipendiat lernte Bonhoeffer in New York die amerikanischen Kirchen kennen. Besonders beeindruckten ihn die schwarzen Gemeinden. Bonhoeffer schrieb, er glaube wohl, «dass die Neger den Weissen hier noch wesentlich mehr geben werden als ihre Volkslieder». In den USA traf Bonhoeffer soziale Aktivisten unterschiedlicher Hautfarbe und setzte sich erstmals vertieft mit politischen Fragen auseinander. Dort gewann er auch die Erkenntnis, dass es der deutschen Theologie «an Wirklichkeitsnähe» fehlte.
Sein Aufenthalt in den Vereinigten Staaten machte Bonhoeffer bewusst, wie wichtig die ökumenische Bewegung war, die damals erst in ihren Anfängen stand. Diese Haltung brachte ihn in Widerspruch zur deutschen Kirche, «die jede Art von Internationalismus als Bedrohung für das Vaterland sah», wie der US-Theologe Charles March in seiner kürzlich erschienenen Bonhoeffer-Biografie schreibt. 1932 übernahm Bonhoeffer eine Pfarrei in einem Berliner Arbeiterviertel und nahm dort am Alltag von proletarischen Familien teil, die kaum etwas anderes als den Kampf ums Überleben kannten.
Die «Bekennende Kirche»
Daneben war er als Privatdozent an der Theologischen Fakultät tätig, blieb dort aber ein Aussenseiter. Eine gewisse Bekanntheit erlangte Bonhoeffer unter Künstlern und Intellektuellen. Mit den gerade an die Macht gelangenden Nazis und ihrem Führerprinzip setzte er sich in Rundfunkansprachen und Vorträgen äusserst kritisch auseinander. Bonhoeffer war klar, dass der nazistische Staat keine Legitimität beanspruchen konnte – und er forderte seine Kirche ganz direkt auf, ihm die Legitimation zu entziehen. Doch weder die evangelische noch die katholische Kirche setzten der Macht der Nazis etwas Wirksames entgegenzusetzen. Bonhoeffer prangerte insbesondere die anti-jüdische Politik des Regimes an, doch die Kirchen hielten still oder begrüssten sogar den von den Nazis angeordneten Boykott jüdischer Geschäfte.
Ganz allmählich entstand aber doch so etwas wie eine Oppositionsbewegung gegen die Nazi-freundlichen «Deutschen Christen» – die «Bekennende Kirche». Bonhoeffer setzte einige Hoffnung in diese Bewegung, aber deren Wirkung war sehr begrenzt. Angesichts der frustrierenden Verhältnisse in Deutschland beschloss er Ende 1933, eine Pfarrstelle in London anzunehmen. Er nutzte seine internationalen Beziehungen und rief anlässlich einer Ökumenischen Jugendkonferenz im August 1934 zu einem christlichen Friedenskonzil auf. Dort formulierte er auch zum ersten Mal seine pazifistische Position in aller Deutlichkeit.
Dasein für andere
Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte Dietrich Bonhoeffer einen weiten Weg vom bürgerlich-nationalistischen Milieu bis zum Kritiker der Nazis hinter sich. Aus dem Bekenntnis zu Gott folgte für ihn eine klare Absage der menschenverachtenden Ideologie und barbarischen Politik des NS-Staates. Seine Gegnerschaft blieb nicht geheim und so hatte er mit zunehmenden Repressalien des Regimes zu rechnen. Die Gestapo schloss sein Predigerseminar und die Möglichkeiten, «die Flamme des Glaubens im Wiederstand am Leben zu halten», wie Marsh schreibt, wurden ständig geringer. Deshalb stellte sich die Frage eines aktiven Widerstands gegen Hitler immer dringlicher.
Anfang 1938 kam Bonhoeffer erstmals in Kontakt mit Kreisen des Widerstands, der vor allem im militärischen Geheimdienst verankert war. Er sollte seine Kontakte im Ausland nutzen, um auf diesem Weg die Alliierten über die Aktivitäten des deutschen Widerstands zu informieren. Dieser glaubte, nach der Beseitigung Hitlers von den Alliierten als legitime Regierung Deutschlands anerkannt zu werden. Doch für die Anti-Hitler-Koalition war bald einmal klar, dass Deutschland militärisch besiegt werden musste, um die Wurzeln des Faschismus vollkommen ausrotten zu können. Deshalb war Bonhoeffers Mission in dieser Hinsicht eine hoffnungslose. Er wurde schliesslich enttarnt und im April 1945 hingerichtet.
In anderer Weise war Bonhoeffers Arbeit durchaus fruchtbar. Er baute darauf, dass nach dem schändlichen Versagen der Kirche das Wirken von Christen und Christinnen in der Welt ganz neu begründet werden müsse. Ihm war bewusst geworden, dass wir einer «völlig religionslosen Zeit» entgegengehen und dass das Christentum «in einer mündig gewordenen Welt» darin besteht, Gott im Gegenüber zu erfahren, im «Dasein für andere». Diese Worte hat Dietrich Bonhoeffer auch gelebt – und dieses Leben sollte in Erinnerung bleiben.
Charles Marsh: Dietrich Bonhoeffer. Der verklärte Fremde. Eine Biografie. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Karin Schreiber. Gütersloh: Gütersloher Verlagsanstalt 2015, 592 S., € 29,99
Kommentare 7
Ich danke Ihnen für diesen Beitrag. Bonhoeffer ist aber doch bekannter, als Sie es konstatieren. Es gab einen Film über ihn mit Ulrich Tukur.
Ich habe - schon vor einiger Zeit - über die Brautbriefe zwischen ihm und seiner Verlobten Maria von Wedemeyer geschrieben.
https://www.freitag.de/autoren/magda/balanceakt-im-schatten-des-todes
Liebe Magda, besten Dank für diesen Hinweis! Ihre Besprechung hatte ich seinerzeit nicht zur Kenntnis genommen, habe dies aber jetzt nachgeholt. Es wäre schön, wenn zutrifft, was Sie andeuten: dass Dietrich Bonhoeffers Name einen Klang besitzt, der nicht nur den engen Kreis der Theologinnen und Theologen anspricht, sondern darüber hinaus zu wirken vermag.
"Doch für die Anti-Hitler-Koalition war bald einmal klar, dass Deutschland militärisch besiegt werden musste, um die Wurzeln des Faschismus vollkommen ausrotten zu können. Deshalb war Bonhoeffers Mission in dieser Hinsicht eine hoffnungslose."
In jeder Hinsicht richtig, möchte man meinen. leider hat der millitärische Sieg dann nicht "die Wurzel des Faschismus vollkommen ausrotten können", wie man heut weiß und jeder sehr gut nachvollziehen kann der nicht mit geschlossenen Augen rumlauft.
Nach dem Sieg über das faschistische Deutschland offenbarte sich die Unterschiedlichkeit der Interessen der an der Anti-Hitler-Koalition beteiligten Staaten. Deshalb wurde das Ziel dieses Kampfes - über den Sturz des Hitler-Regimes hinaus dem Faschismus die gesellschaftlichen Grundlagen zu entziehen - illusorisch. Das enthebt diese Koalition doch nicht ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung. Diese Zielsetzung der Alliierten nicht sehen und verstehen zu können, machte wohl einen Teil der Tragik des Widerstandes aus, an den vor wenigen Tagen wieder einmal gedacht wurde.
Da mögen sie recht haben, der Umstand aber , dass heute der Faschismus fröhliche Urstände in der Mitte der Gesellschaft feieren kann oder zu "feiern" versucht in Form von neuen totalitären Machansprüchen der Eliten, die über neoliberale Regierungpolitik verwirklicht werden sollen, gleichzeitig aber anscheinend nicht als faschistisch wahrgenommen werden können oder sollen, weißt darauf hin , dass nicht nur das besagte damalige Ziel illusorisch war, sondern die Ursachen aus ideologischen Gründen nicht mal erkannt und daher auch nicht bekämpft wurden und werden konnten. Das Dilemma daraus ziegt sich erst seit einigen Jahren sehr deutlich , seit nämlich diese Ursachen aus diversen Gründen immer öfter sich der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr entziehen lassen.
Dass eine Person wie Bonhoeffer dabei damals sein Leben verloren hat, ist ein tragischer Fall von vielen udn sollte uns ein mahnung sein. Die akute sich anbahnende Tragik und tägliche Tragödie, die sich damit also ständig und unbehindert wiederholt und weiter wiederholen kann, bedarf all unserer Aufmerksam zumal die Reflektionen der Nachkriesgzeit ja das intellektuelle und wissenschaftliche Werkzeug dazu bereitstellen
Ich wäre sehr vorsichtig mit einer generalisierenden Verwendung des Begriffes «Faschismus». Neoliberale Politik bewegt sich durchaus in einem Rahmen demokratischer Rechtsstaatlichkeit - solange sie eben in der Lage ist, ihre Hegemonie zu behaupten. Dass die Eliten aber durchaus in der Lage sind, die Regeln im eigenen Interessen zu verändern, wissen wir nur zu genau (das hoffe ich, zumindest im Kreis der Freitag-Community konstatieren zu können). Allerdings wäre es politisch fährlässig, hier gleich mit dem Faschismus-Begriff zu kommen.
"Allerdings wäre es politisch fährlässig, hier gleich mit dem Faschismus-Begriff zu kommen. "
Sicher , man darf sich damit keine Fahrlässigkeit erlauben. Es wäre also durchaus einer näheren Analyse wert, inwieweit die akute politische Praxis den faschistischen Ermächtigungen ähnelt oder gleicht. Dazu gibt es sicher sehr verscheidenartige Meinungen und Deutungsversuche. Ich persönlich habe in meiner Gymnasialzeit in den 70ern den deutschen Faschismus vorwärts und rückwärts auswendig und verstehen gelernt, wenn man mal von wenigen erst später verstandenen Ideologisierungen und Instrumentalisierungen des Themas absieht. Klar ist aber , dass man meiner( und Ihrer) Generation einhämmern wollte , dass es nie wieder zu so etwas kommen darf. Ergo: wir sollten den Faschismus erkennen können , wenn wir ihn herannahem sehen und uns voher schin dagegen wehern können - erste Bürgerpflicht sozusagen. Ich kann Ihnen leider nur mitteilen , dass ich ihn kommen sehe. Und erkommt dieseml anders daher , aber auch wie immer "in einem Rahmen demokratischer Rechtsstaatlichkeit" , wobei diese Demokratie in meine Augen leider keine ist, nie war, denn der Bürger hat faktisch keinen Einfluss auf die Politik ... etc.