Eine andere Wirtschaft ist möglich

Rezension Die Logik des Kapitals erzwingt ein Wachstum, das sich gegen die Grundlagen des Lebens richtet. Wie kommen da heraus? Michael Jäger schlägt vor, Wahlen in der Welt der Wirtschaft durchzuführen, und richtet den Blick auf eine Alternative.

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Für sein jüngstes Buch hat der in Berlin lebende Politologe und Publizist Michael Jäger einen ziemlich sperrigen Titel gewählt: «Ökonomische Proportionswahlen». Was damit gemeint sein könnte, erschließt sich aus dem Untertitel: «Für eine Marktwirtschaft ohne Kapitallogik». Einst lautete die Alternative: «Plan- oder Marktwirtschaft». Nach dem Ende des «real-existierenden Sozialismus» schien die Frage entschieden zu sein: Marktwirtschaft und Kapitalismus gehören unverbrüchlich zusammen und ihre Verbindung stellt das Unterpfand für wachsenden Wohlstand dar. Gerade das wirtschaftliche Wachstum wird nun aber zum Problem, denn es stellt sich als eine die natürlichen Lebensgrundlagen gefährdende Belastung heraus.

Was sind die treibenden Kräfte für dieses Wachstum? Die gängige Erklärung weist auf die sich ausweitenden Bedürfnisse der Menschen hin, die durch eine ständig vermehrte Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen zu befriedigen seien. Bei einer solchen Begründung liegt es nahe, dass lediglich der «Verzicht» eine mögliche Antwort auf die ökologische Krise darstellen könnte. Aber wer mag schon verzichten?

Zwang zum Wachstum

Michael Jäger weist mit Karl Marx darauf hin, dass dies eine falsche Fragestellung ist: Der Zwang zum Wachstum gehört untrennbar zum kapitalistischen System. Dessen Sinn liegt nicht in erster Linie darin, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern in der Produktion von Profit. Mit den Worten von Marx formuliert: «Das Kapital als solches setzt nur einen bestimmten Mehrwert, weil es den unendlichen nicht at once setzen kann; aber es ist die beständige Bewegung, mehr davon zu schaffen.» Dieser Zwang, ins Unendliche zu wachsen, treibt die Menschheit in einer endlichen Welt über die Grenzen der Tragfähigkeit des ökologischen Systems hinaus. Deshalb ist es wohl auch kein Zufall, dass «»Schlüsselfiguren des Kapitals», wie Jäger schreibt, an Projekten zur Flucht vom heimischen Planeten führend beteiligt sind. So stehe jetzt die Gesellschaft vor der Wahl, «entweder die Erde zu retten und die Raumfahrt hintanzustellen oder die Kapitalisten gewähren zu lassen, die ihre Milliarden in ihren privaten Homo Deus-Wahn investieren».

Die Erde retten zu wollen, das heißt, eine Entscheidung zu treffen. Es geht darum, eine «neue Gesellschaft» zu schaffen, die sich, so Jäger, in einer «Urwahl» konstituiert, «indem sie mit sehr großer Mehrheit beschließt, den ihr zustehenden Umweltraum nicht zu überschreiten». Konkret bedeutet das «einen sehr viel geringeren Konsum; der ist nur zu erreichen, wenn die Notwendigkeit von ‹Ersatzbefriedigungen› reduziert wird; dazu müssen Lebensweisen denkbar werden, die glücklicher sind als die heutigen, weil sie auf solchen Ersatz nicht mehr angewiesen sind». Ein ambitioniertes Programm! Seine Verwirklichung würde voraussetzen, dass die Macht des Kapitals, die nicht zuletzt auf dem im Bewusstsein der Massen verankerten Konsumismus beruht, bereits deutlich in Frage gestellt wäre.

Demokratie in der Ökonomie

Kommen wir zum Kern des Buches. Innerhalb des durch ökologische Notwendigkeiten vorgegebenen Rahmens entscheidet die Gesellschaft auf demokratische Weise, wie bestimmte Bedürfnisse am besten zu befriedigen sind. Zur Verdeutlichung des Gedankens verwendet Michael Jäger das Beispiel der Mobilität: An ihm lassen sich die unterschiedlichen Formen solcher Bedürfnisbefriedigung sehr gut zeigen. Genauer gesagt: Es geht um die Frage, in welchem Verhältnis motorisierter Individual- (MIV) und Öffentlicher Verkehr (ÖV) zueinanderstehen sollen. Zur Abstimmung stünden dann Programme, die sich durch verschieden gesetzte Proportionen zwischen MIV und ÖV unterscheiden würden. Die Stimmkraft der Bürgerin, des Bürgers in dieser ökonomischen Wahl würde von ihrer bzw. seiner Kaufkraft abhängen. Die Auswahl eines bestimmten Programms wäre dann auch leitend für die eigenen Konsumentscheide.

Das Ergebnis einer solchen Wahl wäre bindend für die Produzierenden. Das ist ein entscheidender Punkt: Das «Angebot» der Wirtschaft müsste sich nach den Entscheidungen der Bürger*innen richten, die beispielsweise darüber befinden, in welchem Verhältnis der Aufwand für MIV und ÖV stehen soll – etwa 50:50 oder 30:70. Dies würde einen Rahmen für die Produktion von Autos oder von Zügen, Straßenbahnen und Bussen setzen. Realisiert würden die Entscheidungen von einem Ökonomischen Rat, der eine Alternative zur zentralstaatlichen Planung des Realsozialismus wäre. Er bestünde aus Akteur*innen der ökonomischen Produktion und Dienstleistung. Eine wachsende Rolle sollten vergesellschaftete Unternehmen spielen, die von den in ihnen tätigen Mitarbeiter*innen übernommen werden. Der Gedanke dazu stammt von Ota Šik, dem führenden Ökonomen des «Prager Frühlings» 1968.

Ein neuer Kommunismus

Das Buch von Michael Jäger ist auch als Auseinandersetzung mit dem traditionell marxistischen Verständnis von Revolution, Demokratie und Ökonomie zu verstehen. So geht er beispielsweise, anders als Marx, davon aus, dass eine Marktwirtschaft möglich sein muss, in der nicht mehr die Logik des Kapitals herrscht – der unendliche Prozess zur Schaffung von immer mehr Mehrwert. Diese Alternative zum Kapitalismus trägt für Jäger noch immer den Namen «Kommunismus», auch wenn dieser Name nach all den Dramen des Realsozialismus nicht mehr verwendbar erscheint. Der von ihm gemeinte Kommunismus müsste sich von der Konzeption Lenins unterscheiden, aus dessen Revolution «eine Art kommunistischer Zarismus» hervorgegangen sei, wie der Autor schreibt. Uns, so meint Michael Jäger, sei eine Revolution aufgegeben, die zur bereits bestehenden (und noch auszubauenden) politischen Freiheit «eine noch freiere ökonomische» hinzufügt. Sie wäre durch ein entscheidend anderes Freiheitsverständnis als das heute herrschende geprägt: Hier stünde die Befreiung von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen im Zentrum.

Michael Jäger: Ökonomische Proportionswahlen. Für eine Marktwirtschaft ohne Kapitallogik. Metropolis 2022, 237 Seiten

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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