Das Antidot gegen die Phrase

Gremliza, Konkret Hermann L. Gremlizas gesammelte Aufsätze „Haupt- und Nebensätze“

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Die Welt ist schlecht eingerichtet. Das ist keine neue Erkenntnis. Aber wie sprachverbuhlt sie Gremliza vorbringt! Im Bändchen „Haupt- und Nebensätze“ hat der Herausgeber von „Konkret“ Aufsätze aus zwanzig Jahren versammelt.

Für Gremliza verdirbt die Presse geistige Aufnahmefähigkeit. Für jene verwendet er deshalb eine ganze Reihe Bezeichnungen, die im Zusammenhang sich zur wunderbaren Häme aufschwingen wie Gewerbe, Branche, Betrieb und natürlich die „Journaille“.

„Es ließe sich mit ihren nichtigen Meinungen leichter leben, wenn man den Journalisten nicht immerfort erklären müßte, was sie eigentlich hatten sagen wollen.“

Die Zeitung war allerdings gegenüber Twitter und Facebook noch Gold wert. „Erst die Excesse der totalen Meinungsfreiheit in Blogs und Postings lassen ahnen, welchen Beitrag zur Zivilisation die Presse trotz alledem geleistet hat.“ Der „äusserste Fortschritt“ befördert „äusserste Verblödung“. Der „völkische Neandertaler“ mit dem Smartphone in der Hand, der Korrekturlesen als Zumutung des Jahrhunderts empfindet. Im „Spiegel“ und der „FAZ“ beklagt sich der Forist, dass seine Meinung vom „Spiegel“, der „FAZ“ und der sonstigen Lügenpresse zensiert werde. Sarrazin war gezwungen in einem Samisdatblättchen namens „Bild-Zeitung“ zu publizieren. Die vehemente Parteinahme der Kleinbürger für die Reichen geschieht in der Hoffnung, so könne man besser nach unten treten und die gegenwärtige Misere sei vorübergehend. Der tägliche Kommentar zugunsten von AFD bis Amazon als Fuselersatz. Die volkseigene Bewusstseinsindustrie ist noch eine Spur widerwärtiger als die der Konzerne.

Für Gremliza steht der Islam gleichberechtigt neben allen anderen Religionen. Er wird auch kritisiert.

Gremliza geht von der Form statt wie die Vielen vom Stoff aus. Deshalb sichert Gremlizas Spott Theo Sommer, Günter Wallraff und Fritz J. Raddatz einen Platz in der Literaturgeschichte. Gremliza hätte dem Sommer oder dem Wallraff geschrieben. Gremliza hat die Gabe das Demonstrativpronomen als Waffe zu verwenden. So herablassend „dem“ schreiben kann sonst keiner.

Deutschland leidet. Es ist Weltmeister in Sachen Trauerarbeit und Versöhnung. Allen voran sein Bundesgauck. Der hielt eine Rede in Sant´Anna di Stazzema. Das ist ein Dorf in Italien, dessen Bewohner 1944 von deutschen Soldaten ermordet wurden. Gremliza lässt Gauck zu dessen Unglück ausführlich zu Worte kommen. Es ist die Sternstunde protestantischen Betroffenheitsgefasels. Gremliza montiert diese mit Tatsachen. Die Mörder lebten in Deutschland unbehelligt unter uns. „Gibt es etwas Ekligeres auf der Welt als deutsche Gedenkkultur, ihr Vokabular und ihre Sprecher?“

Dank Gremlizas „express“ lernte ich übersetzen . Wenn es irgendwo von serviceorientierter und flexibler Dienstleistungsgesellschaft plappert, dann weiss ich, dass die von Hartz-IV gepeinigte Aufstockerin bis 22:00 Uhr an der Kasse sitzt. Wenn der Bundespräsident vor Dunkeldeutschland warnt, dann soll der besorgte Bürger nicht den Export hemmen. Und wenn der Partypatriotismus sein Sommermärchen feiert, sollte man wohlweislich ausweichen. Und wenn es heisst „systemrelevant“ oder „too big to fail“, dann brauchen der „Investmentbanker“ und sein „Insolvenzverwalter“ neues Geld vom Steuerzahler.

Gremliza schützt einem vor der Verrohung, die draussen im Internet und in der Zeitung ihr Unwesen treibt. Über Gremliza zu schreiben, sein Werk sei eine subtile Hommage an Karl Kraus, geht nicht, da Gremliza sein ganzes Leben gegen solch eine Formulierung geschrieben hat.

Wer Gremliza liest, ist hinterher klüger und geht mit den Wörtern pfleglicher um.

Hermann L. Gremliza: Haupt- und Nebensätze, Suhrkamp, Berlin 2016, 159 S., 15 €.;

ISBN: 978-3-518-12715-5

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