Der Gassenhauer als Botschaftsprojektil

Urheberrecht Über die recht häufig praktizierte Übung, einen populären Song mit einem alternativen Liedtext zu versehen

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Die Szenerie ist nur zu bekannt: Der Kabarettist entert die Bühne, ein bekanntes Lied, ein Gassenhauer, ein Jahrhunderthit wird eingespielt, und der Protagonist auf den Brettern singt dazu nicht den Originaltext, sondern trägt etwas Abweichendes, wahlweise Politisches oder das Publikum Erheiterndes vor. Und schierer Frohsinn soll entfacht werden, wenn dies im Karneval geschieht.
Da stellt sich die Frage, was von dieser Koppelungspraxis rechtlich zu halten ist, und wie sie in der Branche gehandhabt wird.
Dass diese Fragestellung immer wieder auf Interesse stößt, zeigt ein jüngst erschienener
Beitrag im Community-Teil des Freitag (Putsch, "Und alle so Yeaaah" v. 11.08.2014), in dessen Kommentarstrang ein Leser beschrieb, dass er ein populäres Lied mit einem eigenen Text verwenden wollte. Dies war ihm von den Rechteinhabern des Musikstückes, angeblich unter dem Gesichtspunkt der Bearbeitung, nicht genehmigt worden.

Die Bearbeitung im urheberrechtlichen Sinn stellt aber meist nicht das Problem dar.
Denn das allseits bekannte Lied wird in aller Regel ohne relevante Abweichungen gecovert, weil es ja gerade um den Wiedererkennungswert, im Karneval auch gerne um den Mitgröleffekt geht.
Vielmehr liegt hier der Knackpunkt darin, dass ein Musikwerk, bestehend aus Melodie, Harmoniefolge und Rhythmus, mit einem davon zu unterscheidenden Liedtext verbunden wird. Während der Roman oder das Gedicht selbstverständlich als sprachliche Werke eingeordnet werden und dasselbe auf der musikalischen Seite für die Sinfonie und die Sonate gilt, wird die Trennung beim populären Lied nicht so selbstverständlich vorgenommen - was in manchen Fällen auch an der gewissen Dürftigkeit des einen oder anderen Bestandteils liegen könnte. Am sinnfälligsten wird die Werkverbindung wohl bei der Oper, in der sich Partitur und Libretto zusammenfügen, Beispiel Die Zauberflöte: Ahh der Mozart, jaa der Schikaneder.

Nehmen wir nun an, eine in Sachen politischer Analyse stets unter Hochdruck arbeitende Kabarettistin hätte einen satirischen Text über das umfassende Abgreifverhalten von Diensten mit Kürzeln wie NSA, GCHQ, BND etc. verfasst und wollte den anspruchsvollen Text dem Publikum mit einem musikalischen Zuckerguss verabreichen, und die Wahl fiele auf "Strangers in the Night".
Hier liegt nun zunächst eine echte Werkverbindung im Sinne des Urheberrechts vor, was den in gewisser Weise erratischen Block des Original-Songs angeht, nämlich das Zusammengehen der Komposition von Bert Kaempfert mit dem Songtext von Eddie Snyder und Charles Singleton, ein alles in allem recht erfolgreiches popmusikalische Manöver Mitte der Sechzigerjahre.
Die Kabarettistin mit ihrem satirischen Text stellt nun untechnisch gesprochen eine Art Quereinsteigerin dar, deren Begehren rechtlich gesehen auf eine faktische Werkverbindung hinausläuft, die sich nach Auffassung vieler Juristen nicht genuin nach Urheber-, sondern allgemeinem Zivilrecht bemisst.
So oder so bedarf diese Art der Werkverbindung aber einer Einwilligung der Rechteinhaber des Songs.
Und das ist auch nachvollziehbar. Hier seien nur zwei Gründe genannt: Zum einen kann damit eine Art Qualitätskontrolle des Textes vorgenommen werden, der sich mit der Musik vermählen soll, zum anderen kann so auch unterbunden werden, dass bestimmte politische Intentionen mit ihr transportiert werden sollen, die äußerst zweifelhaft sind, und sei es auch nur aus der Sicht der Originalurheber.

Beide Einwände treffen auf die Kabarettistin nun nicht zu, steht zu hoffen.
Und so fügt es sich, dass im Bereich der Kleinkunstszene ein anderer Weg gangbar ist.
Denn in der Praxis des Kabarettbetriebs hat sich die Übung herausgebildet, bei Auftritten gesungene eigene Texte in Verbindung mit vorhandenen Musikstücken sozusagen unter den Tisch fallen zu lassen. Für das aufgeführte Lied mit neuer Lyrik wird also keine Genehmigung eingeholt, dieses wird bei der zuständigen Verwertungsgesellschaft GEMA aber auch ohne Berücksichtigung des aktuellen Wortbeitrags gemeldet, quasi als ob der übliche Songtext vorgetragen worden wäre. Und wegen der fehlenden Zustimmung liegt zwar streng genommen immer noch eine Urheberrechtsverletzung vor, diese wird allerdings zumeist geduldet und im übrigen durch die GEMA-Ausschüttungen auch zugunsten des ursprünglichen Textdichters, dessen Zeilen gar nicht vorgetragen wurden, abgefedert. Der Fall wird behandelt, als läge eine schlichte Coverversion vor.

Die Kabarettistin könnte allerdings noch einwenden, sie bewege sich im Rahmen einer Parodie und müsse deshalb ohnehin keinerlei Einwilligung einholen.
Die Berufung auf diesen Aufnahmetatbestand wird gerade im Kleinkunstbereich immer wieder mal vorgenommen, ist aber so gut wie nie gerechtfertigt.
Denn bei der Parodie muss eine deutliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem älteren Werk stattfinden, dieses muss in antithematischer, persiflierender Form aufgegriffen werden. Das ist im musikalischen Bereich ganz selten der Fall. Am häufigsten finden sich Parodien im Bereich der Comics, deren Figuren sich als dankbare Opfer erweisen, aus dem Asterixuniversum etwa die Darstellung von Obelix als sexuell empfindendes Wesen, womit ein Kontrapunkt zum asexuellen gallischen Kosmos gesetzt wird.
Der Hitvortrag auf der Kabarettbühne dagegen setzt sich nicht mit der Musik auseinander, sondern übernimmt sie einfach. Und der Text ist ja der eigene und wird also nicht parodiert, sondern ist der Ausgangspunkt. Parodiert wird höchstens eine Politikerin oder eine andere Person des öffentlichen Lebens.

Wie auch immer die Sache gehandhabt wird, letztlich geht es ja aber um den populären Song, das im besten Fall in drei bis fünf Minuten auf den Punkt kommende Meisterwerk: Er kann einiges aushalten, der Song, manchmal verlangt er auch nach einem alternativen Text, einer anderssprachigen Fassung, einer echten textlichen Parodie; er erträgt ebenfalls das Dasein als Vehikel bestimmter Botschaften.
Manchmal auch spielt er die Unberührbare. Dann sind schon bestimmte Textzeilen ("Let me take you down, ´cause I´m going to"; "After all the jacks are in their boxes") so mit der Musik verwobene Lautmalereien, dass sich Alternativen eigentlich verbieten.

Aber gemeuchelt wird dieses sprachmusikalische Kleinod immer und immer mehr durch etwas Anderes: Durch das Totdudeln in den Medien und im sonstigen öffentlichen Raum.


Die Geschichte des Songs "Strangers in the Night" wird bei W. mit weiterführenden Nachweisen skizziert, inklusive der urheberrechtlichen Querelen und der zurückgehaltenen Ausschüttungen der betroffenen Verwertungsgesellschaften

Der Popsong als "bedrohte Einheit" ist zum Beispiel Gegenstand des Buches "Sänger, Songs und triebhafte Rede" von Jean-Martin Büttner (gleichzeitig Dissertation -Universität Zürich-) - immer wieder wärmstens zu empfehlen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rüdiger Grothues

Musiker, Jurist, Autor

Rüdiger Grothues

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