Moralische Einbahnstraße

Trump und Merkel Donald Trump und seine Mauer zu Mexiko - verwerflich. Da sind sich alle einig. Die Pläne und Aktionen der EU und Nato stehen dem aber schon jetzt in nichts nach

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Liberale und auch konservative Kommentatoren aller Chefredaktionen des Landes würdigten Angela Merkel für ihren Auftritt bei Anne Will am Sonntag Abend. Sie gewinne wieder an Vertrauen und Partnern, so der Tenor. Dabei hat Frau Will so stark versucht, ihr endlich ein "Vielleicht schaffen wir es doch nicht" abzuringen. Schließlich beschwören wir Medien das schon ein halbes Jahr lang! Irgendwann muss das doch mal eintreten! Menno!

Die CDU Social-Media-Abteilung twitterte, bei sonst etwa 10 Tweets am Tag, plötzlich im Minutentakt und schuf eine ebenso gleiche, medial positive Wahrnehmung im Kurznachrichtendienst, parallel zu den TV-Zuschauern. Perfekte Publicity.

Bei all der, auch von mir empfundenen, Symphatie für die aktuelle Flüchtlingspolitik Merkels, bleibt aber ein äußerst bitterer Beigeschmack, wenn man sich anguckt, welch Doppelmoral manch ein Kommentar walten lässt.

Merkel, europapolitisch Trump 2.0

Trumps Ruf nach dem Mauerbau an der Grenze zu Mexiko zu verurteilen und im gleichen Atemzug Merkels Ruf nach dem Schutz der EU-Außengrenze und Nato "Schlepperbekämpfung" zu begrüßen (Till Schweiger macht das in gewohnter Manier vor), ist nicht nur verlogen gegenüber dem Rezipienten. Man belügt sich auch selbst, indem man liberale Werte nur da walten lässt, wo sie einem genehm sind, wo man nicht eigene intrinsische Konflikte lösen muss. Die Türkei bzw. die Levante und Lybien ist unser Mexiko. Da sollen die Menschen bleiben. Das muss jedem bewusst sein. Das Argument, man könne es nicht vergleichen, da wir ja schon so viel aufgenommen haben, zerbricht.
Unsere Obergrenze für moralische Verantwortung ist noch lange, lange nicht erreicht. Sie entfällt nicht einfach, wenn man meint, schon ein gewisses Maß geleistet zu haben.

Mauern und Stacheldrahtzäune riegeln auch die Südgrenze der Türkei immer stärker hermetisch ab. Die Nato und Frontex sind unsere Selbstschussanlagen. Honecker wäre neidisch. Obwohl in keinem Nato-Statut geregelt und mittels der fragwürdigen Formulierung "Nato-Gewässer", wird ein Einsatz gerechtfertigt, der vorgibt Schlepper zu bekämpfen. Ein Problem: Diese Schlepper sitzen nie - niemals - in den Booten mit den Flüchtlingen. Die kriegen bei besonderer Fürsorge der Schlepper vielleicht ein Handy mit Navi und eine anzusteuernde GPS-Koordinate. Und dann auf gut Glück. Und selbst wenn sie mit drin sitzen, ändert sich nichts. Der Konflikt, wer da eigentlich bekämpft wird, soll nicht gelöst werden.
Aus illegaler Migration soll nicht legale werden (wie Merkel es beschwört). Lediglich das Outsourcing des Leids ist intendiert - wie es auch vor Lampedusa der Fall war. Ausgelagert an die Levante und nach Lybien.

"Wenn immer mehr Menschen aus Marokko, Tunesien und Algerien kommen, dann müssen wir diese Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären"

Das kann eine Kanzlerin mittlerweile frei zur Hauptsendezeit sagen. Verrückt. Warum diese immer mehr kommen, ist nicht nur egal, nein, ihre Motive werden pauschal als niedere eingestuft. Steht das einem Trump, der Wirtschaftsmigranten sowieso, aber auch syrische Flüchtlinge nicht ins Land lassen will, in irgendwas nach? Merkelsche Argumentation ist zumindest eine Vorstufe davon. Vielleicht entdecken wir ja auch bald sichere Gebiete in Syrien. In Afghanistan gibt es die ja auch. Irgendwo. Während gleichzeitig die Bundeswehr noch dort waltet: Es sei noch zu unsicher.

Angela Merkel, zumindest europapolitisch Trump 2.0, bietet hier ein äußerst ambivalentes Bild, dem kaum eine Betrachtung, auch diese nicht, gerecht wird.

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Geschrieben von

Steven Hartig

Freier Journalist und Autor

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