Kanzel statt Kanzlerin

Gottesdienst Für den Chefredakteur der Welt hat linke Politik in der Predigt nichts zu suchen. Dabei könnte gerade das wieder zu volleren Kirchen führen

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Allein im Hause des Herrn
Allein im Hause des Herrn

Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images

Zu meinen Berliner Zeiten gab es sonntags über das gesamte Jahr hinweg wenige wirklich volle Kirchen: Der Berliner Dom, die PaulusGemeinde Zehlendorf und noch ein paar vielleicht. Hier konnte man nach Herzens Lust laut singen, und ich brauche sowas einmal pro Woche. In den anderen Kirchen fand man selten mehr als 30 bis 40 BesucherInnen. Singst Du da laut, dreht sich sofort alles um. Irgendwie peinlich, muss man nicht haben.

Hier in meiner Gegend – zwischen Darmstadt, Mannheim und Heidelberg – findest Du auch in den größeren Kirchen – außer an großen Feiertagen – nie mehr als 30 bis 40 Menschen. Und in den kleineren Orten mit 10.000 bis 25.000 Einwohnern sind es oft nur eine Hand voll BesucherInnen. Und in diesen Orten sitze ich nun seit fünf Jahren des Öfteren an der Orgelbank und darf (oder muss) mir nolens volens die Predigten anhören. Ich kann mich, seit ich 2003 aus Berlin wieder im Westen zog , an keine einzige politische Predigt erinnern, obwohl es doch wahrlich massig Gründe gibt.

In den 68er Jahren gab es hin und wieder in der Heidelberger Umgebung politische Predigten, die dazu führten, dass Menschen unter Gebrüll die Kirche verließen, "DKP-Pfarrer" schrien oder sofortige Diskussion forderten. Das Ergebnis: die Kirchen wurden voller, manche gingen plötzlich wieder in die Kirche, um zu prüfen, ob ihr Pfarrer einer von diesen Revoluzzern war. Manche schrieben sogar Bücher, wie "Rotbuch Kirche" – Murswiek, Jach etc.

Und nun, 2017, geht der Ulf von der WELT doch tatsächlich weihnachts in die Kirche – ich wette der erste und letzte Gottesdienstbesuch des Jahres. Und was hört er da? Grün-Juso-Versifftes!

Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den #Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?

— Ulf Poschardt (@ulfposh) 24. Dezember 2017

Was ist denn heute eine politische Predigt? Anscheinend es reicht schon, wenn Pfarrerinnen und Pfarrer mindestens einmal das Wort "Geflüchteter" in den Mund nehmen. Da wäre in den 68er absolut niemand drauf gekommen – weder Rechte noch Linke.

Und da dämmert es dem guten Ulf auf dem Nachhauseweg, dass es da Orte in diesem unseren Land gibt, in denen man von einer Kanzel direkt zu realen Menschen sprechen kann. Das ist ungeheuerlich. Da reicht der Ulf mit seiner WELT nicht rein, das ist hammerhart. Also gilt es, in den nächsten Wochen zu überlegen, wie man diesen politischen Predigerinnen und Predigern das Handwerk legen kann. Wie man, wie damals die Rhein_Neckarzeitung in Heidelberg Menschen so aufhetzen kann, dass sie brüllend aus der Kirche laufen und die PfarrerInnen zur Rede stellen. Am besten direkt im Gottesdienst. Immerhin: So würden vielleicht auch die Ulfs dieser Welt die Kirchen wieder ein wenig voller machen.

p.s.: Was soll ich sagen: Heute (7.1.2018) wurde in meiner Gemeinde ein neuer Pfarrer eingeführt. Und? Er hat auf Basis des heutigen vorgeschriebenen Predigttextes eine politische Predigt gehalten. Er hatte vor einem Jahr die Faschisten vor seinem Zimmer im Norden Bayerns mit ihren Hassparolen vorbeiziehen sehen und kann diesen Moment, diese unsäglichen Hassparolen, nicht vergessen. Gut, dass er es gesagt hat.

Und ein Jahr später, heute am 1.1.2019 in der Neujahrsandacht der Diakonie-Lutherkirche in Mannheim war eine wirklich ergreifende Predigt von Pfarrerin Judith Natho zu hören, bei der Ulf Poschardt wahrscheinlich total ausgerastet wäre.. Ja, nach diesem vergangenen Jahr 2018 mit den unerträglichen hetzenden Auftritten der AFD im Bundestag ist man als Christ verpflichtet aus dem Sofasessel aufzustehen und für diese Demokratie zu kämpfen und zwar an dem Platz in der Gesellschaft, der einem entspricht und an dem man die größtmögliche Wirkung entfalten kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

SiebzehnterJuni

MenschenSchutz statt HeimatSchutzChemiker und Organist

SiebzehnterJuni

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