Der sehr, sehr böse Jean-Luc Mélenchon

Blamegame: Zwei Tage vor der Stichwahl für das Am des französischen Präsidenten rauscht es durch den Blätterwald: Die Linken sind Schuld, wenn le Pen gewinnt!

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Dabei entbehrt diese Annahme einer rationalen Grundlage, was sich rechnerisch zeigen lässt.

Dazu schauen wir uns die Ergebnisse der ersten Runde an:

Macron: 24%

le Pen: 21,3%

Fillon 20%

Mélenchon: 19,6%

Hamon 6,4%

Dupont-Aignan 4,7%

Sonst: 4%

(wer dazu ein Bild kennt, dass man im Freitag einbetten darf kann das gerne in die Kommentare schreiben)

Aus der Vorwahl lässt sich erst mal feststellen, dass Macron vor le Pen lag. Das heißt, würden sich die Wähler der unterlegenen Kandidaten allesamt enthalten und nur die Wähler ihre Stimmen abgeben, die schon in der Vorwahl für Macron oder le Pen stimmten würde Macron gewinnen.

An diesem ersten Gedankenspiel lässt sich bereits zeigen, dass die verbreitete Annahme, eine geringe Wahlbeteiligung nutze automatisch le Pen, einfach nicht wahr ist. Macron verfügte in der Vorwahl über mehr eigene Anhänger als le Pen.

Das kann sich in der Zwischenzeit natürlich geändert haben. Nur stellt sich die Frage: Warum sollte das so sein? Also: Warum sollte jemand, der in der Vorwahl für Macron oder le Pen gestimmt hat, jetzt nicht mehr so abstimmen? Oder bei einer möglichen Mobilisierung von Nichtwählern: Warum sollten Wähler, die sich in der Vorrunde enthalten haben, jetzt in Scharen Le Pen zulaufen? Um Macron zu verhindern? Das erscheint nicht plausibel.

Damit le Pen die Präsidentschaft gewinnt müssten also naheliegender Weise Wähler der in der Vorrunde unterlegenen Kandidaten in der Stichwahl für Le Pen stimmen. Damit kommen wir zu den Wahlempfehlungen dieser Kandidaten.

Während Fillon und Hamon zur Wahl Macrons aufgerufen haben, hat Dupont-Aignan zur Wahl Le Pens aufgerufen. Mélenchon bat seine Wähler lediglich, nicht für le Pen zu stimmen, was ihm schwer angelastet wird.

Darum ein weiteres Gedankenspiel: Wir nehmen an alle Wähler der in der Vorrunde unterlegenen Kandidaten würden sich an die Empfehlungen ihrer Kandidaten halten und addieren das so entstehende Wählerpotenzial. Wir erhalten: 50,4% für Macron und 26% für le Pen.

Die % beziehen sich dabei noch auf alle Wähler der Vorrunde. Also: 50,4% der Wähler der Vorrunde stimmen nun für Macron. Da es in der Stichwahl nur zwei Kandidaten gibt, die Summe der abgegeben Stimmen für Macron und Le Pen also gleich 100% der Wahlbeteiligung ist, rechnen wir die Vorrundenstimmen von Mélenchons und "Sonst." jetzt heraus:

50,4%/(50,4%+26%)= 66% für Macron

26%/(50,4%+26%)= 34% für Le Pen

Unter den Annahmen, alle Wähler folgten den Empfehlungen ihrer Kandidaten (beziehungsweise bei Mélenchon: Ziehen die Enthaltung vor) und es findet keine bedeutende Mobilisierung von Nichtwählern der Vorrunde statt gewinnt Macron also ziemlich komfortabel.

Falls es doch eine Mobilisierung von Nichtwählern der Vorrunde in der Stichwahl gibt, so wird die aller Plausibilität nach für Macron ausfallen: Menschen, die Le Pen verhindern wollen, bequemen sich dann doch zur Urne. Der Sieg Macrons würde damit also noch komfortabler.

Da es, wie oben beschrieben, auch nicht plausibel ist, dass Macrons eigene Basis plötzlich zusammenbricht kann le Pen also nur dann gewinnen, wenn sich die Wähler der Vorrunde nicht an die Empfehlungen der unterlegenen Kandidaten halten. Womit dem Blamegame gegen den sehr bösen Mélenchon jegliche Substanz fehlt.

Naheliegenderweise wird le Pen dann gewinnen, wenn eine ausreichend große Anzahl an Fillon-Wählern für le Pen stimmt, denn hier gibt es (abgesehen von Dupont-Aignan) die größten inhaltlichen Übereinstimmungen.

Wenn also am Wochenende le Pen gewinnt und ihr einen Schuldigen sucht, dann richtet euren Blick nicht auf die Linken, sondern auf die Rechten. La france insoumise, das Wahlbündnis Mélenchons hat übrigens eine interne Umfrage durchgeführt:

36,12% wollen einen leeren Zettel abgeben

34,83% wollen für Macron stimmen

29,05% wollen zu Hause bleiben.

Wie viele Wähler Mélenchons für le Pen stimmen wollen geht daraus nicht hervor, man gewinnt aber einen Eindruck von der Stimmung an der Basis, wo die Option: Stimme für Le Pen nicht einmal in Erwägung gezogen wurde.

Allgemein gilt in einer Demokratie: Schuld am Wahlsieg einer Partei oder einer Person sind die, die entsprechend abgestimmt haben und nicht die, die sich enthalten haben.

Und wenn Macron besonderen Wert auf die Stimmen der Linken gelegt hätte, hätte er sich sicher entsprechend positioniert. Das heißt er hätte inhaltliche Signale senden müssen, zu einer Abkehr von Marktradikalismus, Austeritätspolitik und Neoliberalismus. Das hat er nicht getan. Wählern Mélenchons, die diese Kröte nicht schlucken wollen, einen Vorwurf zu machen zeugt letztlich von einem Mangel an demokratischer Kultur.

Schuld an einem möglichen Wahlsieg le Pens sind die linken Nichtwähler, wie oben gezeigt, so oder so nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sikkimoto

Linkspopulist & Wutbürger

Sikkimoto

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden