Dabei entbehrt diese Annahme einer rationalen Grundlage, was sich rechnerisch zeigen lässt.
Dazu schauen wir uns die Ergebnisse der ersten Runde an:
Macron: 24%
le Pen: 21,3%
Fillon 20%
Mélenchon: 19,6%
Hamon 6,4%
Dupont-Aignan 4,7%
Sonst: 4%
(wer dazu ein Bild kennt, dass man im Freitag einbetten darf kann das gerne in die Kommentare schreiben)
Aus der Vorwahl lässt sich erst mal feststellen, dass Macron vor le Pen lag. Das heißt, würden sich die Wähler der unterlegenen Kandidaten allesamt enthalten und nur die Wähler ihre Stimmen abgeben, die schon in der Vorwahl für Macron oder le Pen stimmten würde Macron gewinnen.
An diesem ersten Gedankenspiel lässt sich bereits zeigen, dass die verbreitete Annahme, eine geringe Wahlbeteiligung nutze automatisch le Pen, einfach nicht wahr ist. Macron verfügte in der Vorwahl über mehr eigene Anhänger als le Pen.
Das kann sich in der Zwischenzeit natürlich geändert haben. Nur stellt sich die Frage: Warum sollte das so sein? Also: Warum sollte jemand, der in der Vorwahl für Macron oder le Pen gestimmt hat, jetzt nicht mehr so abstimmen? Oder bei einer möglichen Mobilisierung von Nichtwählern: Warum sollten Wähler, die sich in der Vorrunde enthalten haben, jetzt in Scharen Le Pen zulaufen? Um Macron zu verhindern? Das erscheint nicht plausibel.
Damit le Pen die Präsidentschaft gewinnt müssten also naheliegender Weise Wähler der in der Vorrunde unterlegenen Kandidaten in der Stichwahl für Le Pen stimmen. Damit kommen wir zu den Wahlempfehlungen dieser Kandidaten.
Während Fillon und Hamon zur Wahl Macrons aufgerufen haben, hat Dupont-Aignan zur Wahl Le Pens aufgerufen. Mélenchon bat seine Wähler lediglich, nicht für le Pen zu stimmen, was ihm schwer angelastet wird.
Darum ein weiteres Gedankenspiel: Wir nehmen an alle Wähler der in der Vorrunde unterlegenen Kandidaten würden sich an die Empfehlungen ihrer Kandidaten halten und addieren das so entstehende Wählerpotenzial. Wir erhalten: 50,4% für Macron und 26% für le Pen.
Die % beziehen sich dabei noch auf alle Wähler der Vorrunde. Also: 50,4% der Wähler der Vorrunde stimmen nun für Macron. Da es in der Stichwahl nur zwei Kandidaten gibt, die Summe der abgegeben Stimmen für Macron und Le Pen also gleich 100% der Wahlbeteiligung ist, rechnen wir die Vorrundenstimmen von Mélenchons und "Sonst." jetzt heraus:
50,4%/(50,4%+26%)= 66% für Macron
26%/(50,4%+26%)= 34% für Le Pen
Unter den Annahmen, alle Wähler folgten den Empfehlungen ihrer Kandidaten (beziehungsweise bei Mélenchon: Ziehen die Enthaltung vor) und es findet keine bedeutende Mobilisierung von Nichtwählern der Vorrunde statt gewinnt Macron also ziemlich komfortabel.
Falls es doch eine Mobilisierung von Nichtwählern der Vorrunde in der Stichwahl gibt, so wird die aller Plausibilität nach für Macron ausfallen: Menschen, die Le Pen verhindern wollen, bequemen sich dann doch zur Urne. Der Sieg Macrons würde damit also noch komfortabler.
Da es, wie oben beschrieben, auch nicht plausibel ist, dass Macrons eigene Basis plötzlich zusammenbricht kann le Pen also nur dann gewinnen, wenn sich die Wähler der Vorrunde nicht an die Empfehlungen der unterlegenen Kandidaten halten. Womit dem Blamegame gegen den sehr bösen Mélenchon jegliche Substanz fehlt.
Naheliegenderweise wird le Pen dann gewinnen, wenn eine ausreichend große Anzahl an Fillon-Wählern für le Pen stimmt, denn hier gibt es (abgesehen von Dupont-Aignan) die größten inhaltlichen Übereinstimmungen.
Wenn also am Wochenende le Pen gewinnt und ihr einen Schuldigen sucht, dann richtet euren Blick nicht auf die Linken, sondern auf die Rechten. La france insoumise, das Wahlbündnis Mélenchons hat übrigens eine interne Umfrage durchgeführt:
36,12% wollen einen leeren Zettel abgeben
34,83% wollen für Macron stimmen
29,05% wollen zu Hause bleiben.
Wie viele Wähler Mélenchons für le Pen stimmen wollen geht daraus nicht hervor, man gewinnt aber einen Eindruck von der Stimmung an der Basis, wo die Option: Stimme für Le Pen nicht einmal in Erwägung gezogen wurde.
Allgemein gilt in einer Demokratie: Schuld am Wahlsieg einer Partei oder einer Person sind die, die entsprechend abgestimmt haben und nicht die, die sich enthalten haben.
Und wenn Macron besonderen Wert auf die Stimmen der Linken gelegt hätte, hätte er sich sicher entsprechend positioniert. Das heißt er hätte inhaltliche Signale senden müssen, zu einer Abkehr von Marktradikalismus, Austeritätspolitik und Neoliberalismus. Das hat er nicht getan. Wählern Mélenchons, die diese Kröte nicht schlucken wollen, einen Vorwurf zu machen zeugt letztlich von einem Mangel an demokratischer Kultur.
Schuld an einem möglichen Wahlsieg le Pens sind die linken Nichtwähler, wie oben gezeigt, so oder so nicht.
Kommentare 8
>>Und wenn Macron besonderen Wert auf die Stimmen der Linken gelegt hätte, hätte er sich sicher entsprechend positioniert. Das heißt er hätte inhaltliche Signale senden müssen, zu einer Abkehr von Marktradikalismus, Austeritätspolitik und Neoliberalismus. Das hat er nicht getan.<<
In einer anderen Diskussion hier habe ich es schon mal gesagt: Macron hat es gar nicht nötig, Zugeständnisse zu machen die er nach der Wahl wieder einkassieren würde: Er ist sicher, dass er Präsident wird mit genau dem Programm, für das er und seine Banksterkollegen bekanntermassen stehen. Er braucht schlicht und einfach keine Wähler von links, das sehe ich genau so.
Ich denke, dass diejenigen, die von der BRD aus den Franzosen ihre Wahlempfehlungen anzusinnen behaupten Bundeswahlkampf machen. Wenn Macron nicht haushoch gewinnt, dann wird der Rummel weiter gehen: "Die bösen Linken hätten beinahe Le Peng ins Amt gehoben!!!"
Ob er Zugeständnisse nicht nötig hat wissen wir übermorgen sicher. Da lehne ich mich nicht aus dem Fenster, meine Glaskugel ist auch gerade in der Werkstatt. So oder so haben sie Recht, er wird jedenfalls glauben Zugeständnisse nicht nötig zu haben. Sonst würde er sich anders verhalten.
Es wird auch keine Zugeständnisse an Macron von deutscher Regierung geben, wenn er Präsident wird. Seit gestern bei Maybritt Illner ist mir richtig bewusst geworden, dass dieses deutsche Europa uns alle ins Verderben stürzen wird. Frankreich wird ganz klein gemacht und muss Deutschland gehorchen, wie Griechenland.
@Sikkimoto
Volle Zustimmung.
Riefe Mélenchon seine Anhänger auf, am Sonntag Macron zu wählen, machte ihn das unglaubwürdig.
Ein solche Wahlempfehlung würde ihm und seiner Bewegung La France insoumise vor der Parlamentswahl am 11. und 18. Juni gewaltig um die Ohren gehauen werden. Und zwar von allen möglichen Seiten, auch von seinen meist jungen Wählern.
Mélenchons Rat an seine linken Wähler, am Sonntag auf keinen Fall Marine Le Pen zu wählen, reicht völlig aus. Macron hätte - wie von Mélenchon gefordert - politische Zugeständnisse an linke Positionen einräumen können. Er tat es nicht. Das wird seinen erwartbaren Wahlsieg knapper ausfallen lassen.
"Seit gestern bei Maybritt Illner ist mir richtig bewusst geworden, dass dieses deutsche Europa uns alle ins Verderben stürzen wird."
Interessant, wie sehr politische Talkshows Ihre politischen Einsehfähigkeiten bestimmen. Ich vermute, Sie beziehen sich vor allem auf Diskussionsbeiträge von Ulrike Guérot. Die Politikwissenschaftlerin, die auch ich sehr schätze, beschrieb allerdings auch Alternativen zum von Ihnen befürchteten Szenario. Und bedenken Sie: die deutsche Großbourgeoisie ist nicht bescheuert.
Googlen Sie auch:
Kraft und Gegenkraft
Macht und Gegenmacht
eher die erschreckende naivität, die man dann bei Linken sehen kann, wenn tatsächlich geglaubt wird, dass das bessere Argument gewinnen würde.
Ulrike hat man richtig angesehen, dass sie ziemlich naiv überrascht war von Altmeiers sturen Haltung.
Ja es geht um Macht. Nur die Macht haben andere. Wie man Macht bricht ist die Frage. Aber ganz sicher nicht durch bessere Argumente.
Ich liefere vorsorglich schon mal die wahrscheinlichere Erklärung: Wenn Le Peng gewinnen sollte, tragen die Neoliberalen ursächlich daran Schuld.
Keine gesellschaftliche Formation in Frankreich hat den Boden für die rechtspopulistische Wut so gepflügt und gedüngt wie die neoliberalen Eliten. Aktuell durch den Support eines Kandidaten, der a) die letzte verbliebene sozialdemokratische Kraft kannibalisiert hat, b) die marktradikale Gürtel-enger-schnallen-Politik der transnationalen Konzerne und Banken so abstrichslos rüberbringt wie kaum ein anderer. Zum zweiten durch die Dämonisierung des linken Lagers, also von Mélenchon und seinem Bündnis.
Selbst jetzt, wo es erkennbar kurz vor knapp steht, spielt die Bougoisie lieber Hasard, als mit der Linken ein echtes Bündnis zu suchen. Nach dem Motto: »Wenn ihr unser neoliberales Programm nicht zu hundert Prozent akzeptiert, dann kommen halt die Faschisten ran, soll uns nur recht sein.«
Leseart der offiziellen Medien, speziell in Germany: Wenn’s schiefgeht, ist zumindest die Linke schuld. Obwohl Mélenchon – nach der Abfuhr durch Macron – buchstäblich nichts auf der Hand hat, mit dem er den prekären Teil seiner Anhängerschaft zur Stimmabgabe für Macron bewegen kann.
Für diese Machenschaften gibt es (nur) ein Wort: Erpressung.
Ich muß mich korrigieren: Dolchstoßlegende ist das bessere Wort. Hat den Vorteil, dass es exakt in der Tradition steht, wo es hingehört.