Und der Papst war auch schon da

Berlinale Bilder, die Bilder überprüfen: Philip Scheffners „Revision“ und Thomas Heises „Die Lage“ zeigen, was sich hinter dem Begriff "Dokumentarfilm" verbergen kann

Zwei der interessantesten Arbeiten, die dieses Jahr auf der Berlinale zu sehen sind, machen deutsche Gegenwart zum Gegenstand einer filmischen Wiedervorlage. Deutlich wird dabei nicht nur, wie es in verschiedener Hinsicht um dieses Land, seine Repräsentationsroutinen, seinen Selbstverständigungsdiskurs steht, sondern auch, dass sich hinter dem monolithisch anmutenden Begriff „Dokumentarfilm“ ein breites Spektrum an Rhetoriken des Protokollierens, Rekonstruierens, Verfremdens verbirgt.

Revision, der Titel von Philip Scheffners drittem Film, bedeutet sowohl Rückschau als auch Überprüfung und gilt hier einem konkreten Fall, der sich 1992 an der deutsch-polnischen Grenze ereignet hat. Zwei deutsche Jäger töteten damals Grigore Velcu und Eudache Calderar, zwei Roma aus Rumänien. Die Schützen gaben an, dass sie die Opfer in der Unübersichtlichkeit eines Weizenfeldes im Morgengrauen mit Wildschweinen verwechselt hätten und plädierten auf Jagdunfall – eine Einschätzung, der sich die schleppend und fehlerhaft ermittelnde deutsche Justiz Jahre später in Form eines Freispruchs anschloss.

Kamera als Aufklärungsmedium

Dass Revision einen überprüfenden Blick zurück wirft, ist in einer Schlüsselszene des Films buchstäblich figurativ umgesetzt. Die Kamera ist dabei als nachträgliches Aufklärungsmedium dort positioniert, wo vor 20 Jahren die Jäger in etwa gestanden haben müssen, bei vergleichbaren Lichtverhältnissen. In dieser Rekonstruktion eines historischen Blicks wird zugleich ein Gegenwartsstandpunkt markiert.

Gegen den Eindruck einer filmisch leicht herstellbaren Evidenz, die sich trotz aller Plausibilität ein Urteil anmaßen würde, setzt Scheffners Fallrekonstruktion medienskeptische Einklammerungen. Beispielsweise wird den eingesammelten Zeugenaussagen gezielt die Unmittelbarkeit genommen, wenn die Sprecher wiederholt dabei gezeigt werden, wie sie der technisch vermittelten Aufzeichnung ihrer eigenen Äußerungen zuhören, diese bestätigen oder revidieren dürfen.


Was den Film motiviert, ist, dem Vorfall einen Kontext, den Opfern eine Geschichte zu geben, ihren Tod auf ein gesellschaftliches Klima grassierender Fremdenfeindlichkeit zu beziehen. Familienmitglieder in Rumänien kommen zu Wort, eine direkte Verbindung zu den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen wird hergestellt. Die Justizkritik bleibt in der Beweisführung des Films nicht rein verfahrenstechnisch. Statt sich im Nachweis staatsanwaltlicher Versäumnisse zu erschöpfen, zeigt er nebenbei, mit welcher Selbstverständlichkeit die Angehörigen der Opfer von Versicherungsfirmen um Entschädigungszahlungen geprellt wurden.

Rolltreppe zum Himmel

Während Philip Scheffner das filmische Medium als kontextschaffendes und revisionsoffenes Werkzeug ausweist, arbeitet Thomas Heise in seinem Film Die Lage mit hochpräzise gesetzten Bild-Ton-Montagen, die sich als korrektive Wiedervorlage eines massenmedialen Textes verstehen lassen. Als Hinterbühnenfilm, der sich mit dem Erfurter Papst-Besuch im September 2011 befasst, geht es aber auch Heise um die Verschiebung eines Blickverhältnisses, um eine andere Sichtweise.

Wer lange und konzentriert genug auf die Einübung staatsoffizieller Protokollroutinen blickt, bei der die Ministerpräsidentin schließlich fragt, auf welches Signal hin auch sie, die Nicht-Heilige, Bürgerhände wird schütteln dürfen, landet bei Gegen-Bildern, die fremder nicht sein könnten. Sorgfältig einstudierte Lauf- und Fahrwege, der ganze Aufwand an Vorformatierung massenmedialer Repräsentationsweisen, sehen dann wie ein Jacques-Tati-Parcours aus. Insbesondere der artifiziell entleerte Tonraum von Die Lage erinnert an den französischen Avantgarde-Slapsticker, der nicht nur mit den Räumen, sondern auch mit dem Sound der Moderne seine Probleme hatte.

Gegen-Bilder sind aber immer noch Bilder und geben dann eben anderes zu sehen: Wie der Papst während der Messe wegnickt, wie der Sprecher der Ministerpräsidentin mit gedämpft-weihevoller Stimme PR-Blödsinn in sein Smartphone spricht, wie der aktuelle Bundespräsident arglose Bürger mit Händeschüttelattacken belästigt, sobald er ahnt, dass eine Kamera auf ihn gerichtet ist. Eine grandios vereinzelte, geradezu jenseitige Posaunenstimme geistert durch diesen Film, der zwar Transzendenzbedürftigkeit registriert, dem päpstlichen Sinnstiftungsangebot aber recht trocken eine gleichgültig vor sich hin funktionierende Rolltreppe entgegensetzt.

Simon Rothöhler macht cargo-film.de

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