Das totale Patt.

Spanienwahl Die einzig mögliche Regierung wäre offenbar eine große Koalition aus PP und PSOE. Oder wären dem Wahlsieger-Verlierer Rajoy Neuwahlen lieber?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Spanien hat gewählt, und es ist tatsächlich so spannend geworden wie vorhergesagt. Die Medien bezeichnen den konservativen Regierungschef Rajoy als "Wahlsieger", tatsächlich hat seine PP jedoch 16 Prozent bzw. 63 Sitze verloren. Dass das alte Zweiparteiensystem beendet werden würde, war seit Jahren klar und hatte sich bereits bei den Regionalwahlen im Mai gezeigt. Wie dies genau aussehen würde haben die Medien jedoch wieder einmal grandios falsch eingeschätzt: Nachdem im Frühling zeitweise die neue linke Podemos-Partei in Umfragen führte, wurde diese in den letzten Monaten offenbar gezielt schwach- und die auf nationalem Niveau ebenfalls neuen Ciudadanos starkgeschrieben.

Der zeitweise möglich scheinende Wahlsieg von Podemos, in den Medien gern fälschlicherweise als "Protestpartei" abgestempelt, hatte sich mit der Unterzeichnung des Abkommens zwischen Griechenland und seinen Gläubigern am 13. Juli erledigt. Nichts Anderes dürfte auch das Hauptziel dieser Demütigung von Alexis Tsipras gewesen sein: Was ist ein "rotes Athen" gegen die Gefahr eines "roten Madrids"? Die ursprünglich aus Katalonien stammenden Ciudadanos hingegen werden zwar medial wahlweise als "liberal" oder "wirtschaftsfreundlich" betitelt - tatsächlich stehen sie jedoch politisch klar rechts und sind von der PP inhaltlich kaum zu unterscheiden, auch wenn sie sich ein jugendliches Reformer-Mäntelchen umhängen. So blöd sind die meisten WählerInnen also offenbar doch nicht, dass sie eine derart durchsichtige Kampagne zur Rettung der konserva- tiven Mehrheit nicht erkennen und sich nach Jahren sozialer Proteste so schnell wieder von Podemos abwenden würden.

Die Ergebnisse der Wahl: PP 123 Sitze, PSOE 90, Podemos 69, Ciudadanos 40, ERC-CATSI 9, DL 8, PNV 6, Unidad Popular En Comun 2, EH Bildu 2, CCa-PNC 1. Aufgrund der Verteilung der Sitze über die Stimmenanteile in den Regionen ist die Sitzverteilung nicht proportional zur Stimmenzahl, so erzielten PP 28,7%, PSOE 22%, Podemos 20,7% und Ciudadanos 13,9%. (ERC-CATSI: katalanische Linksnationalisten, DL: katalanische konservative Nationalisten, PNV: baskische konservative Nationalisten, Unidad Popular En Comun: Sammelbewegung der Linken Madrids, EH Bildu: baskische Linksnationalisten, CCa-PNC: kanarische Nationalisten)

Optionen...fast keine.

Damit haben die "rechten" PP und Ciudadanos zwar einen leichten Vorsprung von 163 zu 159 Sitzen gegenüber den "linken" PSOE und Podemos, aber das nützt ihnen wenig, weil weder baskische noch katalanische Nationalisten mit den Erz-Zentralisten der PP koalieren werden. Selbst für eine denkbar knappe Mehrheit unter den 350 Abgeordneten fehlen den Rechten 13 Sitze. Eine Koalition aus PSOE und Podemos sowie ERC, baskischen Nationalisten und Unidad Popular wäre zwar rechnerisch (und vielleicht sogar politisch, um die PP zu verhindern und bestimmte Reformen zu ermöglichen) möglich, aber sicherlich wenig dauerhaft. Der früher oder später unweigerlich einsetzende interne Streit würde zum Zerbrechen der Koalition führen und damit letztlich wieder der PP helfen.

Damit dürfte es wohl auf eine "große Koalition" aus PP und PSOE hinauslaufen, bei der sich beide Seiten genau belauern und auf einen für sie günstigen Zeitpunkt warten, um das Bündnis platzen zu lassen und Neuwahlen zu erzwingen - ähnlich wie in Griechenland von Mitte 2012 bis Ende 2014 unter Samaras. Beide Parteien eint ihr Interesse an "Stabilität" und daran, allzu drastischen Wandel und eine ernsthafte Trockenlegung des Korruptionssumpfes zu vermeiden. Auch in der Frage des katalanischen Seperatismus liegen ihre Positionen nicht weit auseinander, und dass es die "sozialistische" PSOE unter ihrem geradezu jugendlichen neuen Vorsitzenden Sanchez mit ihrer Ablehnung der Austeritätspolitik Ernst meint, muss sie erst noch beweisen. Vielleicht wäre ein solches Bündnis sogar stabil genug für die gesamte Legislaturperiode, wenn die PP sich etwas flexibler zeigte als in der Vergangenheit? Dass es die EU-Aufseher mit der Austerität in Zeiten von Terrorhysterie und Aufstieg nationalistischer Parteien nicht mehr ganz so genau nehmen, hat auch Rajoy bereits feststellen dürfen.

Dauerhafte Verschiebung oder Strohfeuer?

Für die politisch noch relativ unerfahrenen Podemos muss es kein Nachteil sein, nicht zu schnell in Madrid Regierungsverant- wortung übernehmen zu müssen - daran sind schließlich schon viele junge Parteien gescheitert. Nicht zuletzt dank der medialen Präsenz ihrer Galionsfigur Pablo Iglesias könnte es ihnen gelingen, weiterhin wichtige (v.a. soziale) Themen in die Diskussion zu bringen und so die Regierung vor sich herzutreiben. Zugute kommt ihnen dabei auch, dass die beiden größten Städte Madrid und Barcelona von populären Bürgermeisterinnen aus ihrem Umfeld regiert werden. Insofern könnten Podemos auch in der Opposition durchaus eine gewisse Wirkung erzielen und sich damit dauerhaft etablieren. Ob das auch für die Ciudadanos gilt, darf indes bezweifelt werden: Weder vertreten sie eigenständige politische Positionen, noch dürfte ihre faktische Rolle als Mehrheitsbeschaffer für die PP in etlichen Regionen ihre Glaubwürdigkeit als "Erneuerer" steigern. Dieses Risiko besteht jedoch für Podemos bei ihren regionalen Bündnissen mit der PSOE ebenfalls.

Alternativ könnte es natürlich durchaus sein, dass die Koalitionsverhandlungen irgendwann ergebnislos abgebrochen und Neuwahlen angesetzt werden (laut Gesetz frühestens in zwei Monaten), aber inwiefern könnten sich PP und PSOE davon einen Vorteil erhoffen? Würde diese Unfähigkeit der Etablierten nicht die WählerInnen erst recht in Scharen zu den "Neuen" treiben? Und rein theoretisch gäbe es auch noch die Möglichkeit einer von der PSOE geduldeten Minderheitsregierung von PP und Ciudadanos, bzw. PSOE und Podemos mit Duldung durch die Ciudadanos. Aber auf eine so offensichtlich nachteilhafte Konstellation dürfte kaum eineR der Beteiligten große Lust verspüren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

smukster

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden