“I think we have a deal.”

Syrienkonflikt Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass es hinter den Kulissen bereits weitreichende Vereinbarungen gibt. Die Frage ist nur: Wie sehen die aus?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Auswirkungen des Iran-Abkommens auf den Krieg in Syrien und dem Irak werden bislang nicht offen thematisiert. Dabei deutet alles darauf hin, dass im Zuge des Abschlusses hinter den Kulissen auch eine diesbezügliche Übereinkunft der relevanten Akteure erzielt wurde: Zu deutlich greifen die verschiedenen Entwicklungen der letzten Wochen ineinander, als dass es sich um eine Häufung von Zufällen handeln könnte. Das dabei angestrebte Ergebnis ist für nicht-Eingeweihte bislang nicht erkennbar, was sich aber im Laufe des Sommers ändern dürfte.

Schlag auf Schlag - neue Realitäten

Die Türkei kündigt den Friedensprozess mit der kurdischen PKK auf und bombardiert deren Stellungen im Irak und in der Osttürkei. Washington gestattet Ankara die lange geforderte Einrichtung einer Schutz-/Flugverbotszone in Nordsyrien, die zufällig auch das Zusammenwachsen der drei syrischen Kurdenkantone verhindert, und bekommt im Gegenzug das Recht zugestanden, die türkischen Luftwaffenstützpunkte in der Region für die eigenen Einsätze zu nutzen. Zumindest formal tritt die Türkei der “anti-ISIS-Koalition” bei, die damit offiziell fast alle Staaten der Region umfasst. Auf der anderen Seite erklärt Assad seine Armee für “geschwächt”, während Moskau (angeblich?) andeutet, möglicherweise auf Distanz zu diesem zu gehen.

Lawrow und Kerry einigen sich auf eine russisch-amerikanische UN-Resolution zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien. Gleichzeitig bedeutet das Eingeständnis der USA, trotz hoher Kosten statt wie geplant 5000 nur gut 50 “moderate” Rebellen ausgebildet zu haben, die dann noch prompt bei ihrer Ankunft von al-Nusra dezimiert wurden, das offizielle Scheitern ihrer bisherigen Strategie. Derweil häufen sich neue Berichte über Gewalttaten der IS-Milizen und lassen keinen Zweifel daran, wer als Haupt-Bösewicht in diesem Stück gesehen werden soll. Teheran und Damaskus halten sich bei alldem geradezu auffällig zurück; sie äußern lediglich “Zweifel” an der Ernsthaftigkeit von Ankaras Kampf gegen die Islamisten und mahnen die Respektierung der syrischen Souveränität an.

Zukunftsszenarien: Wer kontrolliert Syrien?

Zwar betonen viele Kommentatoren, dass die türkische Regierung weiterhin einen “regime change” in Damaskus anstrebt, und auch Washington wäre dem sicher nicht abgeneigt. Doch dessen Ankündigung, die eigenen syrischen Protegés zu verteidigen, wird trotz der Verlegung von sechs F16-Kampfflugzeugen und 300 Soldaten in die Türkei kaum in einen großen Kriegseinsatz mitten im US-Präsidentschaftswahlkampf münden. Und auch Erdogan mag zwar größenwahnsinnig sein, aber dass er eine militärische Invasion des Nachbarlandes befiehlt, ist nicht zu erwarten. Wer aber sollte dann das Land kontrollieren? Die “moderaten Rebellen” sind dazu nicht in der Lage, es bliebe also bei einer tatsächlichen Beseitigung des Assad-Regimes nur der “Islamische Staat”. Das aber wäre ein politisches (oder zumindest PR-)Desaster für Alle, die sich offiziell den “Kampf gegen den IS” auf die Fahnen geschrieben haben.

Unter der Annahme, dass die jüngsten Entwicklungen vom Ende der bisherigen Patt-Strategie, also des angestrebten Dauerkonflikts zweier Blöcke ohne Gewinner, künden, bleiben damit nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird eine Machtteilung in Form einer Regierung der nationalen Einheit angestrebt, bei der Assad vermutlich zunächst im Amt bliebe, die “moderate” Opposition jedoch ebenfalls mit Posten bedacht würde. Oder aber, was unwahrscheinlicher ist, eine wie auch immer geartete de-fakto-Aufteilung des Landes ähnlich wie im Irak, bei der der kurdische Norden unter türkischer Kontrolle stünde und der “Islamische Staat”, der seine Schuldigkeit getan hat, im Laufe der Zeit zurückgedrängt würde. Sicherlich entspräche weder das Eine noch das Andere den Vorstellungen Saudi-Arabiens, aber das gilt wohl für alles, was mit dem “Atom”abkommen zusammenhängt. Wenn Washington, Moskau und Teheran sich einig sind, ist Riad der Verlierer.

Erfolg der (Geheim-)Diplomatie

Die Interessenlagen in diesem Konflikt sind äußerst vielschichtig, und keine Seite spielt dabei mit offenen Karten. Entsprechend komplex sind die Verhandlungen und die Suche nach einem tragfähigen Kompromiss. Weder geben die USA und ihre Verbündeten bisherige strategische Ziele einfach ohne Gegenleistung auf, noch trägt die Vorstellung, ein mögliches Fallenlassen Assads durch Moskau sei ein “Geschenk” an die Amerikaner.

Doch wenn der Machtbereich des IS begrenzt, mittelfristig ein Abtreten Assads eingeleitet und die Entstehung eines Kurdenstaats in Syrien verhindert wird, wären die Kerninteressen fast aller relevanten Akteure berücksichtigt und damit auch Eckpunkte eines möglichen Lösungsplans skizziert. Die detaillierte Ausarbeitung dessen erfordert jedoch viel diplomatisches Fingerspitzengefühl sowie die Berücksichtigung weiterer Faktoren inner- und außerhalb der Region: Einige tausend Kilometer weiter nördlich gibt es zeitgleich die ersten ernsthaften Bemühungen Kiews, das Minsker Abkommen vom Februar endlich umzusetzen - auch dies könnte durchaus Teil eines “Deals” sein.

Könnte...als interessierte Außenstehende sind wir bislang auf höchst unvollständige Beobachtungen und daraus abgeleitete Konjunktive angewiesen. Aus diesen Indizien und der neuen Dynamik lässt sich jedoch ablesen, dass höchstwahrscheinlich wichtige Absprachen oder gar eine wirkliche Einigung bereits vorliegen. Wir kennen zwar weder deren genaue Inhalte noch ihr Ausmaß, aber wenn sie mittelfristig eine Deeskalation des brutalen Bürgerkriegs ermöglichen, dann sollten wir es als gute Nachricht betrachten. I think we have a deal.


Anmerkung:
Natürlich gibt es (mindestens) eine weitere - deutlich pessimistischere - denkbare Interpretation der aktuellen Ereignisse. Angesichts der sichtbaren Indizien, der Geschichte des Konflikts und der (auch politischen) Kräfteverhältnisse halte ich diese jedoch für sehr viel unwahrscheinlicher. Sollte ich mich irren, werde ich einen “mea culpa”-Artikel schreiben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

smukster

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden