Die Bestätigung der IAEA, dass der Iran alle Bedingungen aus dem Abkommen vom 14. Juli 2015 erfüllt hat, und die anschlies- sende sofortige Aufhebung der mit dem Atomprogramm begründeten Sanktionen (andere bleiben in Kraft, aber die sind weniger dramatisch) durch UN, USA und EU leiten eine neue Ära der Weltpolitik ein. Erstmals hat die "westliche Welt" im Streit mit einem Land, das sich ihr jahrelang offen widersetzt hat, nachgegeben und einen ausgehandelten Kompromiss akzeptiert. Und das Beste daran: Alle können mit dem Ergebnis gut leben, weil niemand als "Verlierer" vom Platz geht.
Die Bedeutung des "Atomabkommens" mit dem Iran kann kaum überschätzt werden. Es leitet nach Jahrzehnten der sich zuspit- zenden Konfrontation die geordnete Rückkehr des Landes als gleichberechtigter Partner in das internationale System ein und wird seine ohnehin starke regionale Stellung weiter aufwerten. Die Alternative zur gestrigen Einigung wäre gewesen, dass Teheran sich noch enger an Russland und China gebunden und vermutlich in Kürze der SCO beigetreten wäre - die Sanktionen wären dann auch ohne formale Aufhebung zusammengebrochen und sein Handel in Yuan und Rubel abgewickelt worden. Die damit einhergehende verschärfte Blockbildung, die insbeson- dere bei einem Scheitern in letzter Minute gedroht hätte, hätte mittelfristig mit gewisser Wahrscheinlichkeit zum Krieg geführt.
Triumph der Diplomatie
Dass es anders kam, ist vor allem der russischen und der US- Regierung zu verdanken. Kerry und Obama haben verstanden, dass die Zeit gegen sie arbeitet und es jetzt noch die Chance eines gesichtswahrenden Rückzugs gab. Sie haben angesichts des drohenden Zusammenschlusses ihrer strategischen Rivalen pragmatisch agiert und sind über ihren Schatten gesprungen, dabei auch den Bruch mit langjährigen Verbündeten riskierend. Lawrow und Putin haben, nicht ohne Gegenleistungen (Syrien, Ukraine), dafür gesorgt, dass der Iran der tatsächlichen (und für die westliche Öffentlichkeit wichtigen) Beschränkung seines Atomprogramms zustimmt und diesem dafür (gemeinsam mit China?) höchstwahrscheinlich Sicherheitsgarantien gegeben, nebst einer Lieferung S300-Luftabwehrraketen.
China hat mit seiner Neuen Seidenstraße und den neuen Finanzinstitutionen einen Rahmen geschaffen, der dem Land auch ohne US-Segen ein Ende der Isolation hätte bescheren können, und so Druck aufgebaut, ein Ergebnis zu erzielen. Und die iranische Regierung hat so geschickt und selbstbewusst verhandelt, dass ihr für die Zukunft weiter alle Bündnisoptionen offenstehen. Ein SCO-Beitritt ist zwar weiterhin möglich, aber ist er deswegen auch strategisch sinnvoll? Eigentlich nicht.
Jahrelanges Ringen mit allen Mitteln
Interessant ist es, im Rückblick die letzten Jahre zu betrachten und sich die Frage zu stellen, welche Akteure auf welche Art Druck für oder gegen das Abkommen ausgeübt haben. In China gab es in den letzten 7 Monaten drei große Börsencrashs - jedes Mal kurz vor dem Abschluss einer entscheidenden Etappe in Sachen "Atomabkommen". Zufall? In Korea kam es, ebenfalls im Vorfeld wichtiger Entscheidungen, zwei Mal zu einer plötzlichen Eskalation, und auch Saudi-Arabien war stets bestrebt, die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten in solchen Momenten zu verschärfen. Hoffte Riad dabei auf eine Überreaktion der Iraner, die das Abkommen torpediert hätte, oder (was wahrscheinlicher ist) auf einen Aufstand der religiösen Rechten im Iran? Oder war es doch alles nur ein merkwürdiger Zufall?
Wenn es heißt, dass es "keine Verlierer" gibt, dann stimmt das natürlich nicht ganz. Benjamin Netanjahu muss sich schweren Herzens einen neuen liebsten Feind suchen, mit dessen "Bedrohung" er um Wählerstimmen werden kann, und die Saudis sind plötzlich nicht mehr so "unverzichtbar" als strategischer Verbündeter in der Ölregion; ihre Tage dürften damit wohl gezählt sein. Doch in Anbetracht ihrer außenpolitischen Eskapaden und des zunehmenden wirtschaftlich-sozialen Konfliktpotentials im Land wären sie das wohl auch ohne Atomabkommen, so dass dieser drohende Ausfall des "Stabilitätsankers" für Washington vielmehr ein zusätzlicher Anreiz gewesen sein dürfte, eine Einigung anzustreben.
Haupt- und Nebenschauplätze - was stand auf dem Spiel?
Ganz am Rande: Den "Experten" - in so unangenehmen Bereichen sind es tatsächlich fast immer Männer - zufolge sind die Auflagen und deren Kontrollen so gestaltet, dass der Iran tatsächlich keine Atomwaffen entwickeln kann. Das macht zwar angesichts der russischen Garantien nicht wirklich einen Unterschied für die Sicherheit des Landes, bedeutet aber immerhin, dass der Rüstungswettlauf in der Region nicht zusätzlich angefacht wird. Allen am Prozess Beteiligten dürfte jedoch klar sein, dass es bei dem Konflikt und den Sanktionen nie wirklich um das "umstrittene Atomprogramm" ging, sondern immer um die westliche Hegemonie in der Golfregion, der sich Teheran nicht unterordnen wollte. Damit wurde das Land zu einem Symbol für den Widerstand gegen die unipolare Weltordnung der Zeit nach dem Kalten Krieg, und den gewaltsamen Sturz dieses Symbols hätten weder Moskau noch Beijing hingenommen.
Die Auswirkungen der Einigung an den Börsen sind bereits zu beobachten. Der Ölpreis ist in den vergangenen Wochen, wohl in Erwartung des zusätzlichen Angebots, auf immer neue Tiefststände gefallen und liegt derzeit bei etwa 29 Dollar, dem niedrigsten Preis seit über 12 Jahren. Wie weit er noch fallen kann, wird spannend zu beobachten sein, ebenso in welcher Form sich der Ölmarkt angesichts des zunehmenden Handels auf Yuan- oder Rubelbasis grundlegend neu aufstellt. Dieser Prozess wird noch länger andauern und zu einem völlig anderen Verhältnis von Ölhandel und Währungen führen, und diese Umstellung wird mit Sicherheit nicht ohne Konflikte ablaufen - Nigeria und Venezuela scheinen die ersten Kandidaten dafür zu sein. Doch bergen diese anders als die langjährige Auseinander- setzung mit dem Iran nicht das Potenzial einer weiträumigen, womöglich globalen Ausbreitung. Eine friedliche Welt mag zwar noch ein fernes Ziel sein, aber der Weltkrieg wurde gestern bis auf Weiteres abgesagt.
Kommentare 8
Das ist mir ein bisschen zu mittelmeerzentrisch gedacht: der indisch-pakistanische Konflikt und die Konflikte um das Südchinesische Meer (und umzu) gehören zu den am meisten unterschätzten der Welt - jedenfalls in Europa.
"Der Ölpreis [...] Wie weit er noch fallen kann, wird spannend zu beobachten sein, ebenso in welcher Form sich der Ölmarkt angesichts des zunehmenden Handels auf Yuan- oder Rubelbasis grundlegend neu aufstellt."
Spannend, das noch erleben zu dürfen, im Großen wie im Kleinen. So müssten sich energieintensive Produkte und Dienstleistungen (im Kleinen) eigentlich deutlich verbilligen; eigentlich ...
Unterschätzt ganz bestimmt, aber keiner von beiden hat das Potenzial zum Weltkrieg, besonders nicht jetzt wo Indien und Pakistan in der SCO sind. Welcher südostasiatische Staat würde die USA zur Hilfe rufen für einen Krieg gegen China? Keiner.
Benzin bis auf Weiteres, ja - allerdings würde es mich nicht wundern, wenn dafür die Steuern erhöht würden. Außerdem braucht das Finanzsystem die hohen Ölumsätze nicht mehr so dringend wie zuvor, d.h. es wird auch möglich, durch die Förderung von Alternativen den Verbrauch zu senken.
Schön, so einen tendentiell positiven Zwischenruf zu lesen. Eskalationen an Chinas Börse oder in Korea mit heißen Phasen der Iran-Verhandlungen zu verbinden, ist choreografsich interessant... Heiße Phasen findet allerdings auch anderswo, wenn man lange genug guckt.
Kerry und Obama haben verstanden, dass die Zeit gegen sie arbeitet und es jetzt noch die Chance eines gesichtswahrenden Rückzugs gab. - Bush junior war demnach nicht schlau genug, das zu erkennen. Oder Rückzug war einfach nicht eine Option, Gesichtswahrung zweitrangig.
Bush junior und Co. haben die eigene Position maßlos überschätzt und nicht gemerkt, dass sie mit ihrer Kompromisslosigkeit ihr eigenes Grab schaufeln. Das Ansehen der USA ist in der Zeit drastisch gesunken, und die Rivalen haben sich zusammengeschlossen. Gleichzeitig hat sich die wirtschaftliche Situation des Landes dramatisch verschlechtert.
Ja, es ist recht spekulativ, das zusammenzubringen, aber andererseits finde ich es auch schwer, beim dritten Mal noch an bloße Zufälle zu glauben (die es durchaus auch gibt), und beim Iranabkommen steht tatsächlich sehr viel auf dem Spiel. Dass China finanzwirtschaftliche Druckmittel in der Hand hält, ist Allen klar - wann wenn nicht hier wäre der Zeitpunkt, mit diesen zu drohen? Was es mit den kurz vorher gefangenen Soldaten auf sich hatte...keine Ahnung. Ist vielleicht besser, wenn das im Dunkeln bleibt.
Ach so, China rasselt mit hauseigenen Börsencrashs, wohlwissend (glaubend), dass beim Durchwinken der Crashs die Folgen für den Westen schwerwiegender wären als in China selbst? Nur weil es für sie selbst auch nicht unerheblich übel wäre, belassen sie es beim Rasseln.
Wenn sie ihr Ziel so erreichen können sicherlich. Vor einigen Jahren war es noch ausgeglichen, heute würde ich tatsächlich sagen, dass der Westen dabei mehr zu verlieren hat und China eher einen Zusammenbruch riskieren könnte.