Am 13. Juli ordnete Präsident Poroschenko die Entwaffnung der Milizen des “Rechten Sektors” an, nachdem es zu einer Schießerei mit der Polizei mit mehreren Toten gekommen war. Die Organisation demonstrierte daraufhin in Kiew und rief zum Aufstand auf, was jedoch nur wenige Anhänger auf die Straßen trieb.
Damit war der politische Machtkampf zwischen Oligarchen- und Nationalistenlager schnell entschieden, der spätestens seit dem zweiten Minsker Abkommen vom Februar offensichtlich war: Poroschenko hatte in diesem die Autonomie des Donbass de facto anerkannt und das Ende der Kämpfe sowie eine Verfassungsreform versprochen, sehr zum Missfallen der rechten Hardliner in Politik und rechten Milizen wie “Azov”. Eine erste Zuspitzung hatte es bereits im März gegeben, in deren Folge der Oligarch Kolomoisky seinen Gouverneursposten in Dnepropetrovsk verlor.
Die zweite wichtige Entscheidung gab es am 16. Juli, als das Parmalent überraschend eine Verfassungsänderung zur Dezentralisierung des Landes beschloss, wie es das Minsker Abkommen vorsah. Im Donbass werden damit von Kiew anerkannte autonome Wahlen denkbar, wohl in Vorbereitung dessen hatte Poroschenko im Juni bereits den Gouverneur von Donezk ausgewechselt. Aber auch in Kiew dreht sich das Personalkarussell und kündet von sich verändernden Machtverhältnissen: Nachdem kurz zuvor bereits Geheimdienstchef und Gesundheitsminister ihre Posten verloren, traf es Mitte Juli den Chef der Luftwaffe; außerdem kursieren Gerüchte über eine weitergehende Kabinettsumbildung im Herbst.
Neues internationales Umfeld
Damit sind die entscheidenden Hürden auf dem Weg zu einem dauerhaften Waffenstillstand auf einen Schlag aus dem Weg geräumt. Da ein so plötzliches Umdenken in Kiew wohl ausgeschlossen ist, muss die Ursache hierfür in einer Veränderung des Verhältnisses zu den Staaten des “Westens” liegen, von denen die ukrainische Regierung ökonomisch (und damit auch politisch) vollkommen abhängig ist.
Hatten diese schon zuvor zunehmend die Geduld verloren mit Kiews Unfähigkeit, Reformen z.B. zur Bekämpfung der Korruption voranzutreiben, so scheinen sie diesem nun unmissverständlich klargemacht zu haben, dass an der tatsächlichen und zeitnahen Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk kein Weg vorbeiführt. Das stellt eine strategische Neuausrichtung ersten Ranges dar und wird mittelfristig auch das Verhältnis des Westens zu Russland zum Positiven wenden.
Es kann davon ausgegangen werden, dass Moskau eine Gegenleistung dafür erbracht hat, dass die unmittelbare Kriegsgefahr an seiner Südgrenze deutlich abgeschwächt wurde. Fast zeitgleich erfolgte die “Einigung” mit Griechenland und der endgültige Durchbruch in den Verhandlungen mit dem Iran; bei beidem ist denkbar, dass Russlands Einflussnahme entscheidend für das Zustandekommen war.
Unterdessen an der Front
Angeblich kam es um den 10. August zu den schwersten Kämpfen seit Langem, nachdem Ende Juli erneut ein ausgehandelter Waffenabzug im Sande verlaufen war: Die ukrainische Armee habe Donezk und Gorlowka unter heftigen Beschuss genommen, während die Separatisten nördlich von Mariupol in die Offensive gegangen seien. Also doch alle Zeichen auf Eskalation, wie das Viele seit Monaten befürchten?
Nein. Die oben genannten Entwicklungen bedeuten, dass Kiew militärisch nichts zu gewinnen hat und die Zügel im Bürgerkrieg deutlicher an sich nimmt, während die Rebellen zwar vermutlich die Möglichkeit hätten, Terrain zu erobern, aber sicherlich nicht die Zustimmung Moskaus dazu. Von daher ist eine dramatische Zuspitzung seit Mitte Juli ganz im Gegenteil extrem unwahrscheinlich, ja unmöglich geworden.
Die jüngsten Kämpfe könnten Zeichen einer Frontbegradigung sein, um etwaigen weiteren Beschuss der Großstädte im Donbass zu erschweren, oder ein letzter Verzweiflungskampf der nationalistischen Milizen, deren einzige Chance weiterzubestehen jetzt darin liegt, sofort eine Ausweitung des Krieges herbeizuführen. Angesichts der Kräfteverhältnisse wird ihnen das jedoch nicht gelingen - zum Glück.
Eine ausführlichere Version dieses Artikels gibt es in Kürze auf meinem Blog: geopolitikblog.wordpress.com.
Kommentare 13
Das hier liest sich anders
und die umfassende berichterstattung von hans springstein ebenfalls. eine fliege macht noch keinen sommer...
Das liest sich hoffnungsvoll. Trotzdem mutete dies letzte Treffen - hier in Berlin - ohne Putin schon seltsam an. Ich hoffe noch immer, dass Sie recht behalten.
deren einzige Chance weiterzubestehen jetzt darin liegt, sofort eine Ausweitung des Krieges herbeizuführen. Angesichts der Kräfteverhältnisse wird ihnen das jedoch nicht gelingen - zum Glück.
Noch einmal - hoffentlich. Immerhin wurden auch bevor Minsk II inkraft trat, noch einmal die Kampfhandlungen verstärkt. Vielleicht sind die jetzt aufgeflammten Kämpfe so etwas wie eine Frontbegradigung.
Ja, genau das ist eine Möglichkeit die ich sehe: Frontbegradigung, um den Beschuss der Großstädte zu verhindern. Oder eben versuchte Eskalation seitens Azov und Co.
Nach dem jüngsten Treffen in Berlin gabs immerhin eine vereinbarte Waffenruhe ab 1.9. und Schuldenerlass - ein Schelm... Ein neues Treffen inkl. Russland ist ja offenbar angedacht, und die aktuellen juristischen Angriffe gegen Lyaschko zeugen ebenfalls von dem Machtkampf.
Dass sich das vielerorts anders liest, ist mir klar - weil die meisten vor lauter Lärm & Nebel die wirklich entscheidenden Dinge übersehen. Es bringt nichts, über Taktik zu diskutieren, wenn mensch die Strategie(n) dahinter nicht begriffen hat.
PS. Zur Erläuterung sollte ich vielleicht dazusagen, dass ich den Artikel vor gut zwei Wochen geschrieben und nur minimal angepasst hatte.
Es bringt aber nichts, jedes Einzelereignis zu debattieren, wenn mensch die größere Strategie nicht analysiert oder nicht verstanden hat.
Warten wir den 1. September ab. Wäre ein gutes Datum.
weil die meisten vor lauter Lärm & Nebel die wirklich entscheidenden Dinge übersehen. Es bringt nichts, über Taktik zu diskutieren, wenn mensch die Strategie(n) dahinter nicht begriffen hat.
Ce'st vrai. Aber, auch, weil viele eine einzige Strategie im Hintergrund haben. Hier in der FC ist das Brzezinskis Buch von 1997 "The Grand Chessboard", das manchmal wie eine Art Kochbuch behandelt wird, das irgendwann ein geostrategisches Weltgericht hervorbringen wird.
Es bringt aber nichts, jedes Einzelereignis zu debattieren, wenn mensch die größere Strategie nicht analysiert oder nicht verstanden hat.
danke für die blumen. es ist doch entscheidend, ob und wie dann die usa aus dem konflikt schleichen könnten, wenn sie wollten. dafür sehe ich keine anzeichen.
Sorry, war in Eile und daher etwas, nunja, undiplomatisch in der Formulierung. Absolut richtig, aber genau diese Anzeichen sehe ich sehr wohl, z.B. den Beschluss, Azov nicht zu unterstützen. Das Thema wird langsam runtergekocht, von anderen Dingen überlagert, damit die krachende Niederlage der USA (richtiger: der Neocons) nicht allzusehr auffällt - nicht das erste Mal, oder hat sich Obama irgendwann hingestellt und gesagt: "Sorry, wir haben den Afghanistankrieg verloren und hauen ab."? Es gibt dort einfach nichts (mehr) zu gewinnen, und daran ändert auch gelegentliches Aufheulen von Nuland, Breedlove oder McCain nichts.
@Magda:
Ich bin absolut überzeugt, dass Zbig das strategische Drehbuch der Ukrainekrise geschrieben bzw. Mackinders Plotidee ausformuliert hat. Aber die Strategie ist in der Ukraine gescheitert und das sehen auch in Washington die meisten inzwischen ein. Und nicht nur das: Nach Art des Orakels von Delphi hat der Versuch, das eigene Glück zu erzwingen, überhaupt erst in die Katastrophe geführt. Stichwort Beijing-Moskau-Berlin.
Werter Smukster,
Sie schreiben:
(...)Das Thema wird langsam runtergekocht, von anderen Dingen überlagert, damit die krachende Niederlage der USA (richtiger: der Neocons) nicht allzusehr auffällt(...)
Wo bitte, sehen Sie eine krachende Niederlage der USA?
Die USA haben doch ihre Ziele fast erreicht. Ihre Leute sind an den Schalthebeln der Macht, Russland bzw. Putin ist erfolgreich dämonisiert worden, Europa wurde vorgeführt und hat im günstigsten Fall erneute Flüchtlinge zu gewärtigen, die aber ganz schnell über den Landweg kommen.
Ganz hat es zwar nicht geklappt, weil Putin eben nicht einmarschiert ist, in Afghanistan war das noch anders.
Eine krachende Niederlage stelle ich mir aber anders vor...
Afghanistankrieg verloren und hauen ab.
das stimmt, ist sichtbar. anders verhält sich das (noch) in der ukraine. von abziehen keine rede, keine spur.
dass die drahtzieher sich das anders vorgestellt hatte, als es nun gekommen ist, geschenkt.
Wenn Sie das Wort "krachende" stört, dann lassen Sie es eben weg und lesen Sie nur "Niederlage". Die Frage ist doch, was strategisch erreicht werden sollte und wieviel davon geklappt hat. Nach meiner Einschätzung nicht viel, das Verhältnis zwischen der EU und Russland hat zwar Schaden genommen, ist aber im Großen und Ganzen intakt.
Dass es noch keinen "Abzug" gibt mag ja sein, aber es gibt eben auch keinen Blumentopf mehr zu gewinnen, insofern ist die reine Anwesenheit irrelevant und womöglich sogar schädlich - wenn die eigenen Verbündeten international in Ungnade fallen, sollte mensch sich beizeiten von ihnen absetzen...
Ich denke, reichlich eine Woche später, nach der Abstimmung in der Verkhnova Rada und den gewalttätigen Ausschreitungen am 31.8., der Reaktion von Poroschenko und Awakow auf diese Ausschreitungen und den Aeusserungen von Poroschenko bezüglich der Waffenruhe muss mansmuksterbescheinigen, einen guten Riecher gehabt zu haben.
Ob der Weg der Entspannung auch langfristig weiter beschritten wird, muss sich noch zeigen. Es gab immer wieder mal halbherzige Versuche in dieser Richtung, die dann schnell abgebrochen wurden. Aber dass es diesmal von beiden Seiten etwas ernsthafter betrieben wird, sollte wohl inzwischen ausser Frage stehen.
Danke - eigentlich sage ich seit einem Jahr immer wieder das gleiche, aber manchmal scheint es mir fast, alswolltenviele einen großen Krieg. Weil der so spannend ist?
Wie gesagt: Die Frage ist doch, wer welche Interessen verfolgt und von wem dabei unterstützt wird. Es gibt keine Mehrheit für einen Krieg, und jetzt auch keine Hoffnung auf Unterstützung der radikalen Minderheit mehr.