Arno Rink. Ich male!

Ausstellung Das Museum der bildenden Künste Leipzig widmet dem 2017 verstorbenen Vertreter der Leipziger Schule eine große Retrospektive

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Bärtig, kantig, glatzköpfig, so stellte sich der Leipziger Maler Arno Rink (1940-2017) 1982 der Kamera des Fotografen Helfried Strauß. Rasur heißt die Fotoserie. Sie hängt im ersten Raum der dem im vorigen September verstorbenen Vertreter der Neuen Leipziger Schule gewidmeten großen Retrospektive im Museum der bildenden Künste Leipzig. Aber nicht nur das Aussehen des 1940 im thüringischen Schlotheim geborenen Künstlers hatte sich da geändert, auch im Werk gab es einen Bruch. Der in seinen frühen Jahren mit Farben und klar konturierten Formen nicht geizende Rink setzte nun Steigende, Stürzende und immer wieder sich selbst in wesentlich fahleren Farben und weiniger konturierten Formen ins Bild. Das Gemälde Die Nacht aus dem Jahr 1988 zeigt den Maler nackt und schmal vor lärmender Meute hockend. In der Hand mit langen, schmalen Fingern hält er eine Zigarette. Ein Rückzug ins Private.

Persönliche Schicksalsschläge, Ängste und eine tiefe Zerrissenheit wie wohl auch depressive Selbstzweifel ließen Arno Rink neue Wege der seelischen Innenschau gehen. Diese düstere Werkphase wird trotz allem zu einer sehr produktiven und wohl auch interessantesten im Schaffen des 1984 mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichneten und 1987 zum Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig ernannten Künstlers. Die Ausstellung, für die Arno Rink noch selbst kurz vor seinem Tod einige Bilder aussuchen konnte, gibt den 1980er und 1990er Jahren (in denen der Maler noch bis 1994 Rektor, bis 2005 Prorektor und bis 2007 Leiter einer Meisterklasse war) viel Raum. In einer Phase, als die Malerei gemeinhin nicht mehr viel galt, wird Rink zum Vater der Neuen Leipziger Schule. Zu seinen Schülern gehörten die heute sehr bekannten und bei Sammlern begehrten Maler Michael Triegel, Christoph Ruckhäberle und Neo Rauch, mit dem ihn auch eine tiefe, von Rauch selbst als väterlich bezeichnete Freundschaft verband.

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Der erst bei der zweiten Bewerbung 1962 zum Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig zugelassene Rink lernte bei Werner Tübke und Bernhard Heisig. Er hatte schnell Erfolg und begann selbst 1972 eine Lehrtätigkeit an der Hochschule. Am Beginn der Ausstellung stehen seine sozialistisch-realistischen Frühwerke wie die Großgemälde Die führende Rolle der Arbeiterklasse (1973/74) und eine zweite Fassung seines Diplombilds Lied vom Oktober (1968), dessen Erstfassung einen Dauerplatz im damaligen Militärmuseum Dresden bekam. Die Maler der ersten Generation der Leipziger Schule und andere bekannte Vorbilder sind da noch unverkennbar. Rink malte an den Historienstil Tübkes und die surrealen Bilderwelten eines Salvator Dalí erinnernde Bilder mit dem für die damalige Zeit in der DDR genehmen politischen Gehalt.

In den 1970er Jahren entstanden einige Gemälde mit kämpferisch revolutionären und antikapitalistischen Motiven wie Tod der Kommunarden, Canto Libre als Hommage an Pablo Neruda, Die Unabhängigen II mit dem Konterfei von Ho Chi Minh oder Stürzender Aggressor und Terror II als Kommentar zum Militärputsch in Chile. Aber auch das andere große Bildthema ist da schon sehr präsent. Rink malte als bekennender Erotomane vor allem Frauenakte. Frühe Beispiele dieser Obsession sind hier Zwei Frauen am Strand von 1972 und ein umschlungenes Paar im Wind von 1973. Ob als Allegorie oder mit mythischem Bezug, als Große Versuchung, Späte Versuchung oder einfach nur Versuchung wie das hier gezeigte Gemälde einer Frau in rotem Kleid von 1995/95, Arno Rink war besessen vom weiblichen Körper. Als Muse diente ihm seine Frau Christine, von der hier auch ein frühes Portrait in züchtigem Blau zu sehen ist.

Ab Ende der 1980er Jahren wandte sich Rink auch biblischen Motiven zu. Vor allem malte er immer wieder Judith, Salome und Lots Töchter, bekannt für ihre die Männer versuchenden Zuschreibungen. Rink rang hier mit den eigenen erotischen Obsessionen, malte Frauen aber nie sexuell abwertend sondern immer bewundernd in stolzer Pose. Das mag heute etwas voyeuristisch oder gar frauenfeindlich anmuten. Die Akte, in denen er sich auch auf Vorbilder wie Gustav Courbet bezog, sprechen da aber eine ganz eigene Sprache. Rink griff die Motive über Jahre immer wieder auf. So steht hier die Judith mit rotem Tuch von 1998 einer Version von 2009/10 gegenüber.

Interessante Einblicke in den Arbeitsprozess bietet die ausgestellte Serie der Studien zu seinem 1994 entstandenen Gemälde Leda, die Rink in fast abstrakter Form auf Papier zeichnet, wild übermalte und collagierte. Die Wendeereignisse, Kritik an seiner Person und Malerei hält er in düsteren Bildern wie der Selbstportraitserie Protokoll einer Ministerbesprechung (1991) oder Brennendes Atelier (1990) fest. Der Ausstellungstitel Ich male! ist da tatsächlich als expressiver Schrei zu verstehen, der 2002 in einem Selbstbildnis auf Papier in einer fast giacomettihaft dünnen Bleistift-Silhouette endet. Danach wird Rinks Malstil wieder ruhiger und gegenständlicher. Letzte Arbeiten von 2009-12 rücken nochmal das Atelier des Malers in den Mittelpunkt. Schon von der Krebserkrankung gezeichnet, reflektiert sich hier Arno Rink in verwischenden Kontouren als alternder Künstler vor seinem Werk.

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Zuerst erschienen am 25.05.2018 auf Kultura-Extra.

Arno Rink. Ich male!
18.04. - 19.08.2018
Museum der bildenden Künste Leipzig
Katharinenstraße 10
04109 Leipzig

Weitere Infos siehe auch: http://www.mdbk.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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