DER KAISER VON KALIFORNIEN

Theater An der Berliner Volksbühne inszeniert Alexander Eisenach die Geschichte des Amerika-Kolonisten Johann August Sutter im Castorf-Style

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An der Volksbühne hat gerade der Reigen der Eröffnungspremieren der neuen, durch die Corona-Pandemie bestimmten Spielzeit an den Berliner Theatern begonnen. Die Premiere des Stücks Der Kaiser von Kalifornien war eigentlich für März geplant, musste aber wegen des Lockdowns verschoben werden. Autor und Regisseur Alexander Eisenach, der bisher am Berliner Ensemble ein altes Kriminal-Hörspiel von Heiner Müller vertheaterte und zwei Inszenierungen zu Thomas Manns Hochstaplerroman Felix Krull herausbrachte, widmet sich nun in seiner ersten Arbeit für die Volksbühne dem Schweizer Kaufmann und Gründer der kalifornischen Privatkolonie Neu-Helvetien Johann August Sutter (1803-1880). Sutter war eine schillernde, nicht unumstrittene Persönlichkeit mit utopischen Ideen einer neuen Gesellschaft, die allerdings (wie damals üblich) auch auf dem Rücken der indigenen Bevölkerung verwirklicht wurden. Damit gescheitert ist Sutter, nachdem 1848 auf seinem Land Gold gefunden wurde, was den kalifornischen Goldrausch auslöste. Sutter verlor dadurch seine Arbeitskräfte, und Goldsucher verwüsteten sein Land. Durch eigenes wirtschaftliches Unvermögen und einen jahrelangen Entschädigungsprozess verlor Sutter den größten Teil seines Vermögens.

Dieser Teil von Sutters Biografie war Inspirationsquelle für zahlreiche Romane und auch zwei Verfilmungen. Der 1936 vom österreichischen Bergsteiger, Schauspieler und Regisseur Luis Trenker gedrehte Film Der Kaiser von Kalifornien liegt nun wiederum dem von Alexander Eisenach verfassten Stück zugrunde. Aber auch aus anderen literarischen Quellen wie Walter Benjamins Berliner Chronik, Joseph Conrads Roman Herz der Finsternis, Jack Londons Roman Lockruf des Goldes oder Ovids Metamorphosen hat der junge Autor und Regisseur geschöpft. Die einzelnen Passagen sind zum Teil recht gut zu erkennen. Ein für die Bühne aufbereitetes literarisches Meshup, das sich vor allem dem Scheitern des amerikanischen Traums im Westernformat und der Gründung der Finanzmärkte widmet.

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Beides ist in der Literatur, im Film und Theater nichts Neues. So feierten u.a. das 2013 uraufgeführte Theaterstück Lehman Brothers. Aufstieg und Fall einer Dynastie von Stefano Massini mit ähnlichen Mitteln große Erfolge auf deutschen Bühnen. An Alexander Eisenach ist nun aber ein kleiner Frank Castorf verloren gegangen, zunächst zu erkennen am raumgreifenden Bühnenbild (Daniel Wollenzin), das in Form eines eingezäunten Gevierts mit Wachtürmen das Sutter-Fort und die Mühle mit Mühlrad (Ort des Goldfunds) darstellt. Mittels Livekamera ist das Corona-bedingt spärlich besetzte Auditorium immer mit dabei. Etliche Fremdtexteinlagen gehören ebenso so zum Inszenierungsrepertoire.

Zunächst aber gestaltet Eisenach den Beginn als Stummfilmvariante, bei der das Volksbühnenensemble die Gründung der Kolonie Neu-Helvetia darstellt. Zu dräuenden Elektroklängen und Drumbeats von den Live-Musikern Sven Michelson und Niklas Kraft wird die Legende um den Messias-artigen Visionär Sutter (Johanna Bantzer) als Pioniergeschichte performt. Am mit Äpfeln und Brot gefüllten Abendmahlstisch werden aber auch bald Gewehre gezeigt. Ein Ausblick auf das gewaltsame Ende. Der Tod als ständiger Begleiter der Siedler. Dazu werden gemalte Indianerkriegsszenen und Disneys` Pocahontas auf die Zäune projiziert. Auch dieser Pop-Eklektizismus ist ja ein wiederkehrendes Stilmittel von Frank Castorf.

Der Atem der zweieinhalbstündigen Inszenierung reicht aber höchsten für 90 Minuten. Das Ensemble müht sich mit Eisenachs recht thesenhaftem Text, der in einzelnen Spielszenen den Niedergang Sutters und die durch die Goldfunde aufkommenden Stadt- und Investmentbankgründungen thematisiert. Als Vertreter der alten Ordnung fungiert hier die Figur eines Kopfgeldjägers (Robert Kuchenbuch), dessen Kompagnon (Sebastian Grünewald) einfach in die Geldwirtschaft wechselt und dem Goldsucher (Sarah Franke, den Bühnenboden mit der Spitzhacke malträtierend) die Nuggets abknöpft. Die Logik der Finanzmärkte. Der Fortschritt erklärt am Räderwerk der Mühle, Sinnbild der unaufhaltsamen Industrialisierung und sich weiterdrehenden Geschichte. Gewaltlose Kommunikation löst die Sprache der Gewehre ab, mündet dafür aber in andere Kämpfe. Man kennt das aus zahlreichen Spätwestern. Der Traum vom goldenen Westen mit dem Rohstoff Glück, das man nur aufheben muss.

Ein Glück, was immer auch auf Raub basiert. Das hat man hier schnell verstanden. Trotzdem verlinkt Eisenach das Ganze auch noch sichtbar in die Nachcoronazeit. Der Lockdown als Chance, Neues zu denken und vielleicht doch mal das Rad der Geschichte in eine andre Richtung zu drehen. Ein choreografierter Squaredance des Ensembles in Infektionsschutzanzügen bedeutet aber ein stumpfes Weiterso. Danach hätte eigentlich Schluss sein können. Die Regie häuft aber munter weiter mystische Szenen, endlose Textmengen und fade Witzchen bis zum lang erwarteten Showdown auf.

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Zuerst erschienen am 30.08.2020 auf Kultura-Extra.

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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