Die letzte Station

Premierenkritik Ersan Mondtag scheitert am Berliner Ensemble mit einer düsteren Sterbeelegie

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Zur Situation alter Menschen in unserer Gesellschaft gibt es recht wenig Stoffe für das Theater. Die wenigen, die sich mit den Problemen des Alterns und dem Sterben befassen, betrachten das meist aus dem Blickwinkel der jüngeren Generation, die am Totenbett eines Elternteils oder nach dem Tod beim Ausräumen der elterlichen Wohnung über verpasste Chancen der Verständigung und das eigene Leben reflektieren. Über den Prozess des Wegsperrens der Alten und ihr unwürdiges Dahinsiechen in Pflegeheimen hat die junge Schweizer Dramatikerin Katja Brunner mit geister sind auch nur menschen einen sehr starken Theatertext geschrieben, den die Regisseurin Claudia Bauer (mit 89/90 auf dem letzten THEATERTREFFEN) auf der kleinen Bühne des Schauspiels Leipzig in eindrucksvolle und bildstarke Choreografien übersetzte. Für das Berliner Ensemble unter dem neuen Intendanten Oliver Reese versucht Regie-Jungstar Ersan Mondtag nun Ähnliches. Die letzte Station heißt diese neue Bühnenarbeit, für die Mondtag und Ensemble in drei Berliner Alteneinrichtungen recherchiert haben.

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Das ist leider gründlich in die Inkontinenzhose gegangen. Der gute Wille - bei Ersan Mondtag auch immer mit einem großen Willen zur Form gepaart - ist erkennbar, allerdings kommt der Abend nicht über eine in sämtliche Klischeefallen stolpernde Ärgerlichkeit hinaus. Zunächst aber herrscht Stille über einem Bühnensetting mit Tannenwäldchen, Ziehbrunnen und Holzhausskelet, vor dem Neu-BE-Schauspielerin Judith Engel mit Grauhaarperücke und beigefarbenem Kostüm sitzt und andächtig wartet. Worauf wird erst nach ein paar Minuten klar, wenn Constanze Becker in Nachthemd und Pantoffeln mit einem Koffer in der Hand somnambul in Richtung Wäldchen schlurft. „Gehen Sie ruhig weiter.“ wird ihr Judith Engel im Lauf des Abends immer wieder bedeutungsvoll zuraunen. Scheinbar ist sie aber noch nicht bereit, den letzten Schritt in Richtung Jenseits zu tun, von dem man wie in einem dichten Wald nicht weiß, was einen dort erwartet. Dagegen kommen nun weitere Figuren aus dem Wäldchen heraus, sich sanft wiegend und die alte, sichtlich verwirrte Frau in die Mitte nehmend. Sie gehören neben dem kleinwüchsigen BE-Schauspieler Peter Luppa hauptsächlich zur Tanzgruppe Dance On (also: Tanz weiter), das aus TänzerInnen deutlich jenseits der 40 besteht.

Das hat zunächst durchaus auch etwas Unheimliches, für das die Gruselmärchen der Brüder Grimm Pate gestanden haben mögen. Ein leicht dementes Krippenspiel unter Heiminsassen wird hier gegeben, das sich nach und nach von "Stille Nacht" zu einem Altersalbtraum in Moll verwandelt. Der etwas zähe Abend schwankt dabei zwischen senilem Dahindämmern, schwindenden Erinnerungssplittern der Frau an den Mann Karl (Laurence Rupp), ihre Kinder und das Sterben der Mutter sowie einer akuten Altersdepression, die sich hier in ein paar aggressiven Schüben seitens Constanze Beckers Figur Hanna äußert. Das Warten auf das Ende wird immer wieder durch kleine Zwiegespräche der beiden Frauen unterbrochen. Der ansonsten recht sparsame Text schwingt sich dabei sogar zu einigen philosophischen Betrachtungen auf. „Sie haben ihr Leben bekommen, sie mussten es leben, jetzt geben sie es wieder hin. Sie wurden in die Windel geboren, sie gehen in die Windel zurück.“ Dabei erweist sich angesichts der voranschreitenden Demenz letztendlich sogar der Jean-Paul-Aphorismus von der Erinnerung, als einzigem Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann, als schnöde Lüge.

Lahmes Zombietheater

Die vor sich hin dämmernde Inszenierung macht einem das Verstreichen von Lebenszeit bleiern spürbar. Wären da nicht die auflockernden Tanzeinlagen der Dance-On-Mitglieder, die wie untote Geisterwesen oder Hirngespinste Hannas sich mal ironisch kabbeln, mal slapstickartiges Ringelreihen, Square Dance oder eine hinreißende Tremor-Performance vollführen, man müsste wohl allein schon aus Langeweile zu Grunde gehen. Die Frage nach dem Danach erschöpft sich dann allerdings nur in einer unversöhnlichen Hass-Suada Constanze Beckers über ein angeblich friedvolles Ende in Sterbehotels am Stadtrand und die Verlogenheit der Weihnachtsgeschichte. Ein abschließender großer Knall mit Supernova, schwarzem Loch und Zombiefluch. Der Abend möchte einem die Wut der Vergessenen ins Gesicht schreien und dabei noch möglichst kunstvoll aussehen. Leider scheitert Ersan Mondtag bei dem Versuch, das in anschaubares Theater zu verwandeln.

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Zuerst erschienen am 17.2.2017 auf Kultura-Extra.

Die letzte Station (BE, Kleines Haus, 14.12.2017)
von Ersan Mondtag
Regie: Ersan Mondtag
Bühne: Stefan Britze
Kostüme: Raphaela Rose
Musik: Diana Syrse
Licht: Ulrich Eh
Künstlerische Beratung: Clara Topic-Matutin
Mit: Constanze Becker, Judith Engel, Peter Luppa, Laurence Rupp, Ty Boomershine, Brit Rodemund, Christopher Roman, Jone San Martin, Frédéric Tavernini
Die Uraufführung war am 14.12.2017 im Kleinen Haus des Berliner Ensembles
Dauer: 90 Minuten, keine Pause
Termine: 19., 20., 21., 28., 29., 31.12.2017 / 09., 10., 11., 18., 19., 20.01.2018

Infos: https://www.berliner-ensemble.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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