Die Verdammten

Premierenkritik Nazioper mit Dramaqueen - David Bösch liefert am Berliner Ensemble eine eher etwas zähe Visconti-Parodie ab

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Das Berliner Ensemble lädt im November 10 Instagrammerinnen und Instagrammer zu einer speziellen Theaterführung hinter die Kulissen der TV-Serie Babylon Berlin, für die das BE in einer der Folgen als Original-Schauplatz diente. Eine Aufführung der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill, die im Jahre 1929 im Theater am Schiffbauer Damm Premiere hatte, und bei der ein Attentat der Schwarzen Reichswehr auf Gustav Stresemann, den Außenminister des Deutschen Reichs, verhindert wird, wobei der große Kronleuchter des Saals eine gewisse Rolle spielt. Die 1920er Jahre sind momentan nicht nur wegen der TV-Serie von Tom Tykwer schwer in Mode. Brechts Dreigroschenoper ist auch noch Thema in einem Kinofilm von Joachim A. Lang. Vor allem wird aber momentan die politische Lage in Deutschland gern mit der kurz vor dem Ende der Weimarer Republik verglichen. Erodierende Volksparteien und Wahlsiege rechter Populisten lassen einem durchaus auch Paarallelen zu jener Zeit ziehen. Die Demokratie wird auf die Probe gestellt. Wobei trotzt deutlicher Anzeichen noch keiner wirklich an deren Untergang glauben mag.

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In dem 1969 entstanden Kinofilm Die Verdammten, im Originaltitel La caduta degli die (dt.: Der Untergang der Götter), von Luchino Visconti ist man schon etwas weiter. Zu Beginn brennt bereits der Reichstag. Es ist 1933, Hitlers Machtergreifung liegt nur kurze Zeit zurück. In der Villa der Stahlindustriellenfamilie von Essenbeck wird der Geburtstag des Firmenpatriarchen Joachim gefeiert. Visconti inszeniert hier eine an die Krupp-Dynastie erinnernde Geschichte von Aufstieg und Verfall. Ein von Anbiederung an die Nazis geprägtes und von Machtintrigen geschütteltes Familiendrama als opulente filmische Oper mit Wagnermusik und großer Besetzung u.a. mit Dirk Bogard, Charlotte Rampling und dem jungen Helmut Berger als degeneriertem Firmenspross Martin von Essenbeck.

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Obwohl es am Monatsende einen echten Macbeth am Berliner Ensemble geben wird, inszeniert Regisseur David Bösch eine Bühnenadaption dieses an Shakespeares Königsdrama erinnernden Films und lässt gleich noch jede Menge Verdi dazu spielen. Große Oper also auch am BE? Man hat schon Visconti vorgeworfen sein opulentes Melodram durch dekorative Weitschweifigkeit und artifizielle Stilisierung geschwächt zu haben. Auf der sonst leeren Bühne des BE steht nur eine große Tafel unterm riesigen Kronleuchter. Bösch bietet auf, was es an großen Mimen im Ensemble gibt. Zunächst aber stehen fünf junge Männer (Vincent Furrer, Lukas Huber, Eidin Jalali, Max Paier, Till Timmermann) Zigarette qualmend vor dem schwarzen Vorhang. Die Bediensteten der Essenbecks, die hier Volkes Stimme kundtun und die degenerierte Obrigkeit zum Teufel wünschen. Später sind sie noch als Bücher verbrennende Studenten und SA-Männer zu sehen.

Die Wirtschaftseliten streiten sich derweil um die Firmenführung und ihr zukünftiges Verhältnis zu den neuen Machthabern, die mit Cousin und SS-Hauptsturmführer Wolf von Aschenbach (Martin Rentzsch) als heimlichen Strippenzieher und Königsmacher immer mit am Tisch sitzen. Das Programmheft macht in einem Beitrag Obrigkeitshörigkeit und patriarchale Machtverhältnisse für die Entstehung autoritärer System verantwortlich. Das ist v.a. für Deutschland sehr zutreffend. Die junge Demokratie der Weimarer Republik laborierte immer noch stark am Untertanengeist der Kaiserzeit. In der Familie Essenbeck macht sich das an den Vater-Sohn-Beziehungen bemerkbar. Konstantin von Essenbeck (Robert Kuchenbuch) gibt die Zurechtweisungen und Erniedrigungen des Vaters Joachim (Wolfgang Michael), unter den er leidet, unhinterfragt an den eigenen eher kunstsinnigen Sohn Günther (Owen Peter Read) weiter. Die Firma geht über alles.

Das ist es aber dann auch schon, außer ein paar historischen Videobildern, die von der Weimarer Zeit, dem Dritten Reich und dem Nachkriegsdeutschland mit Wirtschaftswunder, Brandt- und Kohl-Ära über den Mauerfall bis zur Berliner Republik führen, macht die Inszenierung die behaupteten Parallelen kaum sichtbar. Es wird der Filmplott abgespult, der sich um die Macht in der Firma dreht. Nachdem Emporkömmling Friedrich Bruckmann (Peter Moltzen) angestachelt von Wolf von Aschenbach und der verwitweten Schwiegertochter Sophie von Essenbeck (Corinna Kirchhoff) den Patriarchen Joachim aus dem Weg geräumt haben, ernennt Martin von Essenbeck (Nico Holonics), Sohn von Sophie und Erbe der Aktienmehrheit, Bruckmann zum Generaldirektor.

Konstantin ist entmachtet und fällt später als SA-Mann der Nacht der langen Messer zum Opfer. Dem vormaligen liberalen Firmendirektor Herbert Thalmann (Maik Solbach) wird die Schuld am Mord Joachims in die Schuhe geschoben. Er muss fliehen. Seine Familie mit Frau Elisabeth Thalmann-von Essenbeck (Sina Martens) und den beiden Kindern endet im Konzentrationslager Dachau.

Bösch baut hier immer wieder wie zur Erklärung kleinere Rampenmonologe ein mit Zitaten von Nazigrößen oder Schriftstellern und Dichtern wie Bertolt Brecht, dessen Gesicht kurz bei der mit echten Flammen inszenierten Bücherverbrennung am Bühnenhorizont auftaucht. Koffer stehen hier für Flucht und Vernichtung. Die SA-Kohorten singen "Flieger grüß mir die Sonne" oder anderes nationalistisches Liedgut. Aber die große Dramaqueen des Abends ist Nico Holonics als psychopathologischer Fall und pädophiler Sohn Martin, der als Marlene-Dietrich-Parodie selbst der Lady Macbeth Corinna Kirchhoff die Schau stiehlt. Da wirkt auch der verhinderter Macbeth Peter Moltzen, der tatsächlich zitternd Shakespeare-Verse rezitiert und auch mal mit dem Schwert auftaucht, relativ blass. Bösch macht es recht theatralisch und drückt auch zum Ende voll auf die Drama-Tube. Das Hochzeitspaar Sophie von Essenbeck und Friedrich Bruckmann fällt unter den Schüssen des sich von seiner Übermutter befreienden Martin. Die Nazis sind am Ziel und wie zur Mahnung lässt Bösch noch mal alle blutüberströmten Leichen des Stücks aufmarschieren. Bösch liefert hier eher eine etwas zähe Visconti-Parodie. Wer melodramatischen Shakespeare mag, dürfte auf seine Kosten kommen.

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Zuerst erschienen am 05.11.2018 auf Kultura-Extra.

DIE VERDAMMTEN (Berliner Ensemble, 03.11.2018)
Regie: David Bösch
Bühne: Patrick Bannwart
Kostüme: Moana Stemberger
Musik: Karsten Riedel
Video: Bert Zander
Licht: Ulrich Eh
Dramaturgie: Sibylle Baschung
Mit: Wolfgang Michael (als Joachim von Essenbeck), Martin Rentzsch (als Hauptsturmführer Wolf von Aschenbach), Corinna Kirchhoff (als Baronin Sophie von Essenbeck), Nico Holonics (als Baron Martin von Essenbeck), Peter Moltzen (als Friedrich Bruckmann), Robert Kuchenbuch (als Baron Konstantin von Essenbeck), Owen Peter Read (als Baron Günther von Essenbeck), Sina Martens (als Baronin Elisabeth Thalmann-von Essenbeck), Maik Solbach (als Herbert Thalmann) und den Kindern Leonore von Berg, Smilla Erlebach, Anna Valentiner sowie Vincent Furrer, Lukas Huber, Eidin Jalali, Max Paier, Till Timmermann (als Angestellte, Studenten und Soldaten)
Premiere war am 3. November 2018.
Weitere Termine: 14.11. / 01., 08., 12.12.2018

Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-ensemble.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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