Junge Dramatik aus Österreich (Teil 2)

Theater Johnny Breitwieser - Thomas Arzt und Jherek Bischoff zeigen am Schauspielhaus Wien eine Brecht'sche Verbrecherballade.

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„Gesellschaftliche Veränderung fängt immer mit Außenseitern an, die spüren, was notwendig ist.“ Robert Jungk (1913-1994), Zukunftsforscher

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Der 1983 in Oberösterreich geborene Dramatiker Thomas Arzt ist bereits durch seine recht erfolgreichen Stücke Grillenparz, uraufgeführt 2011 am Schauspielhaus Wien, und Alpenvorland, 2013 am Landestheater Linz uraufgeführt und mit dem Autorenpreis des 29. Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet, aufgefallen. Hatte der junge Autor da noch regional in den Bergen seiner österreichischen Heimat angesiedelte moderne Anti-Volksstücke geschrieben, geht er nun mit seiner Verbrecherballade Johnny Breitwieser in der Geschichte zum Ende der k.u.k-Zeit zurück. In den Vorstädten Wiens gelangte der 1891 geborene Johann Breitwieser zu kurzzeitiger Berühmtheit. Ein Kleinkrimineller mit Ausstrahlung, eine Art Robin-Hood-Gestalt, der das Geld der Banken an die Armen Wiens verteilte. Ihm gelangen einige bemerkenswerte Coups. Erst nach einem längeren Katz- und Mausspiel aus dem Untergrund heraus wurde Breitwieser 1919 von der Polizei gestellt, erschossen und vom Volk zum Märtyrer erklärt.

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Johnny Breitwieser im Schauspielhaus Wien
Foto (c) Robert Polster

Nach dem Aufstieg von Ewald Palmetshofer und dem jüngst mit am beispiel der butter nach Mülheim eingeladenen Ferdinand Schmalz erweist sich das Wiener Schauspielhaus mal wieder als Geburtshelfer für eine weitere bemerkenswerte österreichische Dramatiker-Karriere. Am kleinen Theater in der Porzellangasse, an dem Thomas Arzt ebenso wie vorher schon Ewald Palmetshofer in der Spielzeit 2010/2011 seine ersten Sporen als Hausautor verdient hat, feierte nun Ende November 2014 sein neuestes Stück Premiere. Johnny Breitwieser - Eine Verbrecher-Ballade aus Wienist ein in groben Zügen an Bertolt Brechts Dreigroschenoper angelehntes Kriminal-, Sozial- und Liebesdrama mit Musik von dem US-amerikanischen Komponisten Jherek Bischoff. Arzt hat aus der historischen Vorlage eine Handvoll interessanter Randgestalten um den sogenannten „Meidlinger Einbrecherkönig“ herausgelöst, um mit ihnen eine Ballade über die Sehnsucht nach Freiheit, Anarchie, Rebellion und den Aufstieg aus elenden Verhältnissen in die gut bürgerlichen Schichten Wiens vor dem Ersten Weltkrieg zu erzählen.

Das Stück von Thomas Arzt zeigt in ganz klassischer Abfolge den Aufstieg und Fall eines zum Volkshelden stilisierten Mann aus der Unterschicht mit dem nötigen Charisma und Mundwerk. „A Rattn mit einer Sprach.“ wie Kiberer Schödl (Florian von Manteuffel) seinen ewigen Gegenspieler, den schönen Johnny (Martin Vischer), abfällig nennt. Hier reimt sich Brot noch auf Not und die Kanalratten sind weit in der Überzahl. Doch anstatt wie die „stadschauerte“ Luise (Nicola Kirsch) nach einem Geld zu betteln, holen sich Johnny und sein Bruder Carl (Thiemo Strutzenberger) einfach, was sie haben wollen. Während Johnny, der Mann für die coolen Sprüche, nebenbei auch Herzen stiehlt, zeichnet Bruder Carl, der Nachdenkliche, verantwortlich für das Rationale und die Logistik. Nebenbei beseitigt er noch als hilfreicher Engelmacher Johnnys Kollateralschäden. Die Beiden sägen und schweißen an dem käfigartigen Drahtgestänge, das Ivan Bazak auf die Bühne des Schauspielhauses gestellt hat. Doch der Tresor in der Bank ist leer und das Kapital weitergezogen.

„Ist eine bedingte Welt. Da kann‘s passieren, dass das Verbrechen im Grunde das Richtige ist.“
Johnny, ein Verbrecher

Für den Outlaw oder auch Anarchisten Johnny ist das Gute immer an scheiß Bedingungen angekettet. Und auch das Verbrechen läuft nicht bedingungslos ab.Carl ist dagegen Sozialist und träumt davon, nach Russland zu gehen. Er bleibt im Ersten Weltkrieg stecken und gibt ein Bein dran, während Johnny im Knast überwintert. Die großen Ideen erweisen sich als nicht so leicht zu haben. Man muss sich entscheiden: „Verstummen oder Gewalt“. Der Krieg ist hässlich, aber notwendig für die Veränderung. „Was die Revolution betrifft, so kann sie unmöglich aus dem Sitzen passieren, oder aus dem Liegen. Das ist das unbequeme am Revolutionären.” - so sieht es Carl. Regisseur Alexander Charim lässt die Revolutionäre im Wartestand aber zunächst noch bei einer mondänen Party dem besoffenen Kapital die Scheine aus der Tasche ziehen. Johnny verfällt seiner Sehnsucht, der reichen Greta (Katja Jung), Carl wird Kanonenfutter und singt finster von „Soldaten ohne Köpf“.

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Johnny Breitwieser im Schauspielhaus Wien
Foto (c) Robert Polster

Aber auch eine andere Frau hat es Johnny angetan. Seine große Liebe ist Anna (Franziska Hackl), die er auf der Straße aufliest und der er ein besseres Leben bieten will. Dafür braucht es Geld. Doch auch dieses Geld ist nicht genug, denn Anna will eine Zukunft anstatt das Lebens im Moment. „Da muss doch auch mal ein Leben danach kommen“,singt sie. Und so steckt Johnny schnell in der bürgerlichen Falle, die letztendlich auch eine goldene ist. Als Bild der kleinbürgerlichen Gemütlichkeit landet der „Maidlinger Einbrecherkönig“ schließlich als „Bourgeois von St. Andrä“ auf einem Fauteuil seiner Villa und putzt still die Waffe. Bereit sein ist alles.

„Was morgen ist, muss heute noch nicht sein.“
der Chor

Nach dem Krieg bricht schließlich die alte Ordnung zusammen. Der Kaiser ist tot, doch die gottgewollte Hackordnung besteht weiter. „Der Staat ist der Staat auch wenn er dumm ist, ist`s immer noch der Staat.“ Bluthund Schödl bleibt Johnny auf den Fersen und findet zielsicher den nötigen Verräter. Der etwas einfach gestrickte Gangster-Kumpan Wenzl (Gideon Maoz) gibt Breitwieser für eine weiße, fleckenlose Identität preis. Im Stücktext und den Songs spricht Thomas Arzt von Elend, Kapital, Banken, Fleischbörsen, Marxismus und Aufbruch. Da ist er ganz beim vermeintlichen Vorbild Brecht. Die Musik von Jherek Bischoff bleibt in der Ballade und Moritat, ist mal Wiener Lied mit Streichern, mal Pop mit Schlagzeug. Neben ein paar deftigen Chören behält die softe Melancholie die Oberhand. Johnny singt: „Ich möchte ein Leichenzug sein.“ und ganz Wien gibt ihm die Ehre.

Der Zukunftsforscher Robert Jungk schrieb 1952: „Die Zukunft ist keine sauber von der jeweiligen Gegenwart abgelöste Utopie: die Zukunft hat schon begonnen. Aber noch kann sie, wenn rechtzeitig erkannt, verändert werden.“ Sang in den 1970er Jahren der DDR die mit Auftrittsverbot belegte Klaus Renft Combo in Zwischen Liebe und Zorn: „Revolution ist das Morgen schon im Heute, ist kein Bett und kein Thron für den Arsch zufriedner Leute“, heißt es hier nun im Schlusschor der Protagonisten: „Was morgen ist, muss heute noch nicht sein.“ Auf dem Sofa sitzt ein Land im Stillstand und skandiert: „Morgen stirbt der Widerstand am Hunger, heute fressen wir in uns hinein.“ - Fazit Arzt: „Die Armut ist da, wo der Widerstand aufhört.“

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Stückzitate aus Johnny Breitwieser von Thomas Arzt

Johnny Breitwieser - Eine Verbrecher-Ballade aus Wien (UA)

von Thomas Arzt und Jherek Bischoff (Komposition)

Regie: Alexander Charim

Bühne und Kostüme: Ivan Bazak

Dramaturgie: Laura Berman

musikalische Leitung: Belush Korenyi

Bühnenmusiker: Ensemble LUX (Streichquartett) und Mathias Koch (Schlagzeug)

Mit:

Johnny, ein Verbrecher: Martin Vischer

Carl, sein Bruder: Thiemo Strutzenberger

Anne, seine Liebe: Franziska Hackl

Greta, seine Sehnsucht: Katja Jung

Luise, sein Volk: Nicola Kirsch

Wenzl, sein Verräter: Gideon Maoz

Schödl, sein Mörder: Florian von Manteuffel

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause

Premiere: 28. November 2014

Gesehene Vorstellung am 31.01.2014

Termine: 20., 21. und 31.01. 2015 03., 18. und 19.02.2015 07. und 10.03.2015

Info: http://www.schauspielhaus.at/johnny_breitwieser%20

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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