Junge Dramatik aus Österreich (Teil 1)

Theater Geschichtsbewältigung auf Österreichisch mit "die unverheiratete" von Ewald Palmetshofer im Akademietheater Wien

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Im vergangenen Jahr standen aus deutsch/österreichischer Sicht zwei geschichtlich einschneidende Ereignisse zum Gedenken an. Der Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, der oft noch nicht nur für Österreicher ursächlich mit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers und seiner Gattin im bosnischen Sarajevo zusammenhängt, und der Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren, ebenfalls ein geschichtlich noch immer wunder Punkt für Österreich. Die Vergangenheitsbewältigung auf den österreichischen Bühnen blieb da nicht allein bei den Schüssen in Sarajevo und den Letzten Tagen der Menschheit stehen, auch die Verdrängung der individuellen Schuld am Geschehen im Österreich der Nazizeit wurde beleuchtet.

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In seinem für das Wiener Akademietheater entstandenenAuftragswerk die unverheiratete zeichnet der 36jährige österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer anhand von Gerichtsakten die wahre Geschichte einer Frau nach, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs einen Soldaten anzeigte, nachdem sie zufällig ein Telefongespräch belauscht hatte, in dem jener von abhau'n" sprach. Der junge Mann wurde zum Tode und die damals ebenfalls noch junge Frau deswegen nach dem Krieg zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Stück geht es nun u.a. um das Verdrängen von Schuld und die Schwierigkeit des Erinnerns einer alten Frau, die von Ihrer Tochter und Enkelin nach einem Zusammenbruch im Krankenhaus zu ihrer Vergangenheit befragt wird.

DIE ALTE ich kann nur sagen
kann mich nicht erinnern mehr
beim besten Willen nicht
ist durchaus möglich dass
ich weiß es nicht
kann immer wieder sagen nur…

Palmetshofer, dessen frühe Stücke schon recht erfolgreich im Schauspielhaus Wien uraufgeführt wurden, hat sich bereits in seinem ersten, für das Burgtheater geschriebenen Stück räuber.schuldengenital (von Stephan Kimming 2012 ebenfalls am Wiener Akademietheater uraufgeführt) mit dem Generationenkonflikt beschäftigt. Auch die unverheiratete zeigt anhand dreier Generationen nicht aufgearbeitete Probleme zwischen einer Großmutter, ihrer Tochter und Enkelin (hier die Junge, die Mittlere und die Alte genannt). Dem hat Palmetshofer obendrein noch eine Art Elektra-Paraphrase eingeschrieben. Wie der Erinnyen-Chor einer griechischen Tragödie rezitieren Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Sylvie Rohrer und Petra Morzé als die Hundsmäuligen wechselnd in Biedermeierkostümen, Schwesternuniformen und Gouvernanten-Look aus den Gerichtsakten.

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die unverheiratete - Foto (C) Georg Soulek /Burgtheater

Sie wirken wie das personifizierte schlechte Gewissen der Alten (Elisabeth Orth), wobei hier die eigentliche Elektra durch die Mittlere (Christiane von Poelnitz) dargestellt wird, die schon zu Beginn einen Holztisch mit der Axt traktiert. Später wird sie, von der Jungen (Stefanie Reinsperger) mit Blut übergossen, einen ich bin Elektra"-Text sprechen. Palmetshofers Jamben erinnern da nicht von ungefähr auch an Heiner Müller. Hier werden symbolisch die Toten wieder ausgegraben. Der deutsche Regisseur Robert Borgmann hat dazu mit Erde einige Grabhügel aufschütten lassen, die nicht nur verbal ordentlich umgewühlt werden. Frau gräbt aber nicht allein in den verschütteten Erinnerungen, sondern auch im psychologisch Unterbewussten.

DIE MITTLERE ...
kein Bruder keine Schwester von dem Baum gepflückt
Orest nicht tot nein nie geboren keine Axt zu schwingen
harten Stahl zu führen gegen Rinde morschen Stamm
wart ich auf keinen mehr
ich bin sie selbst
ich bin die Axt
es fällt der Stamm
der Mutterbaum
er brenne
lichterloh

Alle drei haben da ihre Lücken. Die Alte in der Vergangenheit, wie die Mittlere, die mit diesem Erbe hadert und die Junge mit ihren flüchtigen Sexbeziehungen zu Männern, die sie im Schlaf fotografiert. Bezeichnend ist dabei wohl die vollständige Abwesenheit der Männer im Stück, wie im Leben der Alten und ihrer Tochter. Die „Weiberwirtschaft“, wie es die Alte nennt, scheint aber gerade daran zu kranken. Der Mittleren fehlten der Vater und ein Bruder. Die Wut darüber überträgt sich auf die Junge, die der Alten beharrlich ihre Geheimnisse abzuringen versucht. Schnell wird klar, dass die zwei nicht nur den gebrechlichen Körper der Alten, sondern an der gesamten Schuld und, ja, auch an sich selbst mit zu tragen haben.

Aus einem Heft, in das die Alte später ihre Wahrheit geschrieben hat, lässt sich „Die Wahrheit“ nicht ausreichend rekonstruieren. Die wiederkehrenden, quälenden Bilder der Vergangenheit schließt sie stolz und trotzig in sich ein. Die Anwürfe der Tochter und Enkelin perlen an der Alten ab, die zielsicher ihre Vergangenheit als langen roten Faden aus der Strickjacke trennt, um sich später daran zu erhängen. Das Stück besitzt da einen bemerkenswert langen Atem. Kurzatmig wird hier nichts verhandelt und die Alte nicht müde, ohne Einsicht in die Konsequenzen ihrer damaligen Tat, fast störrisch immer wieder ihre Unschuld zu betonen: „ich hab für Politik mich niemals / niemals intressiert / das kann ich immer wieder / immer wieder sagen nur“. Der Hang zur Verdrängung ist groß, in einem Land, das schon kurz nach dem Krieg und ersten Strafprozessen wegen Denunziationen recht bald wieder zur Tagesordnung übergeht. Was bleibt, ist die unbeantwortete Schuldfrage.

DIE JUNGE wer ‚A‘ sagt muss auch ‚B‘
der muss auch B muss der
so war das immer schon …

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die unverheiratete - Stefanie Reinsperger (die Junge), Elisabeth Orth (die Alte), Christiane von Poelnitz (die Mittlere) - Foto (C) Georg Soulek /Burgtheater

Elisabeth Orth spielt ihren Part einfühlsam überzeugend. Es menschelt dabei auch immer wieder mal. Wirklich explizit politisch wird es in Palmetshofers psychologisierenden Versen jedoch nie. Robert Borgmann übersetzt alles in möglichst eindrückliche Bilder. Bedeutsam geht ein roter Samtvorhang immer wieder rauf und runter. Die Rhythmik von Palmetshofers Jambentext überführen die Darstellerinnen in eine entsprechende Sprachmelodie. Borgmann bricht die Schwere des Textes nur hin und wieder mit ironischen Einspielungen. Dabei ist Musik hier allgegenwärtig. Die großartige Stefanie Reinsperger spielt zu ihrem Text Akkordeon, oder greift zur Flasche und tanzt den HC Stracher und Thomas Bernhard, eine regional angepasste Cover-Version des D.A.F.-Klassikers Tanz den Mussolini. Das von Blandine Ebinger gesungene Friedrich-Hollaender-Lied Wenn ick mal tot bin sorgt für etwas morbiden Charme.

Das alles hat natürlich auch so seine Längen. Es schreit geradezu nach Kürzungen in Palmetshofers hoch artifiziellem Text, die ihm Borgmann, auch sonst ein wahrer Spezialist im expressiven Regie-Auspinseln, bis zum Ende nicht vergönnt. In einer möglichen und durchaus denkbaren Zweitaufführung will das berücksichtigt sein. Dagegen wohltuend lässt Borgmann dann doch von allzu vielen kuriosen Regieeinfällen ab. Das und die hervorragend aufspielenden Damen des Burgtheaterensembles machen die Inszenierung dieses etwas sperrig geratenen Sprachgebildes von Ewald Palmetshofer über die vollen 2 Stunden, 20 Minuten dann doch noch sehenswert.

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Stückzitate: Ewald Palmetshofer, aus: die unverheiratete

erschienen in: faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete, Bühnenwerke, S. Fischer Verlag, 2014, Taschenbuch, 512 Seiten

Inhalt: ›wohnen. unter glas‹, ›hamlet ist tot. keine schwerkraft‹, ›faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete‹, ›tier. man wird doch bitte unterschicht‹, ›räuber.schuldengenital‹, ›die unverheiratete‹.

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Teil 2: Thomas Arzt

die unverheiratete (UA)

von Ewald Palmetshofer

Regie und Bühne: Robert Borgmann

Kostüme: Janina Brinkmann

Musik: webermichelson

Licht: Peter Bandl

Dramaturgie: Klaus Missbach

Mit:

die Junge: Stefanie Reinsperger

die Mittlere: Christiane von Poelnitz

die Alte: Elisabeth Orth

4 Schwestern (die Hundsmäuligen): Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Sylvie Rohrer und Petra Morzé

Spieldauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

Uraufführung am 14. Dezember 2014 im Akademietheater

Gesehene Vorstellung am 30.12.2014

Termine: 11., 13.01. / 02.02., 04.02., 15.02. / 02.03.2015

Infos: http://www.burgtheater.at/Content.Node2/home/spielplan/event_detailansicht.at.php?eventid=963459306

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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