Kunstfest Weimar 2019

Musiktheater, Performance Zwei Musiktheater-Produktionen eröffnen das Festival in der thüringischen Klassikerstadt

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wenn selbsternannte Patrioten auf dem Theaterplatz in Weimar demonstrieren und eine geplante Kunstveranstaltung dafür auf einen anderen Platz ausweichen muss, ist es mit der Heimstatt der deutschen Klassik und Geburtsstadt der deutschen Demokratie wohl nicht mehr allzu weit her. Kunst findet zumeist seine Plätze selbst und ist dabei auch nicht allzu wählerisch. So auch in Weimar, wo anlässlich des dort jährlich stattfindenden internationalen Kunstfests, die ganze Stadt bespielt wird. Zum Auftakt sogar mit einem Reenactment (unter der Leitung des türkischen Theaterregisseurs Nurkan Erpulat) der verfassungsgebenden Nationalversammlung in Weimar am 21. August 1919. Also vor genau 100 Jahren an genau jenem Platz, den (und die Segnungen der Demokratie) nun rechtsnational gesinnte Kräfte für sich beanspruchen.

Eingebetteter Medieninhalt

Die Oper #1 - Am Kreis (Für den Anfang) - Die Berliner Opernkompanie Novoflot versucht sich an der Neuschreibung der Geschichte der Oper

Weniger politisch, dafür nicht minder enthusiastisch, geben sich die Berliner Opernkompanie Novoflot und MitstreiterInnen bei der Neuerfindung von nichts geringerem als der Gattung Oper. Die Oper #1 - Am Kreis (Für den Anfang) heißt der erste der auf drei Teile angesetzten europaweiten Musiktheater-Koproduktion, die im September an der Berliner Volksbühne zu sehen sein wird. Dabei gehen Novoflot davon aus, dass die heute praktizierte Oper nicht mehr den antiken Idealen ihres Erfinders, den sie natürlich in Claudio Monteverdi ausgemacht haben, folgt, sondern lediglich repräsentativen Zwecken. Ein nicht unbekannter Vorwurf, dem in weiten Teilen auch das postdramatische Theater folgt. Für die Oper folgt nach Novoflot daraus, mal eben die gesamte Entstehungsgeschichte der Oper umzuschreiben. Anlass sind die festgestellt 15 fehlenden Monteverdi-Werke, die nun nach ganz neuen Gesichtspunkten neu geschaffen werden sollen.

Klingt wahnsinnig theoretisch, was das ganze Unterfangen dann letztendlich auch ist. Als Einführung im Stadtraum gibt es dazu eine fast schamanische Beschwörung, bei der der Mädchenchor der Singakademie zu Berlin mit Eintänzerin Ichi Go beschwörende Formeln murmelnd und singend über den Herderplatz läuft, Bücher mit Opernpartituren herumträgt und die virtuos dröhnende Kehlkopfgesangsstimme eines weiteren Opern-Schamanen aus einer Box schallt. „Wenn alles gesagt ist, dann werden die Stimmen süß, dann kommt die Oper.“ ist das wiederholte und von Heiner Müller aus einem Gespräch mit Alexander Kluge über die japanische Oper stammende Postulat dieser kleinen Performance, die dann auch wieder vor dem E-Werk, einem aufgelassenen Straßenbahndepot, das das Nationaltheater Weimar seit ein paar Jahren als zweite Spielstätte nutzt, erklingt.

Eingebetteter Medieninhalt

Drinnen wird dann erstmal fleißig weiter theoretisiert, und ein an der Decke hängender Kugellautsprecher unterhält sich mit einem verzerrten Hintergrundrauschen aus dem Off über den Quantensprung. Performer Raphael Clamer philosophiert dazu über die Evolution der Oper ganz ohne den Einfluss von Menschen. 16 Millionen Jahre Zeit sich zu entwickeln. Eine Art Space-Oper, deren Klang man sich hier vorzustellen versucht, was allerdings zunächst noch recht sparsam umgesetzt wird. Eher wie Free-Jazz klingt das, was das 5-köpfige Mini-Opern-Orchester hier performt. Der immer wieder eingestreute Text, wenn nicht von Novoflot, stammt von Alexander Kluge aus dessen Erstem imaginären Opernführer und aus Tausend Plataeus von Gilles Deluze und Félix Guattari über die denkende und fühlende Oper, was dann doch etwas kopflastig erscheint.

Gesungen wird dann natürlich auch noch sehr schön von der Sopranistin Yuka Yanagihara, die dann auch endlich Montevedis Orfeo ins Spiel bringt. Auch Referenzen zur schon erwähnten japanischen Operntradition gibt es noch, die Tänzerin Ichi Go performen darf, bevor dann wieder der Mädchenchor auftritt. „Was wäre wenn?“ ist die große Frage des sicher recht sympathischen Abends über die Neuschreibung der Geschichte der Oper, mit dem man allerdings nie so richtig warm wird.

**

Zauberland - Eine Musiktheater-Produktion von Katie Mitchel nach Robert Schumanns Liederzyklus Dichterliebe mit neuen Texten von Martin Crimp

Nicht zur Klassik, sondern zur deutschen Romantik zählen der Dichter Heinrich Heine und der Komponist Robert Schumann, die sich Theaterregisseurin Katie Mitchell für Ihre Musiktheater-Produktion Zauberland ausgesucht hat. 1840 vertonte Schumann nach einer komplizierten Lebensphase vor der Heirat mit der Pianistin Clara Wieck 20 lyrische Gedichte aus Heines 1827 erschienenem Buch der Lieder. 16 davon umfasst der Liederzyklus Dichterliebe, Grundgerüst des szenischen Liederabends, der nach der Uraufführung im April im Pariser Theater Bouffes du Nord nun beim Kunstfest Weimar seine Deutschlandpremiere feierte.

Eingebetteter Medieninhalt

Katie Mitchell verbindet Schumanns Dichterliebe außerdem mit einem aktuell-politischem Thema, dem Krieg im Nahen Osten. Nun ist ja das lyrische Ich in der Romantik zumeist ein an Liebeskummer und Weltschmerz leidender Mann. In Mitchells Inszenierung stellt nun die US-amerikanische Sopranistin Julia Bullock eine junge Frau aus Syrien dar, die nach dem Tod ihres Geliebten nach Europa flieht. Den lyrisch-melancholischen Liebesgedichten Heines stellt Mitchell dazu neue Texte des britischen Dramatikers Martin Crimp gegenüber, die vom belgischen Komponisten Bernard Foccroulle vertont wurden.

Eine durchaus fruchtbare Gegenüberstellung romantischer Lyrik mit der Dichtung und dem aktuellen Geschehen der Gegenwart. Mitchell findet dazu eindrucksvolle szenische Bilder, die zwischen traumverlorenen Gemütszuständen der Frau auf der Flucht und ihren traumatischen Erlebnissen realer Gewalt changieren. Immer wieder wird dabei die Sängerin von einer Gruppe Männer entkleidet und in ein rotes oder schwarzes Kleid gesteckt. Auf einer Bahre wird der Leichnam des Geliebten unter einem blutbefleckten Laken hereingefahren. Die melancholische Lyrik Heines und ihre entsprechend romantische Vertonung Schumanns werden durch die strengen, minimalistischen Klavierkompositionen (beides vorgetragen vom französischen Pianisten Cédric Tiberghien) und die surreal-düsteren, englischen Texte Crimps, die das Trauma der Frau verdeutlichen, konterkariert.

Ein assoziativer Bilderreigen zu Liedern wie Im wunderschönen Monat Mai, Aus meinen Tränen sprießen oder Ich grolle nicht, die szenisch sparsam, stumm, aber anschaulich von Ben Clifford, Natasha Kafka, David Rawlins, Raphael Zari performt werden. Kafka spielt nicht nur das Traum-Double der jungen Frau im Hochzeitskleid, sondern später auch deren Tochter, mit der die Schwangere per Boot nach und Zug durch Europa flieht. Dargestellt wird das durch so einfache Mittel wie ein auf Rädern hereingerolltes Zugabteilfenster an dem zwei der Performer mit Taschenlampe und schwarzen Pappen vorbeiziehende Lichter imaginieren. Natürlich kommen auch Schwimmwesten zum Einsatz und die immer wieder von Heine beschworenen Blumen. Das Trauma ihrer Flucht verfolgt die Frau in ihren Träumen bis nach Europa ins Zauberland am „heiligen Strome“ Rhein, in dem sich bei Heine „Das große, heilige Köln“ in den Wellen spiegelt, sich nun die Geschehnisse in den Albträumen der Frau zu wiederholen beginnen und es ein bitteres Erwachen gibt, bei dem nicht nur Aleppo brennt. Hier gelingt der Rückschluss aus der Moderne über den Umweg der Romantik zurück zur antiken Tragödie.

Die Oper #1 - Am Kreis (Für den Anfang)
Nach Motiven aus Monteverdis »Orfeo«. Eine Oper von Novoflot im E-Werk (24.08.2019)
Regie + Konzept: Sven Holm
Musikalische Leitung: Vicente Larrañaga
Dramaturgie + Konzept: Malte Ubenauf
Ausstattung: Elisa Limberg, Nina von Mechow
Produktionsleitung: Dörte Wolter
Video: Mirko Borscht
Mit: Antonis Anissegos (Klavier / Cembalo), Hayden, Chisholm (Saxophon / Gesang), Raphael Clamer (Schauspiel), Chris Dahlgren (Kontrabass / Gambe / Gesang), Rafal Dziemidok (Tanz), Ichi Go (Tanz), Eric Schaefer (Schlagzeug), Nils Wogram (Posaune), Yuka Yanagihara (Sopran), Mädchenchor der Singakademie zu Berlin
Produktion: Novoflot, Deutsches Nationaltheater & Staatskapelle Weimar, Kunstfest Weimar
Koproduktion: CPH Opera Festival, Østerbro Theater Kopenhagen
Förderung: Senatsverwaltung Kultur und Europa Berlin, Kulturstiftung des Bundes im Fonds »Doppelpass - Fonds für Kooperationen im Theater«
Die Uraufführung war am 23.08.2019 im Deutschen Nationaltheater Weimar, E-Werk

---

Zauberland (DNT Weimar, 25.08.2019)
Eine Begegnung mit Robert Schumanns Dichterliebe von Katie Mitchell
Musik: Robert Schumann, Bernard Foccroulle
Text: Heinrich Heine, Martin Crimp
Regie: Katie Mitchell
Ausstattung + Kostüm: Chloe Lamford
Licht: James Farncombe
Mit: Julia Bullock, Cédric Tiberghien und Ben Clifford, Natasha Kafka, David Rawlins, Raphael Zari
Produktion: C.I.C.T. – Théâtre des Bouffes du Nord
Koproduktion: Royal Opera London, La Monnaie / De Munt Bruxelles, Opéra de Lille, Lincoln Center for the Performing Arts Inc. New York, Le cercle des partenaires des Bouffes du Nord, Opéra de Rouen Normandie, University Musical Society of the University of Michigan Ann Arbor
Mit Unterstützung durch den Lyrical Creation Fund (SACD)
Die Deutsche Erstaufführung war am 24.08.2019 im Deutschen Nationaltheater Weimar

Infos: https://www.kunstfest-weimar.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden