Pop-Kultur 2015

Pop-Kultur Is this a Woman's World? Das Festival im Club Berghain fragte sich in einer mitternächtlichen Gesprächsrunde: Hat Pop ein Frauenproblem?

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„This is a woman's world / This is my world” heißt es in Nenneh Cherrys Hit Woman, den sie in ihrem großartigen Konzert am Donnerstag in der Halle im Berghain sang. Sie wollte mit ihrem 1996 entstanden Song dem Klassiker It's a Man's World von James Brown aus dem Jahr 1966 ein positives Frauenbild entgegensetzen. Wie sieht es nun heute nach weiteren fast 20 Jahren damit aus? Hat Pop ein Frauenproblem? Der Frage stellte sich auch eine Diskussionsrunde am Ende des Pop-Kultur-Festivals in der Schlackehalle am Berghain zu der das deutsche Musik-Magazin SPEX geladen hatte. Das selbsternannte Magazin für Popkultur und Medienpartner des Berliner Festivals blickte jüngst auf sein 35jähriges Bestehen zurück. Dafür interviewte der SPEX bereits für seine März-Ausgabe unter dem Titel: „Zurück in die Steinzeit“ bekannte internationale Musikerinnen zum Thema Geschlechtergerechtigkeit im Pop-Business.

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Spex-Session beim Pop-Kultur Festival - Foto (c) Roland Owsnitzki



Und auch die Autorin, Musikerin und Popfeministin Sandra Grether, die Labelmanagerin Anne Haffmanns, die ehemalige Femen-Aktivistin Theresa Lehmann sowie die Musikerin Balbina sprachen in der mitternächtlichen SPEX-Session im Berghain mit dem Chefredakteur und „Quoten“-Mann der Talkrunde Torsten Groß über das Problem der immer noch ausstehenden, angemessenen Repräsentation von Frauen in Festivalprogrammen, Medien und Labelkatalogen. Bei den geladenen vier Frauen aus dem Musikgeschäft herrschte dazu jedenfalls große Einigkeit. Die Pop-Welt ist, was dies betrifft, auch heute noch vorwiegend eine Männergesellschaft. Und daran ändert sich wohl auch nur sehr langsam etwas, wie Anne Haffmanns bestätigte. Theresa Lehmann betrachtet aus ihrer Erfahrung mit Femen die Verbindung von Pop mit politischen und feministischen Themen als gescheitert.

Während Sandra Grether den weiterhin bestehenden Alltagssexismus beklagte, monierte auch die Sängerin Balbina die ständige Sexualisierung der Frau in der Musik-Branche. Männliche Labelmanager würden Frauen meist nicht fördern, da sich deren Platten ihrer Meinung nach nicht verkaufen ließen. Es fehle überall am nötigen Rückenwind für aufstrebende Musikerinnen. Frauen, die sich durchsetzen wollten, würden oft als schwierig abgestempelt. Aber gerade die Manager der Major-Label hätten hier eine kulturelle Verantwortung. Ein nahezu vernichtendes Urteil für das deutsche Musik-Business. In Frankreich oder England sehe es da doch wesentlich besser aus - nach Meinung der anwesenden Pop-Frauen. Nach einer Rückfrage aus dem Publikum, was man denn dagegen tun könne, beschwor Balbina vor allem den Zusammenhalt der Frauen untereinander und appellierte an deren Durchhaltevermögen.

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Balbina - Foto (c) Nico Wöhrle

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2015/08/Balbina-by-Nico-Woehrle.jpgBalbina ist sicher nicht die Retterin des Feminismus in der deutschen Popmusik, aber bereits in einer Lesung ihrer unvertont gebliebenen Gedichte am Donnerstag in der Garderobe des Berghain hinterließ die junge, eloquente Berliner Sängerin einen starken Eindruck. Die zum Teil eher minimalistischen, aber dennoch wortgewaltigen Verse zeichnen sich durch eine hohe Ausdruckskraft und Gedankendichte aus. Balbina geht dabei vom Großen ins alltäglich Kleine, wie sie nach der Lesung erklärte. Schon ihre Liedtexte bewegen sich zwischen scheinbar zielloser Tagträumerei und bewusster Selbstreflexion. „Was treibt uns an? Was treibt und an den Rand?“ Das unruhevolle Ich muss was gegen das Nichtstun tun und ein Langsam Langsamer aus Zweifel an der Schnelllebigkeit der Welt bilden da keine unvereinbaren Gegensätze. Mit ihrem ersten Album Über das Grübeln tritt Balbina am 12. Oktober im unweit vom Berghain gelegenen Postbahnhof am Ostbahnhof auf.

Auch sonst zeigte das Pop-Kultur-Festival im Berghain, dass es, was die Repräsentation von Frauen in Festivalprogrammen betrifft, durchaus anders geht. Das Line up des Programms wies jede Menge starke weibliche Künstlerpersönlichkeiten aus und bot neben gestanden Frauen wie Neneh Cherry auch Newcomerinnen wie Schnipo Schranke eine Plattform. Die junge Schweizer Musikerin Sophie Hunger bekam sogar auf Spiegel-Online eine inhaltlich beachtliche Video-Kolumne zum Festival. Ihr ausverkauftes Konzert könnte man durchaus als einen der Höhepunkte des Festivals bezeichnen, und das zeigt, dass sie in Berlin auf dem richtigen Weg ist und hier bereits über eine treue Fangemeinde verfügt. Was auch auf die Musikerin Bianca Cassady zutreffen dürfte, die, sonst Teil des bekannten Düster-Pop-Schwesternduos CocoRosie (sie komponierten die Theatermusik für Robert Wilsons Peter Pan im BE), nun mit der Band C.i.A. auf Solopfaden wandelt. Ihre außergewöhnliche Musik-, Video- und Tanzperformance zwischen clownesker Zirzensik und verspieltem Halloween-Grusel ist in Deutschland bereits auf der Ruhrtriennale und dem Hamburger Kampnagel-Sommerfestival gezeigt worden.

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Sophie Hunger beim Pop-Kultur Festival - Foto (c) Roland Owsnitzki

Aber auch ganz kleine Projekte nach dem Motto "Boy meets Girl und machen zusammen Musik" bekamen beim Pop-Kultur-Festival ihre Chance. So etwa die New Yorker Ausnahmekünstlerin GABI, die sich bei ihrem feenhaften Gesang vom einem Elektro-Percussionisten begleiten ließ. Oder der Elektromusiker Oliver Doerell aus Belgien, der als Cummi Flu zu seiner magischen Musik-, Tanz- und Video-Performances in der Kantine am Berghain mit der Schattentänzerin Lady Ived erschien. Wo anders als auf einem öffentlich subventionierten Festival ließen sich solche eigenwilligen Kleinode der Popmusik in dieser Dichte bewundern. Die erste Ausgabe der Pop-Kultur kann da also nicht allzu viel falsch gemacht haben. Einer Wiederholung im nächsten sollte demnach nichts im Wege stehen.

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Zuerst erschienen am 30.08.2015 auf Kultura-Extra.

Pop-Kultur 2015: It began in Berlin!
26.-28. August im Berghain
Am Wriezener Bahnhof
10243 Berlin-Friedrichshain

Infos: http://www.pop-kultur.berlin/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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