Shakespeare’s Last Play

Premierenkritik Die irischen Dead Centre betreiben an der Berliner Schaubühne mit Shakespeares Romanze "Der Sturm" lustige Leichenfledderei und anthropophages Metatheater

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Kurz nach dem Ende des FIND gibt es noch einmal internationale Dramatik an der Schaubühne am Lehniner Platz. William Shakespeares Stück Der Sturm ist zwar nicht neu, wird hier aber vom irischen Dead Centre bestehend aus den Regisseuren Bush Moukarzel und Ben Kidd ganz neu interpretiert. Ob nun Chekhov's First Play, für das Anton Tschechows unvollendeter Erstling Platonow Pate stand, oder nun Shakespeare’s Last Play, dessen Ende relativ offen ist, die beiden Iren mögen es unfertig. Mit ihrem Motto „Unfertige Stücke für unfertige Menschen“ gastierten Moukarzel und Kidd schon zweimal hintereinander beim FIND. Nun haben sie ihr erstes Stück für die Schaubühne inszeniert.

Im Globe-Theatre-Saal, in dem auch Richard III. in der Regie von Hausherr Thomas Ostermeier gezeigt wird, sitzt das Publikum vor einem blauen Bühnenhalbrund, während eine Stimme aus dem Off in den Abend einführt. Es ist Bush Moukarzel, der in englischer Sprache den etwas müde gewordenen Dichter Shakespeare gibt, über den Inhalt seines letzten Stücks resümiert, dabei sein Tun als Autor reflektiert und darüber klagt, dass es immer dasselbe wäre. „Die ganze Welt ist Bühne / Und alle Fraun und Männer bloße Spieler.“ Ein Shakespeare-Zitat, das hier zum Anlass genommen wird, mal zu überprüfen, was Shakespeare und seine Zeit heute eigentlich noch mit uns zu tun haben.

Eingebetteter Medieninhalt

Das ist schon gleich die erste Metatheaterebene des Abends, weitere werden im Lauf der Inszenierung noch eingezogen. Zunächst öffnet sich aber die Bühne wie eine Muschel, deren untere Schale einen Minitümpel mit Felsbrocken und Pappmachestrand zeigt. An die obere Schale wird eine Landkarte, mit einem an Google-Earth erinnernden Navigationssystem, aus dem man rein- und rauszoomen kann, projiziert. Lauflinien und Pin-Marker deuten die vorgegebenen Wege und Ziele der spielenden Figuren an. Die eingesprochenen Regieanweisungen wie „Geh nach links.“ oder „Dreh dich um.“ bzw. immer wieder ein klares „Stop!“ entlarven das Spiel ganz bewusst als unecht, und von außen bestimmt, was einige der fünf DarstellerInnen auch zum Anlass nehmen, immer wieder aus ihren Rollen auszusteigen und anzumerken, dass hier etwas nicht stimmt, sich nicht richtig anfühlt.

Zunächst folgt die Inszenierung dem Plot von Shakespeares romantischem Stück Der Sturm, in dem der Zauberer und frühere Herzog von Mailand Prospero sich an seinen Widersachern, die ihn vor 12 Jahren gestürzt hatten, rächen will, indem er einen Sturm entfacht, der ein Schiff mit seinem Bruder und Nachfolger Antonius sowie Alonso, dem König von Neapel, dessen Bruder Sebastian und Sohn Ferdinand sinken und alle getrennt voneinander am Ufer von Prosperos Insel stranden lässt. Hier trifft Ferdinand auf die Tochter Prosperos. Er verliebt sich in Miranda, die noch nie zuvor einen Mann außer ihren Vater und dessen missgestalteten Diener Caliban gesehen hat. Nach einigen Intrigen, Wirrungen und Geistererscheinungen fügt sich aber alles zum Guten. Prospero verzeiht seinen Feinden, schwört seiner Zauberkraft ab und will wieder als Herzog nach Mailand zurückzukehren.

In wechselnden Auftritten agieren hier nun Jenny König und Mark Waschke als Miranda und Ferdinand, Nina Kunzendorf als frisch gegenderte Antonia, Thomas Bading als Alonso und Moritz Gottwald als Gonzalo, einem Getreuer Alonsos, der eigentlich auch Züge des Sebastian trägt, der von Antonia angestachelt wird, seinen Bruder zu töten um selbst König von Neapel zu werden. Die Liebesszene zwischen Miranda und Ferdinand eskaliert, nachdem der gockelnde Ferdinand seine Auserwählte zum Ort der vorbestimmten Sexszene führen will, Miranda sich da aber trotz Eheversprechens etwas anderes vorgestellt hat und ihm immer wieder kurz vorher entweicht. Nein heißt dann irgendwann nicht mehr Nein und Ferdinand nimmt sich einfach, was er will. Auch die drei anderen fühlen sich irgendwie im falschen Kostüm und Film und wissen nicht so recht, was sie hier eigentlich sollen. Da alles scheinbar auf das immer gleiche hinausläuft, beendet der Autor irgendwann einfach das Spielexperiment und lässt alle einen verordneten Theatertot sterben. „Sie haben ihr Ziel erreicht.“, lässt sich das Regie führende Navigationsgerät aus dem Off vernehmen. Ein alternder Theaterautor in seiner letzten Rolle als Magier samt postdramatischem Regieassistenten am Ende?

Vorsicht, Spoiler! Aber was nun passiert, gibt der Inszenierung zunächst eine durchaus überraschende Wende. Nachdem das Wasser aus dem Bassin abgelaufen ist, wird der Blick auf eine Grube frei, in der eine verwesende Gestalt liegt, die künstlich beatmet wird. Das soll natürlich der untote Autor Shakespeare selbst sein. Künstlich am Leben gehalten, nur wofür? Das ist nun die Frage des fünfköpfigen Ensembles, das in Regencapes um die Grube steht und ihren Job des konventionellen Theaterspielens mal verteidigt und mal in Frage stellt, bis Jenny König anregt, dass man, um weiter machen zu können, den Körper einfach verspeisen müsse. Gesagt, getan, und schon springt sie mit dem Hackebeil in die Grube und bietet den Verdutzen ein paar Stücke Shakespeare an.

Das ist also der gespielte Metatheater-Mord mit anschließender kannibalischer Leichenfledderei, ob nun als lustige Provokation, Theaterblasphemie oder zur Verdeutlichung dessen, was die Postdramatik eh schon seit Jahren betreibt, wenn sie sich die für sie interessanten Brocken aus den klassischen Werken für den Eigengebrauch schneidet. Diese ironisch angedeutete Anthropophagie hat dann auch fast schon etwas Sakrales. Eine rituelle Einverleibung des kulturellen Erbes, wie es auch schon die Performancegruppe andcompany&Co. 2011 im HAU 2 mit Brechts Fatzerfragment zelebriert hat. Irgendwann, wenn sich alle ihren Happen aus dem Corpus Shakespeare geschnitten haben, verschwindet dessen Stück aber vollends unter den vielen Metaebenen und wird zum besagten unfertigen Rumpfwerk, an das sich nun jedes beliebige Diskursstückchen anpappen lässt.

Was dann zum Beispiel die Anmerkung Jenny Königs wäre, sie fühle sich hier als Frau gar nicht gemeint. Entgegen Thomas Bading, der den Hamlet mit Schädel mimt, findet es Mark Waschke grotesk, Shakespeare zu rezitieren, während draußen der Sturm tobt und auf Lampedusa, das ja auch die Insel Prosperos zwischen Afrika und Italien sein könnte, Flüchtlinge stranden. So diskutiert man darüber, was es heißt Subjekt oder Objekt zu sein. Bedeutet frei zu sein, seine eigene innere Welt zu schaffen, oder sich in der des Theaters zu verkriechen. Wer bin ich wirklich? Ich sein, oder jemand anderes, der ewige Richtungsstreit um mehr Authentizität, der die Theaterwelt längst gespalten hat.

Das ist durchaus amüsant gemacht, aber doch auch nicht wirklich neu. Man hat das alles irgendwie schon mal gehört, und das hier Gezeigte macht dann auch nicht wirklich eine neue Sicht auf die Dinge oder Assoziationsräume frei, zumal sich nun alle nacheinander in Löcher im Bühnenboden verziehen, wie um diese dort zu suchen. Also doch nur much ado about nothing? Das mag dann jeder für sich selbst entscheiden. Unsere Kopf-in-den-Sand-Stecker singen derweil mit Tom Waits: „The earth died screaming as I lay dreaming“. „Wir sind der Stoff, aus dem die Träume sind“, heißt es bei Shakespeare. Und Träumen ist ja auch zumindest am Theater nicht verboten. Nur das Spielen sollte man wenn möglich nicht dabei vergessen.

Shakespeare’s Last Play (Schaubühne, 24.04.2018)
von Dead Centre
nach »Der Sturm« von William Shakespeare
Regie: Bush Moukarzel, Ben Kidd
Uraufführung
Aus dem Englischen von Gerhild Steinbuch
Regie: Ben Kidd, Bush Moukarzel
Bühne: Chloe Lamford
Kostüme: Nina Wetzel
Video: José Miguel Jiménez González
Sounddesign: Kevin Gleeson
Dramaturgie: Nils Haarmann
Licht: Norman Plathe
Mit: Thomas Bading, Moritz Gottwald, Jenny König, Nina Kunzendorf, Mark Waschke
Die Premiere war am 24. April 2018 in der Schaubühne am Lehniner Platz
Dauer: ca. 105 Minuten, keine Pause
Termine: 25., 26.04. / 22., 23., 24., 25., 26., 27.05.2018

Infos: https://www.schaubuehne.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden