THEATERTREFFEN 2016

Theater Das 53. Teffen der 10 bemerkenswertesten Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz glich bisweilen einer kuratierten Streuobstwiese - Ein Fazit

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Musik- und Videoeinsatz am Sprechtheater sind schon lange nichts Neues mehr. Beim 53. Berliner THEATERTREFFEN der bemerkenswertesten deutschsprachigen Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz galt der Auswahl-Jury allerdings ausschließlich bemerkenswert, wer eine gewisse Lust zum Genre-Mix, zur Interkulturalität und Nachahmung bzw. eine hohe Internet- oder Businessaffinität an den Tag legte. Wobei die aktuell-politische Lage möglichst auch noch irgendwie mit zu berücksichtigen war. Formenvielfalt ist ja per se nichts Schlechtes, nur hatte man beim Sichten der aktuellen Auswahl fast schon die Assoziation einer großen Streuobstwiese. Da liegt der Boskoop neben der Goldparmäne, zerlatschte Pflaumen neben angepickten Süß- und Sauerkirschen. Viel bunt, viel angeditscht und einiges madig. Ein Hoch auf den Most, wem’ s bekommt. Allerdings war arm und sexy gestern. Heute gilt wieder Sekt oder Selters. Aber bitte bio oder gleich vegan sollte es schon sein.

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Das war dann einigen Produktionen auch merklich anzusehen. Die Bemühtheit, sich möglichst aktuell und hip zu geben, fiel dabei vor allem bei den beiden Ibsen-Überschreibungen Ein Volksfeind von Stephan Pucher und Dietmar Dath aus Zürich und John Gabriel Borkman von Simon Stone aus Wien etwas ungut auf, die sich in neusprachlichen Floskeln, ähnlich einem „Buzzword-Bingo“, gegenseitig zu überbieten schienen.

Positiv aufgefallen ist dagegen, wie oft und schön in diesem Jahr gesungen wurde. Dabei hatte man manchmal den Eindruck, dass der Dauergast früherer Jahre, Christoph Marthaler, zumindest im Geiste bei einigen seiner Epigonen weiterspukt. Ob nun Oldies but Goldies in Clemens Sienknechts witziger Effi-Briest-Radio-Show, getragene deutsche Romantik in Anne-Sophie Mahlers Bühnenfassung von Josef Bierbichlers Roman Mittelreich oder der Zusammenprall von deutscher Hochkultur mit einem frischem Multi-Kulti-Wind auf Karin Beiers Schiff der Träume, der Versuch mit Musik aufzufangen, was an Inhalt und Sprachgewalt fehlte, führte bei der einen oder anderen Inszenierung sicher überhaupt erst zur Einladung.

Wenn dann die Sprache ganz fehlt, wie beim Kasseler Tyrannis, treten verstärkt rein formale und ästhetische Gesichtspunkte in den Vordergrund. Allerdings gerät dem Regie-Jungstar Ersan Mondtag bei seinem Versuch darstellende und bildende Kunst zu vereinen und dabei „mit Sprachlosigkeit, Ritualen, Musikalität, purer Körperlichkeit und den überindividuellen Gestalten des antiken Theaters“ zu arbeiten, Ästhetik und Form zu einem reinen Zitate-Mix. Das ist sicherlich bemerkenswert, aber noch keine neue Form des Theaters. Da nicht beliebig fortsetzbar, manövriert man sich hier eher in eine ästhetische Sackgasse und gerät dabei fast automatisch in den Verdacht des Eklektizismus. Was bei dieser voranschreitenden ästhetischen Reduktion und dem Wegfall jeglichen Narrativs irgendwann übrigbleibt, wird sicher etwas Ähnliches wie das neue schwarze Quadrat von Malewitsch sein.

Wie unterschiedlich man Romanestoffe bearbeiten kann, zeigte das Zusammentreffen von Turgenjews Väter und Söhne aus Berlin, Fontanes Effi Briest aus Hamburg und Josef Bierbichlers Mittelreich aus München. Sind es in allen drei Fällen großartige, geschlossene Ensembleleistungen, so steht der Musiktheaterfassung von Anna-Sophie Mahlers Mittelreich ein wenig die gewählte Formenstrenge im Weg. So stark der zweite Teil des Abends auch war, kann er die Versäumnisse vor der Pause nicht wettmachen. Ein Roman hat natürlich immer mehr Zeit seine Figuren zu entwickeln. Trotzdem hätte auch ein bisschen mehr von Bierbichlers satter Sprache und seinem tollen Plot der Inszenierung gut getan. Das Daniela Löffner ihr Ensemble nicht so starr an die Leine nimmt, ist letztendlich die Stärke ihrer Inszenierung des epischen Turgenjew-Romans. Für seine Rolle des Nihilisten Arkadij erhielt der junge Schauspieler Marcel Kohler übrigens den Alfred-Kerr-Darstellerpreis.

Auf der Habenseite stehen beim tt16 noch weitere Preise. So etwa der 3sat-Preis für den Regisseur Herbert Fritsch. An seiner Volksbühneninszenierung der die mann kann man sehen, wie ungewöhnliche Ästhetik, Witz und Text zu einer bemerkenswerten Form-Einheit verschmelzen. Das Soll besteht wie immer trotz der Auswahl zweier Ausnahmekanditaten aus Kassel und Karlsruhe aus einer gewissen „Blindheit“ bei der Sichtung in der Provinz. Wobei das Prädikat „Bemerkenswert“ da fast schon einen bitteren Nachgeschmack bekommt. Auch die jungen Autoren hatten es in diesem Jahr schwer. Außer der Gorkitheater-Inszenierung von Yael Ronens The Situation, das auch bei den Mülheimer Theatertagen vertreten ist, schaffte es kein neues Stück in die Auswahl. Da hilft auch nicht, dass mit Stolpersteine Staatstheater endlich mal Herbert Kroesinger, der Urvater des Recherchetheaters, nach Berlin eingeladen wurde. Seine Doku-Theater-Inszenierung beschäftigt sich mit der NS-Vergangenheit des Staatstheaters Karlsruhe und insbesondere mit dem Schicksal seiner jüdischen Künstler und Angestellten. Eine durchaus bemerkenswertes Stück Aufarbeitung.

Trotz nicht ersichtlichem roten Faden wirkte die alljährliche Leistungsschau des deutschsprachigen (ganz sicher kann sich da der deutsche Bildungsbürger allerdings nicht mehr sein) Theaters, nicht nur wegen der oben erwähnten Kriterien, fast schon auf Formen hin kuratiert. Wobei die deutsche Sprache vermutlich demnächst auch unter Kuratel gestellt werden muss - als eingehendes Mauerblümchen in einer Welt, deren starre Sprachbarrieren in alle Richtungen zu fallen beginnen. An englische Übertitel hat man sich in einer weltoffenen Stadt wie Berlin mit vielen Kreativ-Leuten aus dem Ausland und jeder Menge Kulturtouristen, die nicht nur wegen des billigen Biers und der Berliner Clubkultur kommen, ja schon gewöhnt. Nun könnte es bald dazu kommen, dass man ohne Kenntnis zumindest einer Fremdsprache auf deutschen Bühnen wie ein linguistischer Anachronismus aus der Zeit des deutschen Biedermeiers dasteht. Den deutschsprachigen Theaterautoren geht es da nicht viel besser.

Denn wer noch nicht wusste was ein „Pitch“ ist, konnte zumindest das beim diesjährigen Stückemarkt des THEATERTREFFENs lernen. Dieser Anglizismus wird üblicherweise in der Werbebranche benutzt, um einen möglichen Werbeetat zu gewinnen oder um im Marketingbereich bei der Präsentation seines neuesten Businesskonzepts potentielle Geldgeber zu begeistern. Letzten Endes bedeutete das hier aber nichts anderes, als ein eventmäßig aufgezogenes Werbegespräch, bei dem die jungen AutorInnen in Speed-Dating-Manier ihre neuen Stückideen an den solventen Förderer bzw. Abnehmer bringen mussten. Man kennt das auch aus der Filmbranche, in der die Finanzierung von Projekten bereits wesentlich schwieriger ist und Filme von interessierten Anlegern knallhart hinsichtlich ihrer Chance, eine sichere Gewinnmarge an der Kinokasse einzuspielen, beurteilt werden. Die Konditionierung daraufhin kann da wohl auch im ewig klammen, von Subventionen abhängigen Theaterbetrieb nicht mehr früh genug beginnen. Und das gilt nicht zuletzt gerade für die freie Performance- und Autorenszene. Dass die Berliner Festspiele da in Sachen Marketing ohne Not in eine fast schon anmaßende Vorreiterrolle springen anstatt die Fahne der Unabhängigkeit der Kunst hochzuhalten, ist tatsächlich schon das Bemerkenswerteste an diesem alljährlichen Theaterevent im Berliner Mai.

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Zuerst erschienen am 23.05.2016 auf Kultur-Extra.

Einzelkritiken zu den eingeladen Inszenierungen sind hier nachzulesen: http://www.kultura-extra.de/theater/tt.php

53. Berliner Theatertreffen

vom 06. - 22.05.2016

Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-festspiele.de/theatertreffen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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