Underground

Premierenkritik Das aufBruch Gefängnistheater zeigt seine neue Produktion nach Motiven des preisgekrönten Kusturica-Films in einem Gewölbekeller im Prenzlauer Berg

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aufBruch goes Underground könnte man kurz die neue Theater-Produktion des langjährigen Berliner Projekts aufBruch KUNST GEFÄNGNIS STADT unter der Leitung des Regisseurs Peter Atanassow auch übertiteln. Genauer gesagt hat sich das Gefängnistheater, das sich einmal im Jahr auch außerhalb Berliner Justizvollzugsanstalten präsentiert, für die Adaption des 1995 mit der Goldenen Palme der Filmfestspiele von Cannes ausgezeichneten Spielfilms des serbischen Regisseurs Emir Kusturica in einen Gewölbekeller des Gewerbehofs in der Alten Königstadt im Prenzlauer Berg eingemietet. Unwirtlich ist es hier unten mit feuchter Luft und Temperaturen um die 15 Grad. Nicht gerade ideale Bedingungen für Ensemble und Publikum, dem schon vorab warme Kleidung zum Besuch der Aufführung empfohlen wird. Außerdem ist Filmregisseur Emir Kusturica seit Vorwürfen, er würde in Bezug auf die Balkankriege einseitig Stellung für Serbien beziehen, nicht mehr ganz unumstritten.

Trotzdem ist die Produktion beileibe nicht unterirdisch zu nennen. Und wer Kusturicas Werk kennt, dürfte schon gespannt sein, was Atanassow und Team aus dieser Geschichte um die beiden Freunde und Belgrader Kleinganoven Marko und Petar, genannt Blacky, die sich vom Einmarsch der deutschen Faschisten über die Tito-Zeit Jugoslawiens bis zum Beginn der Balkankriege zieht, machen würden. Wie immer ist es eine fast durchweg beeindruckende Mischung aus einzelnen Spielszenen, Chorpassagen und musikalischer Begleitung geworden. Passend zum Film hat man sogar eine kleine, vierköpfige Balkan-Brass-Band (Carsten Wegener, Detlef Pegelow, Konstantin Nazarov, Sergiy Balitskiy) verpflichtet, die den Abend lautstark musikalisch u.a. mit Songs aus dem berühmten Soundtrack des Kusturica-Films untermalt. Das ist natürlich naheliegend aber auch nicht ganz unproblematisch, da hierbei schnell auch sentimentale Nostalgie aufkommen könnte.

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Diese Klippe umschifft das aufBruch-Ensemble aus Freigängern, Ex-Inhaftierten, SchauspielerInnen und Berliner BürgerInnen auf ihre ganz eigene und besondere Art. Rau und ungeschliffen wirken die Spielszenen und Choreinlagen, weit weg vom überbordenden klassischen Kusturica-Stil, für den der Regisseur bekannt und beliebt ist. Auch hat die Dramaturgie (Hans-Dieter Schütt) einige Reflexionsebenen eingebaut, die sich ganz vom filmischen Geschehen wegbewegen und Vergleiche und Ergänzungen in der Theatergeschichte suchen. Neben dem Thema Krieg geht es im Film ja auch um eine abgeschottete Gesellschaft in einem unterirdischen Versteck, in dem die Zeit für 20 Jahre stillsteht (hier symbolisiert durch eine große Wanduhr), und so konserviert irgendwann wieder auf die Realität trifft. Eine solche Gesellschaft sieht Schütt auch in Gorkis vorrevolutionärem Stück Nachtasyl. Es geht um Lüge und Wahrheit und ihr Zusammenspiel als Einflussfaktoren für die menschliche Entwicklung. Ist es bei Kusturica Marko, der seinen Freund Petar über das Ende des Zweiten Weltkriegs belügt und mit selbstproduzierten Fake-News versorgt, um so die lukrative, unterirdische Waffenproduktion am Laufen zu halten, so ist es im Nachtasyl der Pilger Luka (Patrick Berg), der den hoffnungslos Leidenden, Trinkern und menschlich Verrohten mit seinen geschönten Zukunftsvisionen ein Stück Glaube und Humanität bewahren will.

Die Ebene Underground wird ganz bestimmt vom kraftvollen Spiel der beiden Kontrahenten Marko (Moxx) und Petar (Jonas Latakas), die auch Rivalen um die Liebe der Schauspielerin Natalja (Maja Borm) sind. Fast schon toxisch könnte man diese Männlichkeit bezeichnen, die sich lauthals am Ruf, alle Faschisten zu töten, berauscht, Frauen wie Natalja benutzt, sich selbst und den anderen betrügt und so letztendlich politische Ideale, Freundschaft und Liebe verkauft. Marko wird zum skrupellosen Waffenschieber über alle Systeme hinweg. Petar wird nach dem Ausbruch aus dem unterirdischen Gefängnis zum zynischen Warlord und Verderber seines eigenen Sohns Jovan (Sabine Böhm), den er in den nicht mehr zu durschauenden Wirrnissen über Tage verliert, ohne es zu merken.

Gespielt wird das in den Kulissen des recht hohen Gewölbekellers, der in seinem maroden Zustand sehr passend für die Geschichte ist. Ein paar Doppelstockbetten, Waffenkisten, ein ganzes Arsenal an Kriegsgerät, das in einem stetigen Kreislauf immer wieder von Hand zu Hand geht, verpackt und umgestapelt wird. An die Hinterwand werden Videos von Bombenangriffen, Nazigranden und kommunistischen Führern projiziert. Für die unwissenden Rüstungsarbeiter werden gefälschte Wehrmachtsberichte in Form alter Wochenschauen eingespielt. Der so gebildete „Volkskörper“ spricht im Chor einerseits stolz Zeilen aus Eugene O`Neills Drama Der haarige Affe, in dem die Schiffsheizer ebenso eine verschworene unterirdische Gemeinschaft der proletarischen Arbeitssklaven bilden, anderseits verkünden sie mit Marx die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums.

Dass in Zeiten des Krieges die Wahrheit das erste aber nicht einzige Opfer ist, dürfte auch den aufBruch-Machern aufgefallen sein. So gibt es als kleines Hochzeitszwischenspiel Szenen aus dem Theaterstück Die Troerinnen in der Bearbeitung von Jean-Paul Sartre, der die Frauen des besiegten Trojas in einem wesentlich moderneren und direkteren Ton ihr Leid klagen ließ. Auch diese antike Farce verfehlt nicht ihre Wirkung, wenn Königin Hekuba (Sabine Böhm) über ihr Schicksal wütet und Helena (Maja Borm) den tumben, mit Gold bepinselten Menelaos (Matthias Blocher) bezirzt. Letztendlich wiederholt sich Geschichte als Kampf Bruder gegen Bruder. Nach dem Wechsel in den Nebenraum ist der großartige Mohamad Koulaghassi als stotternder Ivan, Markus Bruder, und traumatisiertes Opfer von dessen Lügengebilde zu sehen, wie er zwei zynischen deutschen Ärzten vorgeführt wird. Vom feiernden Nachwendedeutschland zurück zum Balkan begegnen den suchenden Protagonisten immer wieder Schlauchbote mit Flüchtlingen und Schleppern, die so zum Ende noch den Bezug zur Gegenwart bilden. Die Zukunft bleibt eine archäologische Ära der Tiefenforschung.

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Zuerst erschienen am 14.09.2018 auf Kultura-Extra.

UNDERGROUND
frei nach Motiven des gleichnamigen Films von Emir Kusturica
Theaterproduktion in den Gewölbekellern des Gewerbehofs in der Alten Königstadt
Eine Produktion von aufBruch KUNST GEFÄNGNIS STADT in Kooperation mit der Gewerbehof Saarbrücker Str. e.G.
Regie: Peter Atanassow
Bühne: Holger Syrbe
Kostüme: Wicke Naujoks
Dramaturgie: Hans-Dieter Schütt
Musikalische Leitung: Carsten Wegener
Musikalische Einstudierung: Vsevolod Silkin
Video: Pascal Rehnolt
Produktionsleitung: Sibylle Arndt
Regieassistenz: Franziska Kuhn
Produktionsassistenz: Lisa Gundlach
Kostümassistenz: Andreina Vieira dos Santos
Technik: Christopher Böhm, Josef Maaß
Grafik: Alexander Atanassow
Es spielt ein gemischtes Ensemble aus Freigängern, Ex-Inhaftierten, SchauspielerInnen und Berliner BürgerInnen mit: Ayman I., Hans M., Hans-Jürgen Simon, Irene Oberrauch, Jonas Latakas, Katharina Försch, Lasha, Maja Borm, Mathis Köllmann, Matthias Blocher, Mohamad Koulaghassi, Moxx, Ömer, Patrick Berg, Rita Ferreira, Sabine Böhm, Stas
Kapelle: Carsten Wegener, Detlef Pegelow, Konstantin Nazarov, Sergiy Balitskiy
Die Premiere war am 12. September 2018 in den Gewölbekellern des Gewerbehofs in der Alten Königstadt, Saarbrücker Straße 24, 10405 Berlin
Anfahrt BVG: U2 Senefelderplatz
Dauer: ca. 2 Stunden, 40 Minuten, keine Pause
Vorstellungen: 14., 15., 16., 19., 20., 21., 22., 23., 26., 27., 28., 29. und 30. September 2018

Infos: https://www.gefaengnistheater.de/aktuelles-details/undergound.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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