Unendlicher Spaß

Premierenkritik Mit einem gut gelaunten Schauspielensemble bringt Thorsten Lensing Teile des großen Romans von David Foster Wallace auf die Bühne der Berliner Sophiensaele

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Unendlicher Spaß heißt der berühmte, 1996 veröffentlichte Kult-Roman des US-amerikanischen Schriftstellers David Foster Wallace, der sich 2008 mit nur 46 Jahren das Leben nahm. Das in der deutschen Übersetzung über 1.500 Seiten umfassende Buch hat sich nun Thorsten Lensing für seinen neusten Regiestreich an den Berliner Sophiensaelen vorgenommen. Und er hat dabei auch wieder ein auserlesenes Schauspielensemble am Start, das den Titel des Romans sozusagen fast wörtlich nimmt. Mit vier Stunden fällt die Lensing‘sche Bühnenfassung relativ schlank aus. Das liegt vor allem auch daran, dass sich der Regisseur - wie schon bei der Adaption von Dostojewskis Roman Die Brüder Karamasow - nur auf bestimmte Teile und Figuren dieses ausufernden Werks beschränkt.

Das sind hier vor allem die drei Söhne des Experimentalfilmers und Gründers der Bostoner Enfield Tennis Academy James O. Incandenza, genannt „Himself“. Der älteste Sohn Orin ist Footballspieler und Frauenheld; Mario, der mittlere, ist von Geburt schwer verkrüppelt und leidenschaftlicher Videofilmer; und der jüngste der drei Brüder, der 17 jährige Harold James Incandenza, ist angehender Tennisstar und ein wandelndes Lexikon, weshalb ihm der Autor wohl auch den Kurznamen Hal nach dem Superhirn-Computer in Stanley Kubricks Kultfilm 2001- Odyssee im Weltraum gegeben hat. In einer zweiten Querhandlung beschreibt Foster Wallace die Insassen der Suchtklinik Ennet House, die sich in unmittelbarer Nähe der Tennisakademie befindet. Eine der Hauptpersonen ist der seit vier Jahren von Schmerzmitteln cleane Pfleger Don Gately, der auch regelmäßig zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker (AA) geht.

Eingebetteter Medieninhalt

Eingebettet ist das alles in eine science-fiction-mäßige Rahmenhandlung in einer nicht näher bestimmten Zukunft, in der sich die Staaten Kanada, USA und Mexiko zur Organization of North American Nations, kurz O.N.A.N., zusammengeschlossen haben. Bekämpft werden die sogenannten O.N.A.N.isten (ein Foster-Wallace-Gag am Rande) von einigen Separatistengruppen wie den die rollstuhlfahrenden „Assassins des Fauteuils Roulants“ (A.F.R.). Sie sind auf der Suche nach der Master-Kassette, des Unendlicher Spaß genannten letzten Films von James O. Incandenza, der sich mit dem Kopf in der Mikrowelle das Leben genommen hat. Wer diesen Film sieht, verblödet innerhalb von Minuten und will nichts anderes mehr sehen. Eine kleine Kulturkritik auf heutige TV-Sender.

All das interessiert Thorsten Lensing eher nicht. Die Inszenierung konzentriert sich ganz auf die drei Incandenza-Brüder und die Insassen der Suchtklinik. Ein Familientrauma und die Geschichten von kaputten Existenzen, was nicht besonders weit voneinander entfernt ist, da auch die Tennisschüler wie Hal wegen des Erfolgsdrucks auf der Akademie Drogen nehmen und ihre Urinproben manipulieren. Das klingt eher nicht nach sehr viel Spaß, obwohl auch das Buch voll von Humor ist, dem sich das Ensemble teilweise gedienter Lessing-MitstreiterInnen auch vor der Pause bestens hingibt.

Es beginnt mit dem Aufnahmegespräch bei der University von Arizona, bei dem Ursina Lardi als Hal in weißer Tenniskleidung recht autistisch vor der Kommission steht und von seinen Vorzügen prahlt, aber nicht gehört wird. Eines der Kindheitstraumata des Jungen, dessen Vater in bereits als 10jährigen als verkleideter Konversationalist in einem gefakten Gespräch zum kultivierten Reden trainieren will, letztendlich aber auffliegt. Ursina Lardi und Sebastian Blomberg als Hals Vater versprühen hier erstmals eine Menge an Situationskomik, die sich in den folgenden Szenen fortsetzt. Wie etwa in den Telefonaten, die Hal mit seinem Bruder Orin (Devid Striesow) führt. Es geht auch hier neben Frauen, die Orin nur Subjekte nennt, meist um den Vater und dessen Suizid. Hal hatte ihn mit 13 in der Küche gefunden. Um bei seinem Trauma-Therapeuten nicht zu versagen und das von ihm Gewünschte „rüberzubringen“, liest er psychoanalytische Fachliteratur.

Wahrheit und Lüge sind immerwährende Begleiter der Familie. Berührend sind die fast philosophischen Bettgespräche Hals mit seinem anderen Bruder Mario, den André Jung mit hochgebundener Oberlippe und angebundenem Arm spielt. Die beiden lehnen dabei mit Kissen an der großen Stahlschalungswand, die die Grenze zum mit Müll verseuchten Gebiet der „Konkavität“ darstellt und über die die nicht mehr benötigten Requisiten geworfen werden.

Der Abend behält trotz der sich am Roman orientierenden episodenhaften Inszenierung durchaus seine Spannung und erlebt seinen komödiantischen Höhepunkt kurz vor der Pause, wenn Devid Striesow als Orin mal wieder mit Hal telefoniert, wobei sich Ursina Lardi im Zehennagelzielwurf übt, während Sebastian Blomberg eine Vogel darstellt, der schließlich tot in Orins Whirlpool landet. Auch nach der Pause glänzt das Team Blomberg/Striesow noch in weiteren komischen Szenen wie einem Umarmungsslapstick bei den Anonymen Alkoholikern. Ansonsten konzentriert sich das Geschehen nun auch mehr auf die Suchtklinik. Heiko Pinkowski ist ein begnadeter Don Gately, ein leidender Fleischberg, der um seine Seele ringt, den Zugang zu Gott oder den Gefühlen seiner Patienten aber nicht findet und am Ende angeschossen die Schmerzmittel aus Angst vor dem Rückfall verweigert.

Hier weist der Roman durchaus religiöse oder gar mythische Bezüge auf. Ist Pinkowskis Don der reine Schmerzensmann, dann ist Jasna Fritzi Bauer als cracksüchtige Mutter einer Totgeburt oder als verschleierte Madame Psychosis von der „Liga der absolut rüde Verunstalteten und Entstellten“, die die Männer nicht ihrem Blick aussetzen will, Schmerzensfrau und Medusa zugleich. „Selig sind die körperlich Armen.“ Ob nun Drogensüchtige oder privilegierte Tennisschüler, alle Figuren sind hier in ihrer Angst vor Nähe, dem Zulassen von Gefühlen oder davor nicht zu funktionieren, gefangen. Thorsten Lensing zeigt dieses Anderssein aber nicht ausschließlich als Makel, sondern als liebenswerten Tick. Ein sehr körperbetontes Spiel, das mit seinen relativ einfachen Theatermitteln und vor allem seinen tollen DarstellerInnen zu beeindrucken weiß.

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Zuerst erschienen am 24.02.2018 auf Kultura-Extra.

Unendlicher Spaß
Von David Foster Wallace
In der Übersetzung von Ulrich Blumenbach
Regie: Thorsten Lensing
Bühne: Gordian Blumenthal und Ramun Capaul
Kostüme: Anette Guther
Dramaturgie: Thierry Mousset
Textfassung: Thorsten Lensing
Mitarbeit Textfassung: Thierry Mousset, Dirk Pilz
Mitarbeit Regie: Benjamin Eggers
Produktionsleitung: Eva-Karen Tittmann
Mit: Jasna Fritzi Bauer, Sebastian Blomberg, André Jung, Ursina Lardi, Heiko Pinkowski, Devid Striesow
Premiere war am 22.02.2018 in den Sophiensaelen Berlin
Eine Produktion von Thorsten Lensing in Koproduktion mit Schauspiel Stuttgart, Schauspielhaus Zürich, Ruhrfestspiele Recklinghausen, Kampnagel Hamburg, Theater im Pumpenhaus Münster, HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste, Künstlerhaus Mousonturm, Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und SOPHIENSÆLE
Termine: 24., 25.02. / 02., 03., 04.03.2018

weitere Termine in Frankfurt/M, Stuttgart, Münster, Dresden-Hellerau, Hamburg, Recklinghausen und Zürich

Infos: http://www.sophiensaele.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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