Einen besseren Film zum weiterhin äußerst schmerzhaften und heiklen Thema NSU kann ich mir kaum vorstellen. Schwochow hat vieles richtig gemacht - und vor allem drei naheliegende Fehler vermieden:
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Psychologisierung: Obwohl die ungünstige soziokulturelle embeddedness von Uwe, Beate und Uwe (UBU) teilweise drastisch veranschaulicht wird, bleiben diese dennoch als Individuen, als selbstverantwortlich handelnde Subjekte erkennbar (vgl. auch als Gegenfigur Zschäpes Schulfreundin, die, obwohl mit ähnlichem sozialem Startkapital gesegnet, schließlich doch den kleinbürgerlichen Weg wählt). UBU sind nirgendwo hineingeraten, sie sind vielmehr begeistert, ja ekstatisch eingetaucht in eine phantasmatische Wunschwelt.
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Dämonisierung: Es wird geradezu niederschmetternd klar, dass UBU nur ein klein wenig konsequenter waren als all die anderen jugendlichen deutschnationalen SchwärmerInnen, die sonst noch im Film auftauchen. Deutlich wird auch, dass nur das Zusammentreffen und - vor allem - sehr unwahrscheinliche Zusammenhalten dreier sich auf fatale Weise ergänzender Individuen die nachhaltige Destruktivität der späteren Terrorzelle möglich machte. UBU als Individuen dagegen erscheinen als - im Sinne Hannah Arendts - eher banale Figuren.
- Moralisierung: Nirgendwo suggeriert die Handlung dem Zuschauer, wie er die ProtagonistInnen moralisch bewerten soll. "Heute ist nicht alle Tage" ist weder Problemfilm, noch Lehrstück, noch Milieustudie, noch Sozialporno - er zeigt dem in seinem Urteilsvermögen ernstgenommenen Zuschauer einfach (einfach?) nur, wie die Dinge laufen können, wenn Stumpfheit, Abenteuerlust, Naivität, erotische Sehnsucht, Orientierungslosigkeit, "politische Romantik", Aggressivität, jugendliches Unabhängigkeitsstreben, Frustration, Identifikationsbedürfnis, Perspektivlosigkeit, Unbildung, Provinzialität, kriminelle Energie, Alkoholismus, Gruppendruck sowie ... (Liste bitte nach Belieben ergänzen) auf eine gesellschaftliche Umbruchsituation treffen, in der das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht real ist (hier: "Wendezeit").
In "Heute ist nicht alle Tage" wird, ein weiteres Verdienst des Films, der stets gewitzt, lässig und pop-affin daherkommende neurechte Sprachgebrauch in all seiner Drastik und stilisierten Grobheit dokumentiert. Das am häufigsten gebrauchte Wort des Films dürfte "Jude" sein: Eigennamen, aber auch Gefühle, Gedanken, Blicke, Kleidungsstile, Essgewohnheiten und Konsumverhalten, schließlich sogar die Kleidung, das Essen und das Konsumprodukt selbst (und am Ende gar Tiere, Pflanzen und Steine?) sind entweder "jüdisch" oder eben nicht. Eine dritte Option gibt es nicht. Man kommt nicht umhin, hier von einer histrionischen Ordnungsfantasie, besser: einem Phantasma zu sprechen, welches offenbar auch völlig unabhängig von der realen Existenz oder gar Bekanntschaft mit Menschen jüdischen Glaubens ganz prima funktioniert. HIstrionisch-phantasmatisch steht hier nicht für harmlos, weil ja schließlich alle Beteiligten um die offensichtliche Absurdität ihres Szenesprechs, den man besser nicht mit "Humor" verwechseln sollte, zu wissen scheinen. Das Gegenteil ist der Fall. Die sorgfältig gepflegte Wahnvorstellung von der lauernden Allgegenwart "des Jüdischen" dient den SprecherInnen weniger zur Unterhaltung als zur fortschreitenden Immunisierung gegen die als feindlich empfundende Außenwelt. Und immer geht es auch um ein durchaus narzisstisches, in jedem Fall aber hedonistisches Spiel mit der eigenen Irrationalität, die die erwartbare Empörung des Durchschnittsbürgers bereits lässig eingepreist und so der Optimierung des eigenen Lustempfindens dienstbar gemacht hat.
Das untergründige Thema von Schwochows Arbeit heißt darum auch nicht Wohlstandsverwahrlosung, sondern Identitätsverlust. Der Film erzählt nichts anderes als eine Identitätswiederbeschaffungsmaßnahme dreier orientierungsloser Jugendlicher, die vollkommen aus dem Ruder läuft. UBU tun buchstäblich alles, um dazuzugehören. Dabei spielen die weltanschaulichen Inhalte der ersehnten Gemeinschaft ganz erstaunlicherweise eine untergeordnete Rolle (so mutiert gleich zum Beginn des Films Mundlos grundlos von der Zecke zum Nazi, einfach so, von heute auf morgen). Viel wichtiger sind die emotionalen und sozialen Belohnungen, die die jeweilige Gruppenzugehörigkeit bietet. Demzufolge inszeniert Schwochow die einschlägigen neurechten Sauf- , Konzert- und Spieleabende (Zschäpe kreiert eine Monopoly-Variante namens "Pogromoly" und erntet Respekt) geradezu mitreißend ekstatisch (was mir tatsächlich leichten Brechreiz verursachte): UBU, die sich ja aus ganz unterschiedlichen Gründen marginalisiert fühlen, dürfen sich hier endlich - und wer weiß, vielleicht zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben! - als funktionierende, ja tragende Mitglieder einer community fühlen. Das macht sie ebenso glücklich wie dankbar und erhöht gut nachvollziehbar ihre Bereitschaft, der sinnstiftenden Idee - hier: die Errichtung eines Vierten Reiches - etwas zurückzugeben, sprich: sich aufzuopfern.
Mundlos, Sohn eines Informatik-Professors, liefert hierfür die pseudo-intellektuellen Grundlagen und ein gewisses Konzept, Böhnhardt, traumatisierter Kleinkrimineller mit sehr niedriger Frustrationstoleranz, dient sich dem verehrten Mundlos als Mann für's Grobe an und Zschäpe, permanent gepeinigt vom sorgfältig gehüteten "Makel" ihrer teilweise rumänischen Abstammung, sorgt dafür, dass es beide Penisträger zwar gut, aber nicht zu gut haben, indem sie beziehungsmäßig pausenlos virtuos zwischen U1 und U2 hin- und herlaviert. Ständig hat sie U1 "gerade" verlassen und nähert sich (wieder) U2 an, bevor sie schließlich U2 verlässt, um sich - nach angemessener Schamfrist - erneut U1 anzunähern etc. Auf diese Weise bleibt sie stets für beide Männer attraktiv, weil nie ganz eroberbar. Gleichzeitig bewahrt sie sich so eine Art Autonomie zwischen den beiden testosteronsatten Hitzköpfen. Und so gelingt ihr das unwahrscheinliche Kunststück, die labile ménage à trois zusammenzuhalten.
Vieles an "Heute ist nicht alle Tage" ist überdurchschnittlich, außergewöhnlich und herausragend: Das entschlossene Aufgreifen des Themas natürlich als erstes, zweitens die filmische Umsetzung, die ihrem schweren Stoff mehr als gerecht wird, das dramaturgische Konzept, das die Zuschauerin bis zur letzten Sekunde zu fesseln weiß drittens, sowie viertens, fünftens und sechstens die darstellerischen Leistungen (Anna Maria Mühe verkörpert Beate Zschäpe glaubhaft als auf unangenehme Weise "Erwachende"), die uneitel der Sache dienende Bildgestaltung (Kamera: Frank Lamm) und nicht zuletzt der kunstvoll mit abrupten Brüchen arbeitende Schnitt (Jens Klüber, Julia Karg).
[Anm. d. Autors: Gekürzte Fassung. Der Originalartikel ist hier.]
Kommentare 7
Hab' ich auch so gesehen/sehe ich auch so.
Vor allem, was unter "3." steht, finde ich sehr gelungen. Schwochow ist schmerzbefr schmerzerprobt genug, um das so rauszuhauen. Und er hält sein Publikum für erwachsen genug, seine Filme mit ihm durchzustehen. Das weiß ich spätestens seit dem großartigen "Die Unsichtbare".
Und stark gespielt. Vor allem Albrecht Schuch (als Mundlos) ist mir aufgefallen. So sympathisch, dass man der Figur nicht böse sein kann, obwohl man doch will. Was natürlich auch an den gut sitzenden Jeans liegen kann ;o=
@Janto Ban: Ja, der Mundlos-Darsteller war auch großartig, danke für's Feedback :-)
großartige Rezension, wenn die beiden anderen Teile ebenfalls überzeugen, dürfte der Trilogie der Grimme-Preis sicher sein.
für mich die emotional kaum auszuhaltende Szene war der Gesichtsausdruck Zschäpes, als sie auf eine am Boden liegende Frau immer und immer wieder, zum Abschluss noch besonders heftig in den Unterleib trat.....
Ich gestehe, dass ich mehr als einmal meinen Blick vom Bildschirm weg drehen musste, ich konnte einfach nicht aushalten, was ich sah.
Vielleicht ja auch ein Qualitätsmerkmal, zumindest bei einem "Spielfilm" .
@IBAN: Herzlichen Dank, ich fühle mich verstanden :-) Ja, ich denke schon, dass es ein sehr wichtiges Qualitätsmerkmal eines Spielfilms ist, wie er Gewalt darstellt. Und im Fall von "Heute ist nicht alle Tage" wird eben auf unangenehme Art und Weise klar, wieviel Gewalt gegen Schwächere (also sadistische Gewalt) mit Lustgewinn zu tun hat. Die Zschäpefigur hat sich in der von Ihnen erwähnten Szene einfach gut gefühlt, geil gefühlt, selbstbewusst gefühlt - weil sie glaubte, auf der richtigen Seite zu stehen. Es war nicht allein sie, die zutrat, es war "die Sache" (d. h. der kommende NSU).
Dieser sozialpsychologische Aspekt von Gruppenidentifikation kommt in der politischen Debatte fast immer zu kurz. Dabei ist das ja nun wirklich kein psychiatrisches Geheimwissen mehr. Mit politisch-historischen Argumenten allein ist dem Phänomen NSU nicht beizukommen (der RAF übrigens auch nicht ... und der IRA ... und dem IS etc.).
Das Problem ist, dass diese komplette Enthemmungsoption in jedem Menschen schlummert, die meisten aber zuwenig Fantasie haben, um sich selbst in einer solchen Situation vorstellen zu können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass speziell juristisch oder auch naturwissenschaftlich gebildeten Menschen hier jegliche Einbildungskraft abgeht (ok, vermutlich auch, weil in diesen Studiengängen fast ausschließlich analytische Intelligenz gefragt ist - wer sehr fantasiebegabt ist, wird kaum Jura studieren).
Das könnte übrigens auch ein sozialpsychologischer Grund sein, warum das Morden des NSU so lange unentdeckt blieb: Die zuständigen Behörden waren buchstäblich nicht in der Lage, sich ein derartiges Phänomen vorzustellen. Ein "schönes" Beispiel dafür, wie immenser gesellschaftlicher Schaden durch einen systematischen Mangel an Einbildungskraft entstehen kann.
Es wird Zeit, dass sich der Nebel in den Köpfen lichtet und der eigentliche Hintergrund begriffen wird: http://wipokuli.wordpress.com/2012/07/05/verfassungsschutz-und-nsu-der-skandal-der-nicht-begriffen-werden-soll/ Das gerichtliche Theater sollte uns nicht täuschen! https://wipokuli.wordpress.com/2015/12/09/nsu-prozess-zschaepe-gibt-den-albert-speer/
Andreas Schlüter
Soziologe
Berlin
auch der zweite Teil "Die Opfer" hat emotional begeistert und setzt die ausgezeichnete Umsetzung dieses schwierigen Themas um, wie es kaum besser möglich ist.
Immerhin: "es tut mir leid, wir haben versagt" hat den ungeheueren Druck aus dieser Aneinanderreihung brutalster Fehlermittlungen und unwürdigem Umgang mit den Opfern genommen, aber nur marginal.
Was bleibt, ist ein Gefühl von Unsicherheit und Ohmacht diesen Sicherheitsorganen gegenüber, ganz egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund.