Warum ein nationales Netz keine Lösung ist

Abschottung Die Forderungen nach einem nationalen Netz werden wieder lauter. Doch hilft das wirklich? Fünf Gründe, warum ein Deutschland- oder Schengen-Netz eine schlechte Idee sind

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Warum ein nationales Netz keine Lösung ist

Foto: John W. Adkisson/ AFP/ Getty Images

Nun sind wir also wieder an einem Punkt angelangt, an dem ernsthaft über ein deutsches oder Schengen-Internet geredet wird und es anscheinend einige Stimmen gibt, die es befürworten. Auf den ersten Blick wirkt der Vorschlag auch nicht schlecht, denn er verspricht Schutz der Privatsphäre gegenüber Lauschern aus den USA, Großbritannien und wer sonst noch so alles mithört. Doch wie heißt es in einem alten Sprichwort: Es ist nicht alles schwarz-rot-gold, was glänzt. Es gibt durchaus berechtigte Gründe, an der Idee des Deutschlandnetzes zu Zweifeln, und ich stelle mich in diesem Beitrag gerne zur Verfügung, diese Zweifel mit Argumenten zu nähren.

http://binsenweisheit.wordpress.com/wp-includes/js/tinymce/plugins/wordpress/img/trans.gif1. Die Telekom ist dafür.

Ja, das klingt jetzt wie ein trotziges Kind, das sagt: "Die Telekom ist böse und gemein und deswegen ist die Idee blöd." Das spielt sicherlich, zugegebenermaßen, zu einem Teil mit herein, aber der eigentliche Ansatzpunkt ist ein anderer. René Obermann, Chef der Deutschen Telekom, empörte sich auf dem Cyber Security Summit darüber, dass die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit verlorengegangen sei, dass das Ausmaß der Überwachung die Grenzen sprengen würde. Aus diesem Grund setzte er sich für ein Schengen-Routing ein (in Anlehnung an das Schengener Abkommen). Obermann, im Namen der Telekom, jetzt ein Verfechter von Privatsphäre und Freiheit der Kunden seines Unternehmens? Derselbe Obermann, der eben diesen Kunden gerne die Leitung verdrosselt und eigene Dienste gegen Entgelte bevorzugt und ohne Volumengrenze durchleiten möchte? Auf der einen Seite kämpft er also für die digitalen Grundrechte seiner Kunden, und auf der anderen Seite tritt er selbige mit Füßen, indem er versucht, die Netzneutralität auszuhebeln.

Das passt irgendwie nicht zusammen. Oder vorsichtig ausgedrückt: die Wahrscheinlichkeit, dass die Telekom ein Schland- bzw. Schengen-Netz aus reiner Nächstenliebe möchte, ist äußerst unwahrscheinlich. Um den wahren Grund zu finden, muss man sich nur eine Frage stellen: Wie profitiert die Telekom davon? Dies wurde bereits in einem Kommentar von heise online sehr gut beantwortet: Internetanbieter sind darauf angewiesen, sich untereinander ihre Daten an gewissen Exchange-Points zu übergeben. So geschieht es bspw. am größten deutschen Peering-Knoten DE-CIX in Frankfurt. Diesen und andere Knoten würdigt die Telekom allerdings keines Blickes. Sie setzen lieber aufgrund ihrer marktdominierenden Stellung darauf, dass andere Anbieter dazu gezwungen sind, sich direkt mit der Telekom zu verbinden. Und dafür möchte sie, wer hätte es anders erwartet, gerne bezahlt werden. Der Schluss daraus ist ein einfacher: bei einem innerdeutschen oder -europäischen Netz wären mehr Anbieter dazu gezwungen, ihre Daten den Leitungen der Telekom zu übergeben. Und dieser Dienst wird, wie bereits erwähnt, nicht kostenlos zur Verfügung gestellt.

Es ist das gleiche Lied wie bei der Drossel: Die Telekom versucht, ihre vorherrschende Marktstellung auszunutzen, um auf Kosten anderer mehr Gewinn machen zu können. Nur haben sie es diesmal geschafft, das Ganze ein wenig hübscher und akzeptabler, unter dem Deckmantel von Datenschutz und Freiheit, zu verpacken.

2. Datensicherheit ist nicht garantiert.

Man kann den Mitarbeitern der Geheimdienste, die in die Spionage-Affäre verwickelt sind, sicherlich einiges vorwerfen, doch technische Inkompetenz gehört sicherlich nicht dazu. Selbst als IT-Laie kann man sich unschwer vorstellen, welcher Aufwand betrieben wurde, um eine Überwachung dieses Ausmaßes zu realisieren. Verschlüsselungen wurden geknackt, Sicherheitslücken wurden ausgenutzt, selbst vor dem wohl sichersten Handy der Nation schreckte man nicht zurück. Datenverkehr, der nicht mehr über die Knotenpunkte in den USA läuft, stellt dabei nur eine geringe Hürde dar, die die NSA und andere Geheimdienste sicherlich willens sind, zu überspringen. Hinzu kommt natürlich, dass die meisten Verbindungen weiterhin unverschlüsselt und damit noch einfach abzufangen sind.

Betonenswert ist dabei auch, dass die Gefahr für Privatsphäre und Freiheit nicht nur aus dem Ausland kommt. Auch der BND lauscht bereits fleißig, das Thema Vorratsdatenspeicherung ist noch nicht vom Tisch und bei den Koalitionsverhandlungen hat die Union durchblicken lassen, dass sie einer Überwachung im NSA-Stil gegenüber nicht abgeneigt wäre. Davor bietet auch ein Schland- oder Schengen-Netz keinen Schutz.

3. Der normaleTM Bürger hat kaum einen Nutzen davon.

Wenn man die Begriffe Deutschland, EU- oder Schengen-Netz benutzt, dann klingt es, als würde man über ein eigenständiges, komplett abgeschottetes Netz reden, an das keiner herankommt. Das ist natürlich nicht der Fall. Der Plan geht schlicht und ergreifend dahin, dass Datenverkehr innerhalb von Deutschland bzw. Europa verbleibt. Das funktioniert natürlich nur mit Kommunikation, die innerhalb des Landes abgewickelt wird. Dabei gibt es aber ein Problem: der Standort des Anwenders ist dabei nicht von Bedeutung, sondern der des Anbieters. Der durchschnittliche private Internetnutzer wir dabei zu einem großen Teil Dienste nutzen, deren Anbieter nicht in Deutschland bzw. Europa ihren Sitz haben. Facebook, Google, YouTube, Twitter, Tumblr, selbst wordpress - das ist nur eine kleine Auswahl der Dienste, die ihre Server nicht in Deutschland stehen haben und deswegen nicht vom Schlandnetz betroffen wären. Für das typische, deutsche Mittelstandsunternehmen ist das egal, denn es benötigt diese Websites eher weniger. Doch für Menschen, die das Internet privat nutzen, ist das anders.

Ein Bundes- bzw. EU-Netz würde demnach vor allem der Wirtschaft nützen. Unternehmen kommunizieren hauptsächlich geschäftlich, und bei kleinen bis mittelständigen Unternehmen vorwiegend im eigenen Land. Die Angst vor Industriespionage ist berechtigt, ein abgeschottetes Netz würde ihnen dabei zugutekommen (wobei eine 100%ige Sicherheit natürlich auch hier nicht besteht). Und für den privaten Anwender? Kaum ein Unterschied. Sicherlich kann auch seine Kommunikation betroffen sein, bspw. bei Seiten, die in Deutschland gehostet werden oder bei einer E-Mail mit einem Freund (vorausgesetzt, beide nutzen in Deutschland gehostete E-Mail-Dienste). Der Rest ist weiterhin nicht sicher. Achtung der digitalen Grundrechte? Immer noch weit davon entfernt.

4. Technische Umsetzung und Anwendung

Der IT-Branchenverband betonte bereits, dass die technische Umsetzung sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich sein könnte. Berechtigt, denn wir sprechen hier von einer unglaublichen Menge an Traffic, die entsprechend gefiltert und sortiert werden muss. Vor allem im Anfangsstadium werden Probleme wie Datenstaus oder zusammenbrechende Leitungen keine Seltenheit bleiben, da sich der Datenfluss erheblich ändern wird. Dadurch kann es bspw. dazu kommen, dass Knoten oder Server in Deutschland bzw. Europa, die vorher kaum wussten, was Traffic ist, plötzlich mit einer ungeheuren Menge an Daten zurechtkommen müssen, da über sie geroutet werden muss. Gerade beim vergleichsweise schlechten Netzausbau in Deutschland könnte es dabei zu Problemen kommen.

Des Weiteren müssen natürlich, um die Umsetzung sinnvoll zu machen, entsprechende Gesetze oder zumindest rechtliche Grundlagen geschaffen werden, die die Anbieter dazu zwingt, innerdeutschen bzw. -europäischen Traffic auch dort zu belassen. Denn sonst kann für den Anwender keine komplette Gewissheit herrschen. So etwas zu kontrollieren und sanktionieren zu wollen, ist allerdings eine Mammutaufgabe. Wenn man die Menge an Daten bedenkt, die jeden Tag im europäischen Raum unterwegs ist, ist es nur schwer vorstellbar, dass eine lückenlose Kontrolle möglich ist - und dem Nutzer somit keine volle Gewissheit gegeben werden kann.

Generell ist die Lage für den Nutzer ungewiss. Die meisten Menschen sind immer noch wenig technisch versiert. Und eine .de-Domain bedeutet nicht immer, dass sich der Server und alle Zwischenstellen in Deutschland befinden. Es gibt bspw. das AddOn FlagFox für Mozilla Firefox, das mir sagt, in welchem Land der Server steht, doch nur die wenigstens kennen und nutzen es. Auch die sich aus entsprechenden Gesetzen entstehenden Rechten und Pflichten sind noch nicht geklärt. Dadurch wird, zumindest im jetzigen Stadium, die Unsicherheit noch größer. Es ist noch unklar, ob - und wenn ja, welche - Nachteile für die Menschen aus rechtlicher Sicht entstehen könnten.

5. Technischer Lösungsansatz für ein politisches Problem funktioniert (immer noch) nicht.

It's Zensursula all over again. An einer richtigen, politischen Lösung ist Deutschland anscheinend nicht interessiert. Doch genau das ist der einzige Weg, um dem Ausspähen wirklich Einhalt zu gebieten. Die millionenfache Grundrechtsverletzung ist "nur" die Auswirkung, die Ursache liegt im Verhalten der Länder, die diese Art der Spionage betreiben. Solange man immer nur die Auswirkung bekämpft und nicht gegen die Ursache angeht, kann es zu keiner endgültigen, zufriedenstellenden Lösung kommen. Doch anstatt in den politischen Angriff überzugehen und sich gegen diese Behandlung der Menschen zu wehren, zeigte die Regierung sich erst als handlungsunfähig und befürwortet nun eine komplett defensive Taktik. Dabei sind Druckmittel, z.B. in Form des sich momentan in der Verhandlung befindlichen Freihandelabkommens, durchaus vorhanden.

Europäisches Netz, Deutschlandnetz, selbst die ausschließliche Nutzung deutscher Dienste und Verschlüsselung sämtlicher Kommunikation - das sind alles nur temporäre Lösungen. Wenn überhaupt. Viele davon bringen Nachteile mit sich, manche eher gering, wie bspw. erhöhter Aufwand bei Verschlüsselung, manche durchaus bedeutender, wie ich hoffentlich mit diesem Beitrag klar machen konnte. Doch für eine endgültige Lösung scheint sich unsere Regierung nicht einsetzen zu wollen. Allerdings ist ein Handlungswille nicht nur bei Staatsoberhäuptern, sondern auch bei den meisten Menschen noch nicht zu sehen. Sonst wären die Proteste viel lauter und zahlreicher, um die Regierung zum Handeln zu bringen. Bis jetzt gilt für die meisten wohl leider immer noch: "Ich habe nichts zu verbergen!".

Dieser Beitrag und viele andere zum Thema erscheinen ab jetzt auch immer auf meinem Blog.

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Geschrieben von

Steve König

Männlich, 24 sucht Demokratie zum zusammen alt werden. Ernsthafte Absichten sind ein Muss.

Steve König

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