„Politik macht keine Wahrheiten, sondern Kompromisse“

Bundestag Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht und nach der Zeit als Gesundheitsminister eine „Abkühlphase“ eingelegt, um sich einem neuen Thema zu widmen, der Energiepolitik, erklärte Jens Spahn beim Gespräch in der Berliner Ständigen Vertretung.

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Angefangen hat sein Interesse für Politik, zunächst Kommunalpolitik, durch die katholische Jugendarbeit, beim Besorgen von Geld für Feriencamps. In die Junge Union ist Jens Spahn schon mit 15 Jahren eingetreten. Für den Stadtrat in Ahaus hat er mit 19 Jahren kandidiert und war dort bis 2009 Mitglied, anschließend war er bis 2015 Kreistagsmitglied in Borken.

Zur Gesundheitspolitik kam der damals 22jährige CDU-Politiker aus dem neugebildeten Wahlkreis Borken-Steinfurt im Münsterland im Bundestag nach dem „Senioritätsprinzip“, wie er im Gespräch mit Diana Scholl vom Bundesverband Deutsche Berufsförderungswerke (BFW) in der Veranstaltungsreihe „bwg sitzungswoche – Sprechstunde“ in der Ständigen Vertretung in Berlin erklärt. Der Haushaltsausschuss, Wunsch des gelernten Bankkaufmanns, war den Erfahrenen vorbehalten. Aber im Gesundheitsausschuss sei noch etwas frei, bedeutete ihm Norbert Lammert in der Fraktion. Da das Gesundheitsministerium damals auch die „soziale Sicherung“, also auch die Rentenpolitik verantwortete, wollte Spahn sich zunächst auf die Alterssicherung spezialisieren, bis er merkte, wie spannend die Gesundheitspolitik ist.

Auf die Frage eines Zuschauers, die erstmals in der Veranstaltungsreihe zu Wort kamen sagte Spahn, er habe sich 2018 nicht mit dem Posten des Gesundheitsministers „abgespeist“ gefühlt. Es sei ein Sektor, in dem immerhin fünf Millionen Menschen unterschiedlichster Berufe arbeiteten, die rund zwölf Prozent des Bruttosozialprodukts bewegen. „Vor der Pandemie, das ist jetzt leider vergessen, haben wir viele Dinge gerissen“, weist Spahn auf Erfolge wie die Einführung des HIV-Präventionstests hin, den viele der CDU nie zugetraut hätten.

Nach der verlorenen Bundestagswahl habe er nicht „ewig das Corona-Gesicht“ bleiben wollen. Mit der Gesundheitspolitik habe er mit seinem Buch („Wir werden einander viel verzeihen müssen. Wie die Pandemie uns verändert hat – und was sie uns für die Zukunft lehrt. Innenansichten einer Krise“) abgeschlossen.

Er halte es auch generell nicht für sinnvoll, seinen Nachfolger zu kritisieren. Deshalb habe er sich in Absprache mit Friedrich Merz ein neues Thema gesucht, nämlich die Energie- und Klimapolitik. Ähnlich wie bei der Gesundheitspolitik mit der Pandemie hatte er auch hier nicht erwartet, dass die Energiepolitik so schnell im Mittelpunkt stehen würde. Für Wirtschaftsminister Robert Habeck hat er, ohne ihn beim Namen zu nennen, allerdings in diesem Zusammenhang einiges an Lob übrig. Für die ganze Regierung sogar, beginnend bei der „Zeitenwende“-Rede des Kanzlers, der er stehend applaudiert habe, zur Verwunderung einiger Kolleg*innen in der CDU/CSU-Fraktion. Überall Flüssiggas zu jedem Preis einzukaufen, habe er nach dem russischen Angriff auf die Ukraine für richtig gehalten: „In der Krise, das ist meine Erfahrung, ist Haben besser als Brauchen.“

Zu den Zugewinnen der AfD in Bayern und Hessen vertritt Spahn die Meinung, wenn die Fragen, die die Menschen bewegten wie die irreguläre Migration, nicht endlich offen angesprochen („Wo es anstrengend wirkt, müsste man die Sachen eigentlich auf den Tisch packen“) und gelöst würden – in vielen einzelnen Schritten – dann werde es spätestens zu den Europawahlen 2024 einen Rechtsruck ungeahnten Ausmaßes geben. Schon jetzt wähle eine Mehrheit eher rechts, bekomme aber wegen der Absage an Koalitionen mit der AfD durch die CDU, die er richtig findet, immer eine Koalition mit eher linken Kräften.

Die CDU/CSU sei bereit, mit der Regierung in dieser Frage zusammenzuarbeiten, meinte er und prophezeite, dass die EU-Außengrenzen „früher oder später stark und hart geschützt“ würden. Die deutsche Parteienlandschaft sei in der EU die Ausnahme, in den anderen Ländern sei die bürgerliche Mitte längst abgeschmolzen. Die AfD sei auch nicht nur ein Problem der Konservativen. Auch in ehemaligen SPD-Hochburgen wachse ihre Wählerzahl, ebenso bei den Jungwählern. Dabei wünsche die AfD „keine BRD wie 1980“, sondern sei wirklich rechtsextrem in ihren Vorstellungen. Man müsse nur das Buch von Bernd Höcke lesen, dann wisse man, wo sie hinwollten. Ähnliches gelte auch für Putin, der habe, wie einst Hitler, seine Vorstellungen auch alle zu Papier gebracht, es hätten sie nur zu wenige wahr- und ernst genommen.

Nach seiner Vision gefragt, antwortete Spahn, der es während seiner Abgeordnetenzeit in 13 Jahren an der Fernuni Hagen zum Master in Politikwissenschaften brachte und jetzt mit einem Psychologiestudium dort liebäugelt, seine Vorstellung sei, „es jeden Tag ein bisschen besser zu machen“. Wenn Deutschland im Jahr 2030 noch wirtschaftlich stark, sozial gut abgesichert, mit gesellschaftlichem Zusammenhalt und in Freiheit und Frieden mit seinen Nachbarn dastünde, dann sei für ihn ein wichtiges Ziel erreicht.

Auf Vorhaltungen, dass er die Meinungsfreiheit kleinrede, meinte Spahn, er habe nur das in Umfragen und auch ihm gegenüber geäußerte Gefühl wiedergegeben. Viele hätten auch durch die veröffentlichte Meinung das Gefühl, in der Minderheit zu sein, auch wenn das nicht stimme, und schwiegen dann lieber unzufrieden. „Ich möchte, dass die Dinge auf den Tisch kommen. Aber Politik macht keine Wahrheiten, sondern Kompromisse.“ Jeder solle seine Meinung sagen, müsse aber auch mit Reaktionen rechnen. „Aber Reaktionen müssen wieder vernünftig werden“, forderte der Münsterländer, und dürften sich nicht in Hass und Hetze austoben. „Wir verlieren dadurch so viele Talente für die Politik, die sich das nicht mehr antun.“

Deshalb war sein politischer Wunsch am Ende des Gesprächs: „Eine bessere Debattenkultur.“ Und privat lange Wanderungen mit seinem Mann durch die Berge.

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Die Veranstaltungsreihe „bwg sitzungswoche – Sprechstunde“ ist eine Kooperation von bwg Berliner Wirtschaftsgespräche, sitzungswoche Unabhängiges Netzwerk für Politik, Wirtschaft und Medien, StäV Ständige Vertretung Berlin, Wöllhaf Gruppe und OSI Club mit Unterstützung von Studio Schiffbauerdamm, Landau Media und berlin bubble.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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