Im Homeoffice den rasanten Ereignissen hinterher hetzen

Berliner Mediensalon Trends, Hypes und leere Redaktionen: Ein Rückblick auf ein ereignisreiches Medienjahr, bewältigt von Journalist*innen, die meist aus dem Homeoffice arbeiten und ihre Kolleg*innen nur noch als Kacheln auf dem Bildschirm sehen.

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Die Bilder des Jahres? Das war die erste Frage im Berliner Mediensalon zum Rückblick auf 2021. Die Eingeladenen antworteten prompt: Julian Reichelts Abschied von der BILD, das zerstörte Ahrtal, Laschets Lachen im Wahlkampf, die Corona-Demos mit Angriffen auf die Presse, der Flughafen Kabul beim Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan. Ein ereignisreiches Jahr, bewältigt von Journalist*innen, die meist aus dem Homeoffice arbeiten und ihre Kolleg*innen nur noch als Kacheln auf dem Bildschirm sehen.

Den ersten Hype von 2021, den Moderator Johannes Altmeyer vom Newsletter „Business Insider“ zur Diskussion aufrief, beerdigten die Gesprächsteilnehmer*innen auch ganz schnell wieder: „Clubhouse“ sei nach wenigen Wochen schon nicht mehr von Interesse für Journalist*innen gewesen. Martin Fuchs, Politikanalyst und Social-Media-Beobachter, war „froh, dass es schon nach wenigen Wochen wieder weg war“, denn „Clubhouse“ hätte etwa beim Umgang mit Hassreden alles falsch gemacht, was möglich war. Aurelie von Blazekovic, die für „Kultur und Medien“ bei der Süddeutschen Zeitung arbeitet, bedauerte sehr, ihre ganzen Daten dabei weiter gegeben zu haben. Das Misstrauen gegenüber dem Umgang mit dem Datenschutz bei „Clubhouse“ ist offenbar allgemein schnell gewachsen.

Die Demonstrationen gegen die Corona-Politik seien ab Mai erst mal abgeebbt, erinnerte Christian Orth, Reporter und Moderator im Politikressort bei BR24, und hätten im Wahlkampf keine große Rolle gespielt. Doch jetzt gingen die Angriffe bei Demos und persönliche Attacken auf digitalen Kanälen mit einer vorher nicht erlebten Aggressivität wieder los: Namen von Journalist*innen mit veröffentlichten Adressen in den Hetzforen beklagte Orth. Fuchs erwiderte, er und andere Beobachter gegen Rechtsextremismus stünden seit Jahren auf Todeslisten, das habe aber bisher weder die Presse oder Öffentlichkeit groß bewegt, noch das Bundeskriminalamt zu Schutzmaßnahmen veranlasst. Ilka Knigge, die für den BR mit „PlanetB“ als Youtuberin im Klimajournalismus arbeitet, war überrascht, wie schnell und gut organisiert die Angriffe auf sie einprasselten.

Wie sich Journalismus und Aktivismus vermischen können, wurde am Beispiel des STERN diskutiert, der den jungen Leuten von „Friday for Future“ eine Ausgabe zur Gestaltung überlassen hat. Es sei aber die Frage, so Blazekovic, ob man bei Themen wie Corona oder Klimawandel trotz wissenschaftlicher Belege aus vermeintlicher Objektivität auch die Leugner und Verschwörungsüberzeugten immer zu Wort kommen lassen müsse. Für Fuchs war ein Problem, dass die Medien im Wahlkampf zu sehr auf die gewollten Hypes der „Spin Doctors“ eingegangen seien und Petitessen wie Plagiate zu sehr aufgebauscht hätten. Dass der lachende Laschet der „Gamechanger“ im Wahlkampf war, darin war sich die Online-Runde einig, ob es allerdings immer wieder aus der digitalen Schublade habe gezogen werden müssen, sei die Frage. Für Orth war es absolut das „Bild eines Kandidaten, der sich auch bei großen Presseauftritten nicht im Griff habt“.

Als Altmeyer den „Podcast-Hype“ ins Spiel brachte, meinten die Diskutant*innen, dass der Hype 2021 schon vorbei war. Die guten Podcasts, die ihre Community gefunden hätten und pflegten, seien geblieben und würden als Format auch nicht mehr verschwinden. Eine Paywall für Podcasts sei richtig. Die Kreativen müssten ja von dieser Arbeit leben können.

Ein Thema, das die Medien noch lange beschäftigen werde, sind die veränderten Arbeitsbedingungen durch das Homeoffice und die Frage, ob die gerade erst als unbedingtes Muss eingeführten Newsrooms in den Medienhäusern von Dauer der Standard sein werden. So, wie sie geplant waren im Neubau vom BR in München-Freimann oder dem wegen der Pandemie noch nicht feierlich eingeweihten Springer-Campus in Berlin für die „blaue“ WELT-Gruppe.

Die Kommunikation und die Medienproduktion aus dem Homeoffice hätten erstaunlich gut funktioniert, aber der fehlende persönliche Kontakt zehre doch sehr an der Arbeitsfreude und der Inspiration, vor allem wenn die Redaktion „Social-Media-Formate“ betreue, „die krass mit Humor funktionieren“, meinte Lara Thiede, Redaktionsleiterin beim Jugendmagazin-Magazin „ jetzt“ der Süddeutschen. Als sie stellvertretende Leiterin wurde, war ihre erst Aufgabe, die Redaktion nach Hause zu schicken und Laptops für deren Homeoffices zu besorgen. „Ich bin zur Redaktionsleiterin befördert worden, ohne mein Team bisher zu treffen“, bedauerte sie. Außerdem dauere die Kommunikation digital länger, es entstünden Missverständnisse, die man früher in einem Gespräch im Haus gar nicht bekommen hätte. „Die Team-Meetings fressen den halben Tag“, sagte Altmeyer zu den Videokonferenzen.

Auch wenn viele in der Runde zugaben, sich müde zu fühlen bei dem langen Ausnahmezustand in der Pandemie, war die Wachsamkeit doch ein wichtiges Thema. Was ist „Wokeness“, grob umschrieben als „Aufmerksamkeit gegenüber Diskriminierungen“, wie wird das verstanden? Meint der Begriff in jedem Medienhaus und auch innerhalb jedes Hauses in den verschiedenen Redaktionen etwas anderes? Einen kleinen Abriss zum Begriff und seinen Konnotationen versucht die Stuttgarter Zeitung. Ob in deutschen Redaktionen ein ähnlicher Kulturkampf drohen könne wie bei der New York Times, ob es ein Kampf Jung gegen Alt oder liberal gegen traditionell sei? Ein Begriff, der für Blazekovic ähnlich schwammig ist wie die „Cancel Culture“.

Die Diskussion beginnt wohl erst, so die Einschätzung. Aber ein Mehr an „Sensibilisierung“ könne keinesfalls schaden, meinte Fuchs, der auf seine Wunschliste für das Medienjahr 2022 eine neue Fehlerkultur und mehr Offenheit zu den Leser*innen setzte. Sich seiner eigenen „kognitionsbedingten Mechanismen“ bewusster zu arbeiten und sich zu fragen, ob man die Expert*innenliste nicht unbewusst so zusammenstelle, dass hinterher das Ergebnis herauskomme, das man von Beginn an im Kopf hatte, ist das Ziel von Orth. Thiele empfahl, weniger auf eigene Relevanzkriterien zu setzen und den Wunsch des Publikums nach „weichen Geschichten“ mehr zu berücksichtigen. Mehr „Trial and Error“ statt Kopien erfolgreicher Formate anderer, wünschte sich Knigge, mehr konstruktiven Journalismus erhofft sich Blazekovic.

„Mehr Aufmerksamkeit aufeinander, wenn wir in die Redaktionen zurückkehren“, war Altmeyers Wunsch für 2021. „Man muss auch mal scheitern dürfen, auch im Journalismus.“ Sein Lektüretipp zum Jahresende: Der Text des preisgekrönten Schweizer Journalisten Hannes von Wyl „Und es ist gut so: Das Protokoll eines Scheiterns“, der in „Edito“ berichtet, „wie er den Erwartungsdruck, den Stress im Job, die Ungewissheit der beruflichen Zukunft zu kompensieren versuchte. Ein persönlicher Erfahrungsbericht – und ein scharfes Spiegelbild der Branche.“

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#Mediensalon ist eine Veranstaltung der gemeinnützigen meko factory – Werkstatt für Medienkompetenz in Kooperation mit Deutscher Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di und Deutschem Journalistenverband DJV Berlin – JVBB e.V., unterstützt von Landau Media und der Otto Brenner Stiftung. Mehr als zehn Debatten im Jahr werden durchgeführt u.a. in der taz und bei ALEX Berlin.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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