Für schnellere Entscheidungen „auch mal ins Risiko gehen“

Infrastrukturausbau In Deutschland sei die Angst vor Fehlern und die Detailbesessenheit zu groß. Alles soll möglichst bis ins kleinste Detail schon vorher geregelt werden. Verwaltungen entschieden zu langsam oder gar nicht, statt mal „ins Risiko zu gehen“.

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Das erklärte Detlef Müller, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, im Zwiegespräch mit Diana Scholl vom Bundesverband Deutsche Berufsförderungswerke (BFW) in der Veranstaltungsreihe „bwg sitzungswoche – Sprechstunde“ in der Ständigen Vertretung in Berlin. Der Chemnitzer Lokomotivführer, der das einzige Direktmandat der SPD in Sachsen errungen hat und sich im Bundestag besonders mit den Themen Digitales und Verkehr, beschäftigt, forderte, etwa bei der Digitalisierung der Verwaltung auch mal „ins Risiko zu gehen“, statt aus Angst vor dem Rechnungshof lieber gar nichts voranzutreiben. Die Digitalisierung müsse schneller werden, auch wegen des Arbeitskräftemangels und der notwendigen Einwanderung auf Grund der demographischen Entwicklung, Aber wenn die Zuständigkeiten von Bund und Ländern sich überlappen, wie auch beim Bauen oder „der Schiene“, und dann „die Mittelbehörden nicht mitziehen, dann kommen wir nicht voran.“

Beim Deutschlandticket dagegen ging es mal schnell, dass fand Müller richtig gut. Da solle man jetzt nicht wieder daran herumkritisieren und die Menschen wegen der langfristigen Finanzierung verunsichern. Er zeigte sich davon überzeugt, dass das Deutschlandtickert eine gute Zukunft habe. Das hofft der Eisenbahner, der Pünktlichkeit und gut strukturierte Tagesabläufe schätzt und Helmut Schmidt als sein Vorbild bezeichnet, auch für den Netzausbau bei der Bahn. Bei dem vor der Jahrtausendwende wegen des geplanten Börsengang heruntergesparten Netz werde jetzt endlich „mit Milliarden gegengesteuert“, aber die nächsten Jahre „werden anstrengend“. Das Bahnnetz nannte Müller zu unflexibel, da zu wenig Ausweichstrecken vorhanden seien und die Resilienz verloren gegangen.

Die Aufregung um die Vorschläge der Berichterstatterin im Brüsseler Verkehrsausschuss zur Reform der EU-Führerscheins nannte er „einen Sturm im Wasserglas“. Das meiste davon, was die französische Grüne sich vorstelle wie ein Nachfahrverbot für Fahranfänger, seien gar nicht umsetzbar und werden so nicht kommen. Zudem seien es nicht mal die Vorschläge der Grünen-Fraktion, sondern ihre Einzelmeinung. Befürworten würde Müller aber ein EU-Tempolimit, das allerdings dann erst Mal in nationales Recht umgesetzt werden müsste. Und für diese Wahlperiode sei das Thema durch den Koalitionsvertrag erledigt.

Fragen wie das Problem der Migration oder die Regelung bei den subventionierten chinesischen E-Autos sind für Müller, der sich im Bundestag auch schon mit der Europapolitik beschäftigt hat, nur auf EU-Ebene zu regeln. Die EU müsse faire Regeln finden, wie mit den chinesischen Einfuhren umzugehen sei. Andererseits müssten die deutschen und europäischen Hersteller aber endlich kleinere, preisgünstigere Modelle anbieten, sonst komme die Elektromobilität nicht voran.

In der SPD engagiert hat sich Müller seit 1990 engagiert, zuerst auf kommunaler Ebene. Der basketball-Fan ist bis heute Stadtrat in Chemnitz. Denn er wollte sich nicht nur „vor dem Fernseher von der Politik berieseln lassen“, sondern mitgestalten. Die kommunale Arbeit erlaube es ihm auch, „die Bundesgesetze abzuprüfen“ auf ihre Wirkung für die Stadt und den Wahlkreis sowie kommunale Anregungen direkt in Berlin einzubringen. Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen in der Politik gehöre, „mit den Leuten ins Gespräch zu kommen“. Hier wünsche er sich mehr gegenseitiges Zuhören in der Gesellschaft, mehr Eingehen auch auf die Argumente von anderer Seite. Mehr erklären, müsse das Rezept sein, um das Vertrauen der Menschen wiederzugewinnen. Es sei aber insgesamt ein Problem unserer Gesellschaft, das Politiker zu wenig Zeit bekämen, Sachverhalte ausreichend zur erklären. „In 35 Sekunden in der Tagesschau“ gehe das einfach nicht. Das habe die unglückliche Debatte um das Heizungsgesetz gezeigt, Außerdem informierten sich viele gar nicht mehr mit Zeitung oder Nachrichtensendungen, sondern suchten sich ihre Informationen im Internet und dort oft in ihren eigenen Kreisen.

Die Landtagswahlkämpfe im kommenden Jahr im Osten würden schwer, davon ist Müller überzeugt. „Es liegt an uns, die AfD einzubremsen“. Man könne die Wähler doch nicht beschimpfen, sondern müsse mit ihnen versuchen zu reden. Manche könne man als Politiker wohl nicht mehr erreichen. Aber mehr Kommunikation, mehr Erklären ist für ihn der richtige Weg. Populistische Bemerkungen, wie die von Friedrich Merz zur Gebissreparatur von Flüchtlingen halte er allerdings eines Politikers für unwürdig.

Als großen Wunsch nannte er zum Schluss, „dass das Land zusammenbleibt“. Deutschland sei eigentlich „ein Erfolgsmodell“, da müsse man nicht immer alles schlechtreden. Mehr positives Denken, Zuhören und Nachdenken wünscht sich der Vater von vier Kindern für unsere Gesellschaft.

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Die Veranstaltungsreihe „bwg sitzungswoche – Sprechstunde“ ist eine Kooperation von bwg Berliner Wirtschaftsgespräche, sitzungswoche Unabhängiges Netzwerk für Politik, Wirtschaft und Medien, StäV Ständige Vertretung Berlin, Wöllhaf Gruppe und OSI Club mit Unterstützung von Studio Schiffbauerdamm, Landau Media und berlin bubble.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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