Wenn Vision plötzlich Realität ist

Arbeitswelt Über „New Work“ wurde schon lange diskutiert. In der Corona-Pandemie ist die digitale Transformation der Arbeitswelt plötzlich in großem Ausmaß Wirklichkeit geworden.

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Ein guter Anlass für das Netzwerk „Young + Restless“ und den Debattenraum „Basecamp on Air“ nachzufragen, wie es heute aussieht: „New Work als new normal – Digitale Transformation der Arbeitswelt“. Über Nacht die meisten Mitarbeiterinnen ins Homeoffice geschickt hat „Telefónica Deutschland“, berichtete Christian Gorczak, der sich dort um die Förderung junger Mitarbeiter*innen kümmert und die neuen Regeln „Five Bold Moves“ vorstellte. Damit soll die digitale Arbeit überall und immer möglich sein, soll ergebnisorientiert,selbstverantwortlich und überwiegend ohne Dienstreisen, sondern in virtuellen Besprechungen stattfinden. Besondere Aufmerksamkeit gelte der Weiterentwicklung der Mitarbeiter*innen im Unternehmen, in Gorczaks Einsatzbereich speziell der Jüngeren.

Die Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitswelt ist ein Thema am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Josephine Hofmann, die als New-Work-Expertin auch bloggt, geht von einer großen Veränderung der ganzen „Bürowelt“ aus. Ob die Vermietung von Büro-Immobilien künftig noch ein erfolgreiches Geschäftsmodell sein werde, stellte sie in Frage, konnte aber vom angespannten Stuttgarter Immobilienmarkt noch nicht von entsprechenden Zeichen berichten. Die neue digitale Arbeit mache das Anheuern von Fachkräften aus allen Teilen der Welt möglich, aber auch Unternehmen könnten als mobile Größe weiterziehen. Wieweit es in Zukunft überhaupt noch ein „Heimatgefühl“ in und für Unternehmen geben werde, sei offen. Für eine gute Atmosphäre in der Firma sei es aber nicht denkbar, dass die Führungselite auf dem Privileg des eigenen Büros beharre, die Mitarbeiter*innen aber an Schreibtischen und ins Homeoffice hin- und herschiebe.

Max Neufeind, ebenfalls Blogger und derzeit mit dem Digitalen Wandel im Bundesfinanzministerium beschäftigt, betonte, dass aus den Diskussionen über Möglichkeiten digitaler Arbeit plötzlich tägliche Berufspraxis geworden sei. Wieweit „Remote Work“ eher be- oder entlastend wirke, sei individuell sehr verschieden. Ebenso wie Hofmann erwartet aber auch er starke Auswirkungen auf die Rekrutierung der Beschäftigten, den Führungsstil der Vorgesetzten und gemeinsame Unternehmensziele bei vereinzelt agierenden Arbeitnehmer*innen. Ein neues Zusammenspiel von Mensch und Maschine, Algorithmen und Künstlicher Intelligenz werde sich herausbilden müssen. Dabei bleibe der Aspekt der menschlichen Interaktion aber der wichtigste, vor allem in einer Dienstleistungsgesellschaft. Das gelte es nach der Pandemie nicht zu vergessen.

Wie von Hofmann schon erwartet, drehte sich die Diskussion besonders von Arbeitgeber- oder arbeitgebernaher Seite sehr stark um eine Veränderung des Arbeitszeitgesetzes. Mehr Flexibilität, keine vorgeschriebenen Ruhezeiten, keine täglichen Höchstarbeitszeiten waren nur einige der Regelungen, die von Claudia Große-Leege, Geschäftsführerin des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller, Kristian Schalter, Leiter Abteilung Strategie und Zukunft in der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, oder der CDU-Bundestagsabgeordneten Jana Schimke als Anpassung an die digitale Zeit gefordert wurden. Wie es denn mit dem Recht auf Unerreichbarkeit für Arbeitnehmer*innen aussehe, fragte Moderatorin Alice Greschkow, alleerdings ohne eine konkrete Antwort zu erhalten.

Ricarda Lang, stellvertretende Vorsitzende und frauenpolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen, warnte vor der Entgrenzung von Arbeit und Freizeit, die vor allem Frauen im Lockdown mit Homeoffice mit der Zusatzbelastung von Homeschooling oft überfordere. Gregor Kalchthaler, Mitgründer von „Intraprenör“, das laut eigener Webseite den Anspruch hat, „Organisationen menschlich“ zu machen, bedauerte, dass Politik zu wenig Vertrauen in den Erfindungsgeist bei „New Work“ habe und immer den Anspruch erhebe, zu kontrollieren und zu regulieren. Beim Thema Datenschutz erwarte er aber eine Nachjustierung. Da gebe es bei den Unternehmen zu wenig Klarheit, was im Rahmen des Erlaubten sei.

Die Balance zwischen Flexibilisierung und Produktivität sei letztlich der entscheidende Faktor, resümierte Gorczak seine “Telefónica“-Erfahrungen aus den vergangenen 14 Monaten. Im Homeoffice sei die Produktivität teilweise gestiegen, aber gerade für Alleinlebende sei das eine „anspruchsvolle Zeit“. Es sei allerdings nachvollziehbar, wenn die Kolleg*innen nach einem Tag am Gerät keine Lust mehr hätten auf ein „geselliges Zusammensein“ wieder am Bildschirm.

Schimke unterstrich, dass die Sehnsucht nach sozialen Kontakten bei den Menschen groß sei, nach der Pandemie werde sich ein Mittelweg zwischen Büro und Homeoffice einspielen. Das neue Arbeiten habe auch etliche Negativfaktoren hervorgebracht, von der Gewichtszunahme über Arbeiten in ergonomisch ungünstigen Umgebungen, wie am Küchentisch, bis hin zu einer Videokonferenz-Überdrüssigkeit, die auch sie bisweilen verspüre.

Weiterbildung als zentraler Schlüssel für die Zukunft, und zwar nicht erst nach dem Wegfallen von Arbeitsplätzen durch Digitalisierung, sondern vorausschauend, sowie eine Gewöhnung an wechselhaftere Erwerbsbiografien als in früheren Generationen, das erschien in der Diskussion als übereinstimmende Perspektive. Dabei den weiblichen Aspekt stärker einzubringen, haben sich die „New Work Women“ vorgenommen, berichtete Anna Bennecke. Die Suche nach neuen, ökologisch ausgerichteten Arbeitsformen ist auch ein Anliegen von Roman Kormann, der den DGB-Podcast „Wissen macht Arbeit“ vorstellte.

Wie Unternehmen firmeninterne Podcasts ihrer Mitarbeiter*innen zur besseren Kommunikation einsetzen können, stellte Rona van der Zander vor, Mitgründerin von „si:cross“. Gesprochene Sprache transportiere Informationen schneller und auch mit mehr emotionalem Tiefgang, als es beim endlosen Beantworten firmeninterner Mails möglich sei. Ergebnis: Mehr Zeit zum Nachdenken und konkreten Handeln.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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