„Wir brauchen einen Aufbruch“

Bundestagswahl Ob Klima, Ernährung oder Gleichstellung, die Zukunftsaufgaben müssen jetzt mit langfristiger Perspektive angefangen werden. Davon ist die Grüne Renate Künast überzeugt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Im September will Renate Künast wieder für den Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg in den Bundestag einziehen. Dabei sieht sie die Bereitschaft und das Interesse in der Bevölkerung, die Zukunftsaufgaben von Energie- und Ernährungswende, von Strukturpolitik für Familien und Arbeit in der nächsten Legislaturperiode wirklich anzugreifen, erklärte sie im Gespräch mit Christoph Nitz im Rahmen der „bwg Sitzungswoche Sprechstunde“. „Es ist Zeit, dass sich was bewegt, wir brauchen einen Aufbruch“, meinte sie. Bei der Europawahl hätten junge Leute mit der Kampagne „Schenk mir deine Stimme“ („Vote for Future“) auch Eltern und Großeltern inspiriert, nicht nach Gewohnheit oder kurzfristigen politischen Vorlieben, sondern im Hinblick auf eine langfristige Perspektive abzustimmen.

Künast erklärte, die Strategie sei, ein Ziel zu definieren und dann „rückwärts zu überlegen“, wie es erreichbar ist. Aber nicht in einzelnen Projekten oder auf freiwilliger Basis, sondern kontinuierlich und verpflichtend. „Die nächste Regierung hat die Aufgabe, es endlich richtig zu machen“, zitiert sie sich selbst zu Ende des einstündigen Dialogs aus dem gerade erschienenen Büchlein „Schwarz vs. Grün“, einem „Streitgespräch über Klima, Wachstum und eine gute Zukunft“, das sie auf Anregung des Oekom-Verlags mit Bayerns Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein geführt hat.

Wie schwierig künftige Koalitionsverhandlungen sein könnten, habe man bei den Sondierungen zu der nicht zustande gekommenen Jamaika-Koalition mit CDU/CSU und FDP schon gesehen. Mit der SPD schätze sie solche Verhandlungen heute als leichter ein, da sich die SPD in den Fragen, die den Grünen wichtig sind, „weiterentwickelt“ habe. Bei der Linken sehe sie da mehr Probleme. Dass es gegenwärtig bei den Grünen im Gegensatz zu den Schwarzen keinen Streit um die Kanzlerkandidatur gebe, sei durchaus ein Werbefaktor für ein gutes Wahlergebnis. Wobei sie insgesamt recht optimistisch zu sein scheint: Auch für ihren Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg, in dem sie 2013 schon einmal 20,4 und 2017 18,9 Prozent der Erststimmen erreichte, sieht sie Siegchancen gegenüber dem Mandatsinhaber Jan-Marco Luczak (CDU) oder Kevin Kühnert (SPD), der vom Bezirk in den Reichstag wechseln will.

Sicher sei die Wahlkreisarbeit in Berlin eine andere als in anderen Bundesländern, stimmte sie dem fragenden Nitz zu, der auf die Kiezorientierung in der Hauptstadt anspielte. „Wir gehen nicht zu jedem Feuerwehrfest“, skizzierte sie grüne Wahlkreisarbeit, aber sie informiere sich über Fortschritte bei Gewerbegebieten und Bauprojekten und habe im Auge, wie sich Bundesgesetze wie beispielsweise der Anspruch auf einen Kitaplatz vor Ort auswirkten. Die Wahlkreisarbeit müsse in der Arbeit im Bundestag verankert sein.

In der Frauenpolitik könne sie seit ihrer Jugend durchaus Fortschritte erkennen, erklärte sie auf Nachfrage. Schließlich sei sie noch mit dem väterlichen Spruch „Ein Mädchen heiratet sowieso und braucht keine Ausbildung“ in Recklinghausen im Ruhrgebiet aufgewachsen. Eine Region, die durch ihre Bindung an Kohle und Stahl lange sehr rückwärtsgewandt gewesen sei, auch in den vorherrschenden politischen Strömungen. Sie habe mit anderen jungen Menschen nach Alternativen gesucht, in der Anti-Atom-Bewegung, der Frauenbewegung, der Umweltbewegung, und sei seit Beginn bei den Grünen gewesen, um die Ziele konkret in Politik umsetzen zu können, von der kommunalen bis zur Bundesebene. In Berlin kandidierte sie 1979 zum ersten Mal für die Alternative Liste (AL) für das Abgeordnetenhaus.

Auf die Kontakte aus dieser Zeit habe sie als erste grüne Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin (2001-2005) zurückgreifen können, da sie in diesem Amt einer gut eingespielten Agrarlobby gegenüber stand. Gleich zu Beginn hatte sie es mit dem „Rinderwahnsinn“ BSE zu tun. Mit Schlagworten wie „Klasse statt Masse“ und dem „Reinheitsgebot für Kühe: Nur Gras, Wasser und Getreide“ entwickelte sie ein Gegenbild zur damals vorherrschenden Lehre von der Produktion für Massenmarkt und Export. Das damals eingeführte „Biosiegel“ werde jetzt 20 Jahre alt und habe auch den Bauern neue Perspektiven ermöglicht, resümiert sie ihre Arbeit im Ministerium mit Stolz.

Den Kampf mancher gegen das „Gendersternchen“ findet sie eher „putzig“, schließlich habe sich Sprache immer verändert. Wichtig sei die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Angebliche „Frauenberufe“ in Erziehung und Pflege müssten den „Männerberufen“ etwa in der Industrie im Verdienst und damit auch in der Reputation endlich gleichgestellt werden. Statt Ehegattensplitting solle Familieneinkommen, mit Ehe oder ohne, betrachtet werden. Gehaltsfragen müssten mit der Rentenversorgung zusammengedacht werden, niedrige Löhne und Saisonarbeit endeten als Steuerlasten für die Allgemeinheit.

„Das sind alles Aufgaben, die über mehrere Legislaturperioden gelöst werden müssen“, fasste Künast das Gespräch zusammen. Der Aufbruch dazu sei jetzt fällig.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden