Ottessa Moshfegh über ihren Debütroman „Eileen“: So ein schöner Mittelfinger
Ultimatives Tabu „Eileen“, Heldin aus Ottessa Moshfeghs Debütroman, löste bei Kritikern heftige Reaktionen aus. Nun kommt die Verfilmung ins Kino und die Autorin erinnert sich: Seit jeher werden komplexe Frauenfiguren von der Gesellschaft tabuisiert
Eileen (Thomasin McKenzie, links) und Rebecca (Anne Hathaway)
Foto: Jeong Park
Als mein Debütroman von 2015, Eileen, es auf die Shortlist für den Man Booker Prize schaffte, war mir klar, dass ich Ärger bekommen würde. Bis dahin war ich als Autorin eher experimenteller Kurzgeschichten am Rande des Mainstreams dahingesegelt. Einen Roman zu schreiben, der meiner Vorstellung von dem entsprach, was ein „normaler“ Mensch lesen könnte, erschien mir damals als wirklich abenteuerliches Unternehmen. Aber ich ging es mit der Ernsthaftigkeit einer jungen Schriftstellerin an, die verzweifelt versucht, von dem zu leben, was sie liebt.
Seither habe ich drei weitere Romane und eine Sammlung von Kurzgeschichten veröffentlicht, und mit mittlerweile 42 Jahren ist mir die Unschuld abhanden gekommen. Aber vor einem Jahrzehnt war das Schreiben eine
das Schreiben eines Romans für mich noch ein Akt der heimlichen Rebellion. Ich hatte das Gefühl, dass ich das Biest der kapitalistischen Buchindustrie füttere, während ich gleichzeitig meine künstlerischen Sensibilitäten ausnütze, um einige subversive Ideen einzuschmuggeln – und mich auf diese Weise sowohl ernähre als auch meine kreative Integrität bewahre. Man könnte es mein Trojanisches Pferd nennen. So sehr ich hoffte, dass ich reingelassen würde, war ich nicht darauf vorbereitet, was passieren würde, wenn ich erst einmal drin war.Femme fatale mal andersFür die Uneingeweihten: Eileen ist die revisionistische Überarbeitung eines Noir-Dramas, benannt nach der Protagonistin, einer älteren Frau. Sie erzählt davon, wie sie einst in den 1960ern der Falle eines öden Arbeiterklasselebens entkam. Ich war immer schon ein Fan von Noir-Filmen, und ich wollte das dunkle, psychologische Spiel dieses Genres aufgreifen, aber die Geschichte um eine Figur kreisen lassen, der diese Welt völlig fremd ist, also jemand, der real zu greifen, ehrlich und sogar unattraktiv ist. Dieser Heldin Eileen setzte ich eine völlig fiktive Figur gegenüber, wie sie direkt aus einem Hitchcock-Film stammen könnte. Deshalb nannte ich sie auch Rebecca, als Verneigung vor Daphne du Mauriers Roman von 1938 – und Hitchcocks Leinwandadaption – über eine unsichtbare, tote Frau, deren Name allein die Seele der Heldin einschüchtert und kontrolliert.Eileen ringt mit Verwirrung und Verlangen, als sie sich mit Rebecca, der Femme-fatale-Figur, anfreundet. Rebeccas verführerischem Charme, ihren progressiven Ideen, ihrer Schönheit und Selbstbeherrschung stehen die Abscheu und die negativen Projektionen von Eileen und deren Beziehung zu sich selbst und ihrem Körper gegenüber. Mit 24 Jahren ist sie immer noch eine Jugendliche. Nach heutigen Begriffen würde man sie mit einer Essstörung diagnostizieren, mit Depression und der Neigung zur Obsession, vielleicht sogar als Borderline. Für mich aber war Eileen eine typische, intelligente junge Frau, die in einer misogynen, klassistischen Industriestadt im Neuengland der Mitte des 20. Jahrhunderts lebt. Die Negativität, die sie gegenüber sich selbst und allen anderen empfand, schien gerechtfertigt.Du Maurier und Hitchcock setzen naturgemäß die Latte für die Filmadaption von Eileen hoch an. Mir war das bewusst, als ich mich mit dem Regisseur William Oldroyd und meinem Koautor Luke Goebel, der auch mein Mann ist, zusammensetzte. Wir waren uns einig, dass Eileen als Film dieselbe genreübergreifende Eigenart wie das Buch aufweisen sollte. Und wir machten uns keine Illusionen: Der Film würde kein typischer kommerzieller „Chick Flick“ oder Halloween-Horror werden. Er verlangt den Zuschauern einiges ab, und es wird Kritiker geben, die ihn zu verstörend finden.Als das Buch seinerzeit herauskam, war das für mich ein böses Erwachen. Ich hatte erwartet, nach dem künstlerischen Wert meiner Arbeit beurteilt zu werden, nicht nach ihrer zentralen Figur. Aber die Kritiker schossen sich völlig auf Eileens Persönlichkeit und ihre seltsamen Vorlieben ein – viel mehr als auf die Machart des Buchs, sein schockierendes Ende oder seine wichtigen Themen. Eileens Obsession mit ihrem eigenen Körpergeruch rief den größten Ekel hervor. 2015 war es eine geradezu avantgardistische Vorstellung, dass die Heldin eine komplizierte Frauenfigur sein könnte, die mit ihrem Selbstempfinden kämpft und offen ihre Demütigungen beschreibt. Alle fragten mich, warum in aller Welt ich eine so „widerliche“ weibliche Figur geschrieben hätte.Ich antwortete ganz ehrlich: Warum ich über eine unvollkommene Frau schreiben wollte? Aus dem gleichen Grund, aus dem ihr nicht aufhören könnt, darüber zu sprechen, wie unvollkommen sie wäre. Seit den Anfängen des modernen Denkens ist eine sich selbst verachtende Frau das ultimative Tabu. Mein Roman konzentriert sich nicht nur darauf, wie Eileen sich selbst sieht. Sie urteilt auch brutal über andere. Als selbstbewusste Erzählerin setzt sie den weiblichen Blick aggressiv als Linse für weibliches Verlangen ein und weicht jeder Erwartung an das veraltete Konzept eines Happy Ends aus.Ich habe Eileen nicht als queeres Buch konzipiert, aber ich begrüße diese Interpretation, da sie es ermöglicht, dass ihre weiblichen Charaktere einander verführen und voneinander verführt werden können. Vielleicht war das ja der Grund, warum Eileens Figur vielen so unsympathisch erschien, weil sie wie eine Spielfigur in einem miesepetrigen feministischen Romanprojekt wirkt, nur dafür da, um auf die Ungerechtigkeit einer misogynen Zeit hinzuweisen, die andere lieber mit Nostalgie betrachten. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass sich die Etablierten der Branche darüber aufregten, dass ich meine Arbeit verteidigte und mit meinem Talent angab. Gott bewahre, dass eine Frau frei über ihr Selbstwertgefühl spricht. Wenn wir alle damit anfingen, alle etwas schamloser wären, müssten wir alles infrage stellen, worauf unsere Gesellschaft baut. Eine selbstbewusste weibliche Künstlerin ist ebenso schockierend für die Öffentlichkeit wie eine junge Frau, die an ihren Achselhöhlen schnüffelt, und genauso widerlich.Der Ehre würdigWenn Sie ein Buch veröffentlichen, erklärt Ihnen niemand vorab, dass Sie als junge Frau auf eine Weise hinterfragt werden, die Sie sich nicht vorstellen können. Als ein Journalist mich fragte, ob ich überrascht sei, dass Eileen es auf die Booker-Shortlist geschafft habe, tat ich, was mir beigebracht wurde: Ich sprach selbstbewusst über mich und meine Arbeit. Ich sagte ihm: ich fühle mich der Ehre würdig. Denn das tat ich. Ich hatte ein ausgezeichnetes Buch geschrieben. Niemand hatte mir geholfen. Niemand hatte mir gesagt, dass ich es tun sollte. Ich schuldete niemandem etwas. Ich hatte etwas geschaffen, worauf ich stolz war. Die Gegenreaktion auf das Interview war der Wahnsinn. Ist es wirklich vermessen, dass eine Debütautorin selbstbewusst, vielleicht sogar arrogant, über ihre Arbeit spricht?Für die Leser war es einfach, auf Eileen im Buch zu zeigen und sie auseinanderzunehmen. Aber sie auf der Leinwand erscheinen zu sehen, ist eine völlig andere Erfahrung. Niemand wird über Eileen als „widerlich“ sprechen, wenn sie von der brillanten Thomasin McKenzie dargestellt wird. Das Hauptelement bei der Adaption von Buch zu Film ist die Externalisierung der Vorstellungskraft. Im Buch sehen wir Eileen in unserem Kopf. Ihre Stimme ist unsere eigene. Aber im Film kann man Eileen sehen. Man kann die Trennung zwischen sich selbst und der Figur auf eine Weise sehen, die das Buch nicht zulässt.Bei der Premiere von Eileen beim Sundance-Filmfestival merkte Anne Hathaway, die die Rebecca spielt, etwas Denkwürdiges an. Sie sagte: „Ich erinnere mich gerade an eine der allerersten Fragen, die ich gestellt bekam, als ich mit der Schauspielei anfing: ‚Bist du ein braves Mädchen oder ein böses Mädchen?‘ Ich war 16, und mein 16-jähriges Selbst wollte mit diesem Film antworten.“ Ich weiß ganz genau, was Hathaway da meinte. Der Film ist ein schöner Mittelfinger gegen die herablassende Dummheit und ein Liebesbrief an die Freiheit. Dank des Films muss ich Eileen nun nicht mehr gegen ihre Kritiker verteidigen, nicht mehr erklären, dass auch Frauen unmoralisch und egoistisch sein können, dass wir widersprüchliche Gefühle haben können, dass wir genauso brutal und machthungrig sein können wie sensibel und anmutig und lustig und edel.Eingebetteter Medieninhalt
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