Eine Digitale Nomadin berichtet: Wieso Arbeiten am Strand nicht so cool ist, wie es klingt
Selbstständigkeit Von überall auf der Welt arbeiten, wer will das nicht? Die Schriftstellerin Francesca Specter hat es ein Jahr lang versucht und will nie wieder Traumstrände zum Büro machen. Hier berichtet sie von überhitzten Laptops und Neid auf Touristen
„Vor seinen Problemen kann man nicht davonlaufen“: So lautet ein altes Sprichwort. Doch als ich im März letzten Jahres an Bord eines einfachen Fluges von London nach Bogotá war, gab ich mein Bestes. Ich war gerade 30 geworden und spürte den gesellschaftlichen Druck, sesshaft zu werden und in meiner Karriere voranzukommen – wie meine verheirateten Freunde, deren Leben sich von meinem zu entzweien schien. Aber ich war noch nicht so weit.
Zwei Jahre zuvor hatte ich meinen Bürojob aufgegeben, um freiberufliche Schriftstellerin zu werden, war in eine Einzimmerwohnung gezogen und hatte mich von meinem langjährigen Partner getrennt. Jedes dieser Dinge hätte ein Grund zum Feiern sein können – ein positiver Schritt für mich –, abe
emen kann man nicht davonlaufen“: So lautet ein altes Sprichwort. Doch als ich im März letzten Jahres an Bord eines einfachen Fluges von London nach Bogotá war, gab ich mein Bestes. Ich war gerade 30 geworden und spürte den gesellschaftlichen Druck, sesshaft zu werden und in meiner Karriere voranzukommen – wie meine verheirateten Freunde, deren Leben sich von meinem zu entzweien schien. Aber ich war noch nicht so weit.Zwei Jahre zuvor hatte ich meinen Bürojob aufgegeben, um freiberufliche Schriftstellerin zu werden, war in eine Einzimmerwohnung gezogen und hatte mich von meinem langjährigen Partner getrennt. Jedes dieser Dinge hätte ein Grund zum Feiern sein können – ein positiver Schritt für mich XX-replace-me-XXX8211;, aber die unerwarteten, aufeinanderfolgenden Covid-Beschränkungen machten meinen neuen Lebensstil eher einsam und stagnierend, als aufregend und voller Möglichkeiten. Und so kam es, dass ich nach den verlorenen Jahren der Pandemie und ohne Angehörige die Freiheit nutzen wollte, die ich versäumt hatte.Inspiriert von Social-Media-Influencern, die von Stränden in Bali aus Geschäfte machen, vermietete ich meine Wohnung und begann, vom Ausland aus zu arbeiten. Ich nahm Aufträge als Reiseschriftstellerin an, um mein Einkommen aufzubessern. Meine „Büros“ waren ein schuhkartongroßes Airbnb im Zentrum Berlins, ein Coworking Space in Barcelona, die Wohnung eines Freundes in Brooklyn und ein makelloser Zugwaggon in Genf. Im Laufe eines Jahres arbeitete ich von zehn verschiedenen Ländern auf vier Kontinenten und verfolgte den Traum des 21. Jahrhunderts: Arbeiten am Strand! Ich konnte meine Arbeitszeiten selbst wählen. Und in der Mittagspause ging ich surfen.In den letzten zwei Jahren wurde vermehrt nach Visa für digitale Nomaden gesucht, einer Aufenthaltserlaubnis, die es erlaubt, für einen längeren Zeitraum an einem anderen Ort zu leben und zu arbeiten. Zu den Ländern, die diese Visa anbieten, gehören Portugal, Kolumbien, Zypern, Brasilien und Spanien – bald soll auch Italien dazukommen (der italienische Gesetzgeber hat im März 2022 eine entsprechende Regelung beschlossen). Die Zahlen überraschen mich nicht: Ich habe Freunde, die ihren Arbeitsplatz gewechselt haben, um mehr Fernarbeit in Anspruch nehmen zu können. Einer führte Videogespräche vor einer beigen Wand, während er seine Arbeitswoche heimlich in Athen verbrachte.Fast hätte ich das Zoom-Interview mit einem bekannten Schauspieler verpasst – wegen der ZeitverschiebungDer Pandemie-Lockdown hat uns gezeigt, wie einfach es ist, ein paar Tage pro Woche von zu Hause aus zu arbeiten. Und so ist es nur logisch, dass immer mehr von uns neugierig darauf sind, diesen Ansatz im Ausland zu erproben. Doch nach Monaten in meinem neuen Lebensstil zeigten sich erste Risse. Zunächst einmal war ich erschöpft. Während der Covid-Lockdowns hatte ich es GEHASST von zu Hause aus zu arbeiten – es fühlte sich an, als würde man am Arbeitsplatz wohnen. Und jetzt kam die Arbeit sogar mit in den Urlaub.Ich saß vor einer Jugendherberge in Florenz und schrieb von 9 bis 17 Uhr für ein in Nottingham ansässiges Gesundheits- und Kosmetikunternehmen, kühlte meinen überhitzten Laptop im Schatten und schaute neidisch auf die Urlauber, die sich am Pool entspannten. Während eines gemeinsamen Abendessens mit neuen Freunden in Abu Dhabi musste ich mich beeilen, um ein Interview mit einem bekannten Schauspieler über Zoom in einem Nachtcafé zu führen – der Zeitunterschied machte das nicht einfacher.Im Nachhinein betrachtet hätte ich mich besser organisieren können. Inzwischen habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich bei der Arbeit als Freiberufler angemessene Ruhezeiten einzuplanen. Aber aus Panik vor den Reisekosten habe ich überkompensiert. Obwohl ich morgens Galeriebesuche und mittags Spaziergänge einschieben konnte, war ein ganzer freier Tag eine Seltenheit. Abflughallen wurden zu meinem Büro (Valencia ist eine hervorragende Möglichkeit, vom Flughafen aus zu arbeiten, wenn Sie auf dem Markt sind). Mein einziges wichtiges Reiseutensil? Ein voll aufgeladener Laptop.Das ständige Reisen empfand ich als desorientierend. Ich lebte aus einem Koffer voller zerknitterter T-Shirts, hatte mit Sprachbarrieren zu kämpfen und sehnte mich nach heimischen Annehmlichkeiten wie Earl-Grey-Tee von Twinings aus meiner Lieblingstasse. Andauernd hatte ich mit Problemen wie fehlendem Gepäck oder Schlafmangel nach einer nächtlichen Flugverspätung zu kämpfen.Digitales Nomadentum liefert exzellentes Instagram-MaterialDen Job, den ich liebe, mit meiner Lieblingsbeschäftigung, dem Reisen, zu kombinieren, war auf dem Papier ein kluger Schachzug und lieferte exzellentes Instagram-Material (die Flugverspätungen waren nicht auf den Fotos). In Wirklichkeit konnte ich weder die Ruhe und den Sinn für Routine finden, die ich brauche, um gut schreiben zu können, noch die entspannte Urlaubsstimmung, um den Luxus eines Auslandsaufenthalts zu genießen.Das Versprechen, „alles zu haben“, indem man von einem Land ins nächste springt, hat sich zumindest für mich als zu schön erwiesen, um wahr zu sein. Jetzt betrachte ich diese Schnappschüsse mit dem Laptop am Strand mit Skepsis. Ich bin viel disziplinierter geworden, wenn es darum geht, die Urlaubszeit von der Arbeitszeit zu trennen. Die Rückkehr nach Hause hat es mir ermöglicht, mich wirklich auf die Arbeit zu konzentrieren, die mich inspiriert, anstatt Jobs anzunehmen, nur um meinen nächsten Flug zu finanzieren. Ich habe das Glück, einen Beruf zu haben, den ich liebe. Ich bin nicht mehr daran interessiert, ihn von einer Sonnenbank aus auszuüben.Eine Zeit lang hat es Spaß gemacht, vor dem Leben zu Hause wegzulaufen – ich bereue es nicht. Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, war mein digitales Nomadentum eher eine Flucht aus dem Alltag als eine Liebe zum Reisen. Nach einer Weile war mir dieser Lebensstil die versteckten Kosten nicht mehr wert. Ich habe endlich verstanden, was die Schweden meinen mit ihrer Redewendung: „Wegsein ist schön, aber zu Hause ist es am besten.“
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.