Effektive Steuern: Wie die ganze Weltbevölkerung vor der Klimahölle bewahrt werden könnte
Neue Daten Der CO₂-Fußabdruck der reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung ist bis zu 40 Mal höher ist als der von armen Menschen. Das zeigt: Pauschale Steuern auf klimaschädigendes Verhalten sind unsinnig. Es gibt bessere Konzepte
„Es wird nicht ausreichen, einfach Steuern auf CO₂ zu erheben, da die Reichen es sich leisten können, den zusätzlichen Betrag zu zahlen“, sagt Stefan Gössling
Foto: Kevin Frayer/ Getty Images
In vielen Ländern ist es so: Die reichsten zehn Prozent der Menschen verursachen bis zu 40 Mal mehr Kohlenstoffemissionen als die ärmsten zehn Prozent ihrer Mitbürger. Diesen Rückschluss lassen Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) zu, die der britische Guardian erhalten hat. Die meisten Mittelschichten in den Industrieländern – alle, die mehr als 40.000 Dollar (37.000 Euro) im Jahr verdienen – gehören zu diesen reichsten zehn Prozent der Welt. Sie sind für die Hälfte aller weltweiten Emissionen verantwortlich – und damit der Schlüssel zur Beendigung der Klimakrise.
Der UN-Klimagipfel Cop28 beginnt am 30. November. Also zu einem weltgeschichtlichen Zeitpunkt, an dem sich das Zeitfenster für die Rettung einer lebens
ginnt am 30. November. Also zu einem weltgeschichtlichen Zeitpunkt, an dem sich das Zeitfenster für die Rettung einer lebenswerten Zukunft für die Menschheit rapide schließt. Als die Verhandlungen in den 1990er Jahren begannen, bestand die größte Ungleichheit bei den Kohlenstoffemissionen der Menschen zwischen reichen und armen Ländern. Drei Jahrzehnte später hat sich die Situation umgedreht. Die meisten Ungleichheiten bei den Emissionen zwischen Arm und Reich bestehen heute innerhalb der einzelnen Länder. Diese Verschiebung hat enorme Auswirkungen auf die Art und Weise, wie die Klimakrise beendet werden kann.Die Daten der IEA geben Aufschluss über die energiebedingten CO₂-Emissionen pro Person im Jahr 2021 in einem Dutzend großer Länder sowie der EU mit ihren 27 Mitgliedstaaten. In den USA, dem Vereinigten Königreich, der EU und Japan ist der CO₂-Fußabdruck der reichsten zehn Prozent etwa 15 Mal größer als jener der ärmsten zehn Prozent. In China, Südafrika, Brasilien und Indien verursachen die obersten zehn Prozent 30 bis 40 Mal mehr Emissionen als die untersten zehn Prozent. In allen Fällen sind die Emissionen der oberen zehn Prozent genauso hoch wie die der unteren 50 Prozent.CO₂-Fußabdruck: In Südafrika ist die Ungleichheit besonders extremIn den USA und China ist die Situation noch ungleicher: Die Emissionen der obersten zehn Prozent sind höher als die der unteren 70 Prozent zusammen. Das extremste Beispiel ist Südafrika, wo der Fußabdruck der obersten zehn Prozent genauso groß ist wie jener der übrigen 90 Prozent. Der Verkehr, insbesondere die Autonutzung, ist ein wichtiger Faktor für die hohen Emissionen der reichsten zehn Prozent, die in den untersuchten Ländern 20 bis 40 Mal höher sind als die Verkehrsemissionen der ärmsten zehn Prozent.In den USA und Kanada macht der Straßenverkehr etwa ein Drittel des Fußabdrucks der oberen zehn Prozent aus. Die verkehrsbedingten Emissionen der reichsten zehn Prozent entsprechen dem verkehrsbedingten Fußabdruck der unteren 70 Prozent der Bevölkerung in diesen Ländern. Ein weiterer wichtiger Faktor sind die Emissionen, die durch Waren wie Möbeln und Elektronik entstehen. Diese sind bei den reichsten zehn Prozent 20 bis 50 Mal höher und machen in den meisten Ländern etwa ein Drittel der Emissionen aus.In ärmeren Ländern, darunter Indien und Indonesien, verursachen die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung im Wesentlichen überhaupt keine Emissionen durch Straßenverkehr und den Kauf von Produkten. „Wenn man sich nur auf den Durchschnitt konzentriert, übersieht man einen großen Teil des Problems und vielleicht auch die richtige Politik“, sagt Lucas Chancel, Co-Direktor des World Inequality Lab an der Paris School of Economics, dessen Team den Anstieg der Kohlenstoffungleichheit innerhalb der Länder verfolgt hat.Vorbild: Kanadas KohlenstoffsteuerWenn eine Regierung beispielsweise eine Emissionssteuer für die gesamte Bevölkerung erheben würde, anstatt sich auf die Reichen mit hohen Emissionen zu konzentrieren, würde sie einen großen Teil der möglichen Emissionssenkungen verpassen. Wenn man im globalen Norden die Ungleichheit bei den Emissionen nicht berücksichtigt, kann es zu Protesten wie denen der „Gelbwesten“ kommen, sagt Chancel. Dabei bezieht er sich auf die Steuererhöhungen auf Diesel in Frankreich im Jahr 2018, die Massendemonstrationen der Gilets Jaunes auslösten.„Es gab viele Haushalte, die insgesamt relativ wenig emittierten, aber ihre Verkehrsemissionen waren ziemlich hoch, weil sie in ländlichen Gegenden leben und keine andere Möglichkeit hatten, als das Auto zu benutzen“, sagt Chancel. Die Kohlendioxidsteuer bedeutete also nur, dass sie weniger verfügbares Einkommen hatten – ihre Emissionen wurden dadurch nicht verringert. Also gab es eine Gegenreaktion. „Die gute Nachricht ist, dass es viele Möglichkeiten gibt, diese Art von Blockade zu vermeiden“, meint Chancel. Er nennt das Beispiel der kanadischen Kohlenstoffsteuer. „Dort wird ein großer Teil der Einnahmen verwendet, um potenzielle Verlierer zu entschädigen.“Während 1990 noch zwei Drittel aller Ungleichheiten im Kohlenstoffausstoß zwischen den Ländern bestanden, sind heute zwei Drittel der Ungleichheiten im Kohlenstoffausstoß innerhalb der Nationen zu finden. Dies liegt daran, dass sich die Emissionen in den sich schnell entwickelnden Ländern wie China in den letzten Jahrzehnten denen der reichen Länder angenähert haben, wodurch sich der Unterschied zwischen den Ländern verringert hat. Der andere Schlüsselfaktor, so Chancel, sei die zunehmende Einkommensungleichheit, insbesondere im globalen Süden.Ruth Townend: „Die Reichen können sich einen grünen Wandel leisten, ohne ihren Wohlstand zu gefährden“Die IEA-Daten zeigen, dass die ärmsten zehn Prozent in den USA immer noch einen größeren Fußabdruck haben als 90 Prozent der Menschen in Indien. Laut einem Bericht des Stockholmer Umweltinstituts und von Oxfam werden die obersten zehn Prozent des Einkommens weltweit von 770 Millionen Menschen repräsentiert. Fast zwei Drittel davon leben in Ländern mit hohem Einkommen. Im Vereinigten Königreich sind die obersten zehn Prozent diejenigen, die mehr als 59.000 Pfund (circa 68.000 Euro) verdienen. Ruth Townend, Forschungsstipendiatin des britischen Thinktanks Chatham House, sagt dazu: „Ohne die Berücksichtigung der Ungleichheit in der Politik wird es unmöglich sein, einen gerechten Übergang zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu schaffen.“Sie glaubt, ein pauschaler Ansatz der Regierungen zur Umstellung auf einen grünen Lebensstil benachteilige die Ärmsten der Gesellschaft und untergrabe das Vertrauen. „Steuern sollten nur für diejenigen eingeführt werden, die in der Lage sind, Einsparungen vorzunehmen.“ Die Reichen, so Townend, würden über die Mittel verfügen, ihren kohlenstoffreichen Lebensstil zu verändern, ohne ihr Wohlergehen zu beeinträchtigen. Die Bekämpfung der hohen Emissionen der Reichen gewinnt noch mehr an Bedeutung, wenn man einen Blick in die Zukunft wirft.So hat eine kürzlich durchgeführte Studie ergeben, dass die Zahl der Menschen mit einem Vermögen von einer Million Dollar (unter Berücksichtigung der Inflation) wahrscheinlich von etwa 52 Millionen im Jahr 2020 auf 511 Millionen im Jahr 2050 ansteigen wird. Die Forscher schätzen, dass der prognostizierte Anstieg der Millionäre von 0,7 Prozent der Weltbevölkerung auf 3,3 Prozent zu kumulierten Emissionen von 286 Milliarden Tonnen CO₂ führen wird. Kleiner Vergleich: Wenn wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollen, steht uns insgesamt noch ein Kohlenstoffbudget von 250 Milliarden Tonnen zur Verfügung. Die Zunahme der Millionäre könnte dieses Budget vollständig aufzehren. Auf der Cop28 soll eine internationale Steuertaskforce ins Leben gerufen werden„Ich denke, es ist bezeichnend, dass ein so kleiner Teil der Menschheit so viel des verbleibenden Kohlenstoffbudgets verbrauchen wird“, sagt Stefan Gössling von der Linnaeus-Universität in Schweden, der die Studie leitete. „Es wird nicht ausreichen, einfach Steuern auf CO₂ zu erheben, da die Reichen es sich im Wesentlichen leisten können, den zusätzlichen Betrag zu zahlen, während arme Menschen stärker betroffen wären.“Lucas Chancel hat in einem kürzlich erschienenen Bericht festgestellt, dass eine „relativ bescheidene“ progressive Vermögenssteuer von 1,5 Prozent auf Personen mit einem Vermögen von 100 Millionen US-Dollar oder mehr (das entspricht 0,001 % der Weltbevölkerung) jährlich 295 Milliarden US-Dollar einbringen würde. Das ist ein ähnlicher Betrag wie der, der benötigt wird, um die Weltbevölkerung vor den wachsenden Auswirkungen der Klimakrise zu schützen. Auf der Cop28 soll eine internationale Steuer-Taskforce ins Leben gerufen werden, die sich für neue Klimaabgaben einsetzt und Steuern auf Vermögen, fossile Brennstoffe, Schifffahrt, Luftfahrt und Finanztransaktionen in Betracht ziehen wird.Townend sagt: „Der Lebensstil der Reichen kann sich ändern, um die Emissionen zu reduzieren, ohne das Wohlergehen zu beeinträchtigen. Was für die Menschen am wichtigsten ist, sind unsere Beziehungen zu anderen und unsere Fähigkeit, sozial zu sein, und diese Dinge sind nicht kohlenstoffintensiv, um sie zu genießen oder zu erhalten.“
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