Ein wahrer Segen

Cannes Lee Daniels neuer Film "The Paperboy" wurde in Cannes gezeigt: Ein Portrait familiärer Funktionsstörungen, eine schwarze Komödie mit einer herausragenden Nicole Kidman

Von der bösen Florida-Noir-Komödie The Paperboy geht ein betörend-schwüles Sumpffieber aus. Unter träger Stimmung und Witz verspürt man Gefahr. Was ihm in The Help nicht gelang, macht Regisseur Lee Daniels diesmal wieder richtig: Basierend auf dem Pete-Dexter-Thriller ergeben die Spannungen zwischen Schwarz und Weiß, Sex, Journalismus und dem Amerika der sechziger Jahre ein Gebräu, das am brodeln gehalten wird. Dieser packende, beängstigende und auf unbehagliche Weise witzige Film entwickelt eine düstere Bedrohung, die - gleich den immer wieder auftauchenden Alligatoren - nie weit von der Oberfläche lauert.

In The Paperboy geht es vor allem um familiäre Funktionsstörungen: Scott Glenn spielt WW, den Herausgeber der Lokalzeitung einer kleinen Stadt in Florida. Dessen halbseidener Sohn Ward (Matthew McConaughey), der beruflich in die Fusstapfen seines Vaters getreten ist, trifft aus Miami ein, um eine große Geschichte über einen Justizfehler vor Ort zu schreiben: Dem verurteilten Schwerverbrecher Hillary Van Wetter (dargestellt von einem entsetzlich schmierigen und aufgedunsenen John Cusack), droht der elektrische Stuhl für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Ward und sein Kollege (David Oyelowo) – ein Schwarzer, dessen sanfte britische Ausdrucksweise die rassistischen Einwohner des Ortes rasend macht – glauben, den Fall aufrollen und klären zu können, wofür sich ihnen Wards leicht erregbarer jüngerer Bruder Jack (Zac Effron) als Fahrer angeboten hat.

Ihr Ass im Ärmel ist Charlotte Bless (Kidman), eine aufgetakelte, braungebrannte, äußerst unstabile Frau mit jeder Menge Sex-Appeal. Sie hat Hillary Briefe ins Gefängnis geschrieben und ist nun mit ihm verlobt. Die Jungs dürfen sie zu ihren Besuchen bei Hillary begleiten und ihm - nachdem das Paar sich gegenseitig mit von der Gefängnisleitung genehmigtem Dirty Talk ohne Handeinsatz auf Touren gebracht hat - befragen. Jack verknallt sich natürlich in Hillary.

Kein Amerika-Kommentar

Nicole Kidman ist so gut wie zuletzt in To Die For. Als Charlotte gibt sie sich lustig, sexy und anrührend verletzlich. Auf ihre Weise ist sie romantisch, auch wenn die Romantik sich hier vornehmlich auf die rein autoerotische Potenz des schwitzigen Verbrechers hinter den Gefängnisgittern bezieht. Charlotte ist wie Blanche DuBois (nur ohne Illusionen), der die Schwärmerei des armen Träumers Jack dann doch irgendwie gefällt. Zac Efron wiederum macht sich gut in der Rolle des traurigen, mutterlosen Jungen, dessen einzige Freundin Anita ist - die stoische Hausangestellte der Familie (schön gespielt von Macy Gray). Jack hat es satt, sich von Charlotte wie der kleine Bruder oder ein Hundewelpe behandeln zu lassen. Aber er verharrt in der Hoffnung, dass sich aus der Intimität der beiden einmal die Gelegenheit ergeben könnte, miteinander zu schlafen. Die Strandszene, in der Charlotte geziert Jacks Lolita-Lektüre konfisziert, ist erst klug, dann spannungsgeladen und schließlich zum Lachen.

Matthew McConaughey ist geringfügig weniger erfolgreich. Seine schauspielerischen Manierismen können aufdringlich wirken, werden hier aber von Daniels in Zaum gehalten. Seine undurchsichtige Beziehung zum reizbaren Yardley schafft, in der von Charlotte und ihrem frustrierten jungen Verehrer Jack erzeugten Atmosphäre, einen entgegengesetzten Spannungsbogen. Untermalt wird das Ganze von der finsteren, scheußlichen Gegenwart des von Cusack niederträchtig dargestellten Hillary.

Regisseur Daniels sorgt geschickt dafür, dass seine Darsteller ihn beinahe vergessen, dennoch spüren sie immer mehr, dass sie etwas sehr Fieses geschaffen haben könnten.
The Paperboy
will keinen großen Kommentar zu Amerika abliefern, ist aber ein unterhaltsamer Thriller mit einer überragenden Nicole Kidman.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Peter Bradshaw | The Guardian

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