Wie ist es, Elon Musk zu sein? Zunächst einmal ist festzustellen: Musk ist einfach zu viel. Er ist der Chef von drei Megafirmen: die eine (Tesla) enorm erfolgreich; die andere (SpaceX) wahnsinnig ehrgeizig; die dritte (Twitter/X) ein heilloses Chaos. Nebenher hat er noch viele weitere Unternehmen, darunter The Boring Company, die Hightech-Tunnel für Hochgeschwindigkeitsshuttles produziert, Neuralink, das Schnittstellen für Gehirn-Computer entwickelt, sowie sein derzeitiger Favorit xAI zur Künstlichen Intelligenz mit der Mission, „die wahre Natur des Universums zu verstehen“. Er ist immer mal wieder auf Platz eins in der Liste der reichsten Menschen der Welt, wobei sein persönliches Nettovermögen manchmal um mehr als zehn Milliarden Dollar am Tag sc
Mehr Wahn als Vision: Wie tickt Elon Musk?
X-Universum Greta Thunberg, neue Rechte, die Royals: Folgen Sie uns in den digitalen Kopf des reichsten Mannes der Welt. Aber Achtung: Es ist die verdrehte Welt eines sehr mächtigen Kindes
Collage: der Freitag; Material: Getty Images
schwanken kann, je nachdem, wie stark oder schwach der Aktienkurs von Tesla gerade ist.Elon Musk ist Vater von elf Kindern von drei verschiedenen Müttern. Seiner Meinung nach macht ihn das zu einem Familienmenschen. Er hat rund 164 Millionen Follower auf Twitter, das seit diesem Sommer X genannt wird. Nur sehr wenige Menschen – Barack Obama hat 132 Millionen, Justin Bieber 111,6 Millionen Follower – wissen, wie sich das anfühlt. Im Gegensatz zum ehemaligen US-Präsidenten Obama, der 550.000 Leuten auf Twitter folgt, folgt Elon Musk weniger als 500. Wer sind diese Leute, die seine Welt auf X prägen?Den Sommer dieses Jahres nutzte ich, indem ich exakt denselben Accounts folgte, denen Musk folgt – und niemand anderem. Ich wollte sehen, wie die Welt aus seiner persönlichen X-Blase heraus aussieht. Die Idee war, Mäuschen zu spielen, in einem Raum mit den Menschen, die die Gedanken eines der einflussreichsten und unberechenbarsten Menschen der Welt prägen. Ich sollte noch hinzufügen, dass ich bis dahin noch nie jemandem auf Twitter oder X gefolgt war – ich hatte noch nicht einmal einen Account. Es war alles neu für mich. Und was soll ich sagen? Ich fand es ziemlich überwältigend.Gender, Corona und der KriegMusks X-Universum ist nicht so merkwürdig, wie man es angesichts seines Rufs als rechtskonservativer „Alt-Right“ und „skrupelloser Cybertroll“ vielleicht erwarten würde. Zum Teil ist es sogar höchst konventionell. Er folgt den offiziellen Accounts einiger der wichtigsten Persönlichkeiten und Institutionen der Welt – Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Indiens Regierungschef Narendra Modi, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dem US-Außenministerium, der britischen Königsfamilie. Das bedeutet, dass seine Timeline gelegentlich von den Banalitäten von Regierungspressemitteilungen und Geburtstagsglückwünschen an den Prinzen von Wales überläuft. Musk interagiert nie mit diesen Accounts – ich vermute, dass er sie kaum wahrnimmt. Es wirkt ein wenig so, als wollte er sich bei den Top-Leuten des internationalen Weltgeschehens bemerkbar machen: „Hi, Leute, ich bin auch noch da.“ Und da er BBC Breaking News abonniert hat, erfährt er auch davon, dass ein Ort wie das kleine Tiverton in der britischen Provinz überflutet worden ist. Aber im Grunde ist das nur Show. Musk macht kaum einen Hehl aus seiner Verachtung für die BBC, die er als eine Säule der überflüssigen klassischen Medien betrachtet. Auch Zeitungen wie den Guardian verabscheut er.Während Musk sich bei seinen globalen Promi-Kumpeln einschleimt, schleimen sich umgekehrt auch ziemlich viele bei ihm ein. Seine Timeline ist gespickt mit Beiträgen von verschiedenen Accounts aus der Tesla-Welt, wie beispielsweise „Tesla Owners of Silicon Valley“, „Car Dealership Guy“ und einer Reihe anderer superzufriedener Investoren, die ihre Zeit vor allem damit verbringen, dem Big Boss zu sagen, wie toll er ist, und sich bei jeder neuen Produkteinführung oder jedem weiteren Aktienkursanstieg vor Aufregung in die Hosen machen.Mit diesen Leuten beschäftigt sich Musk. Er füttert sie mit Leckerli, wie es ein Hundebesitzer machen würde: mit kleinen Hinweisen darauf, was als Nächstes kommt. Einige dieser Accounts sind sogar Fans seiner Mutter Maye Musk, die laut ihrer X-Bio „internationale Bestseller-Autorin/Doktorin für Diätetik/Supermodel“ ist. Mutter Musk wurde gebeten, diesen Sommer die Eröffnungsrede bei der jährlichen Versammlung der Tesla-Fans im Silicon Valley zu halten. Als Familienmensch gefällt das dem Sohnemann natürlich.Placeholder image-1Zwischen all dem Schmeicheln und Geschmeichelt-Werden spielt sich das eigentlich Wichtige ab. Musk folgt hauptsächlich einer Reihe querdenkender Männer, die die liberale Gesellschaft aufs Korn genommen haben. Tatsächlich sind es fast alles Männer, mit der bemerkenswerten Ausnahme von Josie Glabach, auch bekannt als „Redheaded Libertarian“ (Rothaarige Libertäre); die sehr produktive Schreiberin von Rechtsaußen-Inhalten bezeichnet sich selbst auf X als „Geschichtsstudentin, Tochter der Freiheit, Weirdest haters you’ve ever seen, Keepers of Receipts, Do No Harm But Take No Sh*t, 1776-Nerd“.Aus all diesen Accounts lässt sich eine Weltsicht ablesen, für die Musk zwar nicht aktiv wirbt, die er aber stillschweigend mit Likes, Retweets und gelegentlichen positiven Emojis unterstützt.Während der Monate, in denen ich seinem Feed folgte, dominierten in seiner kleinen Ecke der X-Sphäre vier Themen. Zunächst wettert Musk, wie viele andere in seiner Timeline, gegen die Geschlechtsumwandlung bei Kindern und gegen das, was er als politisierte Sexualerziehung (oder sexualisierte Politik) betrachtet. Musk teilte etwa das Bild von einer schwangeren Frau. Sie fragt: „Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“ Ein Mann antwortet: „Das lassen wir die Kita-Erzieherin entscheiden.“Zweitens war eine stark prorussische Ausrichtung zu beobachten. Viele, denen Musk folgt, sind zutiefst skeptisch gegenüber denjenigen westlichen Politikern, die die Ukraine unterstützen. Großbritanniens Ex-Premier Boris Johnson, für den sich sonst niemand in der Musk-Welt interessiert, wird in diesem Kontext als Superschurke besetzt: als der Mann, der nach der russischen Invasion im Februar 2022 mit seinen unsinnigen Sprüchen die Chancen auf ein russlandfreundliches Friedensabkommen zunichtegemacht haben soll. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gilt dort als Witzfigur.Drittens handelt es sich, noch immer, um eine Brutstätte des Corona-Skeptizismus. Musk folgt Jay Bhattacharya, Medizinprofessor in Stanford, der zusammen mit einigen anderen von einer krassen Überreaktion der Regierung auf die Pandemie spricht. Sein Kreis verbringt einen Großteil seiner Zeit damit, Regierungsbeamte zu beschimpfen, die jetzt in öffentlichen Untersuchungen auf der ganzen Welt im Scheinwerferlicht stehen, wenn Kosten und Nutzen von Lockdowns während der Corona-Pandemie untersucht werden. Der Ton ist verächtlich: Jedem, der damals für Lockdowns eintrat, könne wegen blinder Panik noch verziehen werden. Aber alle, die diese Maßnahme noch heute verteidigen, seien eindeutig Regierungs-Claqueure oder einfach nur Idioten.Und schließlich plätschert um all das herum ein ständiges Klagen über das Ende der westlichen Zivilisation. Musk folgt einer Reihe von Accounts, die das Erbe der Klassik und traditionelle Architektur feiern („Warum können wir nicht mehr solche Gebäude bauen?“ ist ein häufiger Refrain). Er folgt „Aesthetica“ mit den Inhalten „Ästhetik, Geschichte, Rittertum, Fantasie, Lebenskünstler“ sowie „The Knowledge Archivist“ mit „nützlichem Wissen aus dem Leben der größten Persönlichkeiten der Geschichte“. Er mag Militärgeschichte und Geschichten über Heldentum und Heldentaten. Und wie viele, denen er folgt, ist er der Meinung, dass wir langsam kollektiven Selbstmord begehen, weil wir nicht genug Kinder haben. Demnach bedeuten die sinkenden Geburtenraten in den Industrieländern, die Zukunft aufzugeben oder den Maschinen zu überlassen. Viele, die toll finden, was Musk für die Autoindustrie macht, bewundern auch seinen Einsatz für die Fortpflanzung: Er tut seinen Teil.Wer nicht reinpasst: GretaDennoch ist es auch erwähnenswert, was Musks X-Welt nicht ist. Sie ist nicht Trump-affin, und er folgt auch keinen Accounts von Trump-Fans. Musk selbst – der sagt, er habe 2016 für Hillary Clinton und 2020 für Joe Biden gestimmt – unterstützte den republikanischen Gouverneur Floridas, Ron DeSantis. Bekannt geworden ist ein Interview von Elon Musk mit DeSantis auf X Spaces zum Start der Kampagne für die Präsidentschaftskandidatur – allerdings eher aufgrund des Versagens der X-Technik als aufgrund seiner politischen Inhalte.Was sich auch kaum bis gar nicht findet, ist Klimaskeptizismus. Tesla beschreibt sich selbst als Saubere-Energie-Unternehmen, und Musk zweifelt nicht an, dass radikales Handeln gegen die globale Erwärmung notwendig ist. Er folgt Greta Thunberg und trollt sie nicht. Ob er das tut, weil ihn interessiert, was sie sagt, oder weil sie eine VIP ist, weiß man nicht. In der Vergangenheit bezeichnete er sie als „cool“.Tatsächlich trollt Elon Musk überhaupt niemanden, abgesehen von Aktienanalysten, die den Tesla-Kurs shorten (Jim Cramer, Moderator von Mad Money auf CNBC, ist ein beliebter Prügelknabe). Vermutlich hat Musk seine Lektion gelernt, nachdem er sich im März über den behinderten X-Mitarbeiter Haraldur Thorleifsson lustig gemacht hatte, weil der angeblich „keine wirkliche Arbeit leistet“, und dann eine zu Kreuz kriechende Entschuldigung abgeben musste: „Ich möchte mich bei Halli dafür entschuldigen, seine Situation verkannt zu haben. Das Missverständnis basierte auf falschen Informationen, die ich bekam, beziehungsweise richtigen, die aber nicht von Bedeutung sind.“Wenn Musk auf die verschiedenen, leicht erregbaren Typen reagiert, denen er folgt, mahnt er häufig zur Vorsicht. Schlägt zum Beispiel die Ablehnung von Lockdown-Maßnahmen in die Ablehnung jeglicher Impfung um, versucht Musk die Dinge in seinem unnachahmlichen trockenen Stil richtigzustellen: „Um ehrlich zu sein, haben wir Glück, dass wir die moderne Medizin haben.“ Als in seiner Timeline, wie es regelmäßig vorkommt, Gerüchte auftauchten, dass die US-Regierung im Begriff sei, ihr vorliegende Beweise für den Besuch Außerirdischer auf der Erde zu veröffentlichen, antwortete Musk: „Wenn Sie mich fragen: Ich habe bislang keinerlei Beweise für Außerirdische gesehen.“Musk folgt dem Fernsehmoderator und politischen Kommentator Tucker Carlson, der rechtsextreme Gedanken und Verschwörungstheorien verbreitet. Carlson, fest davon überzeugt, dass der US-Geheimdienst Begegnungen mit Außerirdischen geheim hält, postete ein Interview mit Musk, in dem der X-Chef erklärte, es gebe drei Gründe, Zweifel daran zu haben. Erstens wisse er selbst mehr über den Weltraum als jeder andere, also müsste er davon gehört haben, habe es aber nicht. Zweitens sei das US-Militär bekanntermaßen allein daran interessiert, seinen Haushalt zu erhöhen, und der würde in die Höhe schießen, wenn es beweisen könnte, dass die kleinen grünen Männchen bereits da seien. Drittens spreche dagegen, dass Musk dann ja selbst Teil der Verheimlichungsstrategie sein müsste. Jeder, der ihn kenne, wisse aber, dass er keine Chance auslassen würde, die meisten Reposts in der Menschheitsgeschichte zu bekommen. Und die wären ihm sicher, wenn er eine derart große Enthüllung posten würde. An diesem Punkt brachen er und Carlson in unkontrolliertes Lachen aus.Manche verschwörungstheoretischen Fantasien, die in Musks Timeline kursieren, kommentiert er mit: „Interessant“, „Gute Frage“ oder einfach nur „!“. Unter einer von Carlsons mäandernden Touren um Jeffrey Epstein, die Clintons, die Ukraine und Hunter Biden beschränkt Musk seine Antwort auf: „Das wirft interessante Fragen auf.“ Er will nicht als Verrückter des 21. Jahrhunderts erscheinen, sondern als aufklärerischer Rationalist, der nichts für selbstverständlich hält, der nicht an die landläufige Meinung glaubt und gerne selbst denkt.Das Kind im GeschäftsmannMusk gibt sich als sozial unbeholfener Naiver, der die Fragen stellt, vor denen andere zurückschrecken. Er ist stolz darauf, innerhalb des autistischen Spektrums zu stehen, und glaubt – wie Greta Thunberg –, dass sein Asperger-Syndrom ihm Einblicke gewährt, die nur denen zur Verfügung stehen, die nicht auf die konventionellen sozialen Signale reagieren, um der Herde zu folgen. „Affektiver Autismus > effektiver Altruismus?“, lautet eines seiner Mantras. In einem Interview, in dem er über seine unglückliche Kindheit sprach, beschrieb Musk die existenzielle Krise, die er als Elfjähriger durchlebte, als er erkannte, dass die Menschen die wahre Natur des Universums so gut wie gar nicht verstanden: Die Religion erklärte es nicht, die Wissenschaft war immer noch relativ ahnungslos. Wir tappten einfach im Dunkeln, seien verloren und allein. Er kam zu dem Schluss, die Lösung bestehe darin, „das Ausmaß und die Reichweite der Zivilisation zu vergrößern“ – notfalls auch intergalaktisch: Mehr Menschen und mehr Ideen bedeuten für Musk bessere Antworten auf die größten Fragen.Bemerkenswert an Musk ist, dass er erkennbar das gleiche rastlose, verrückt grandiose, merkwürdig verletzliche Kind geblieben ist, das er damals war. Aber er ist ein Kind mit 241 Milliarden US-Dollar in der Tasche und einem fast unbeschränkten Potenzial dafür, Unheil anzurichten. Das Ausmaß von Musks Reichtum und Einfluss, kombiniert mit seiner Art, sich zu verhalten, als hätte er keins von beidem, macht es fast unmöglich, ihn festzunageln. Seine Beschäftigung mit seinem Feed auf X ist wahnsinnig vielseitig und oft verblüffend (Woher nimmt er die Zeit dafür?). An einem Tag geht es nur um Tesla- oder SpaceX-Werbung. Am nächsten um einen Tweet aus dem Jahr 2007 zu Listerine Cool Mints, Musk schreibt darunter: „Soweit ich weiß, noch immer die effektivsten Atemminzbonbons.“ Man könnte meinen, jemand wird dafür bezahlt, für ihn zu twittern. Nur würde es niemand wagen, so banal zu sein. Oder man könnte denken, dass jemand ihn bezahlt. Aber dann wird einem klar, dass niemand – ganz sicher nicht Listerine – ihm genug bezahlen könnte.Neben dem Kind hinter dem Geschäftsmann gibt es immer auch den Geschäftsmann hinter dem Kind. Musks X-Persönlichkeit ist gleichzeitig ein authentischer Ausdruck seiner extrem ungewöhnlichen Persönlichkeit und der wenig verschleierte Versuch, die Plattform zu vermarkten, indem er sich selbst vermarktet. Vieles in Musks Feed sind Posts über X, woran er ein persönliches Interesse hat, weil ihm das verdammte Ding gehört. Wenn Leute also ihre Ansichten darüber teilen, was sie an X lieben – und an den Rivalen Threads oder Blue Sky hassen –, reagiert Musk mit Smiley-Gesichtern, Lachtränen und kleinen Gedankenblasen über seine Liebe zu der Plattform. Er will zeigen, dass auch er X-Fan ist, „for what it’s worth“. X jedenfalls ist ihm 44 Milliarden US-Dollar wert.In der großen Sommerschlacht 2023 mit der Konkurrenzplattform Threads hat Musk nicht nur Mark Zuckerberg zu einem Kampf im Ring herausgefordert (was ebenso gut das Werk des Kindes hinter dem Geschäftsmann wie das des Geschäftsmanns hinter dem Kind sein könnte). Er tat sein Bestes, um aufzuzeigen, was X anders macht und warum es sich lohnt, es weiter zu nutzen. Sein Angebot ist simpel: Die Plattform ist auf eine Weise real, wie es Zuckerbergs Produkte – und besonders Instagram – nicht sind. Ja, auf X zu sein, mag bedeuten, dass Leute gemein zu dir sind, aber zumindest bedeutet es auch, sich der harten Realität zu stellen. Wie Musk es im Juli formulierte: „Es ist unendlich viel besser, auf Twitter von Fremden angegriffen zu werden, als sich dem vorgetäuschten Glück von ‚Versteck den Schmerz‘-Instagram hinzugeben.“ Darüber hinaus argumentiert er, dass X der Ort sei, an den man gehe, um seine Weltsicht hinterfragt zu bekommen. Das passiere in unserer zunehmend separierten Online-Welt nirgendwo sonst mehr. Twitter sei zudem der Ort, wo man seine Lacher bekomme.Diese Werbung für X ist merkwürdig, weil in Musks Feed selbst fast nie jemand seine Weltsicht hinterfragt. In den zwei Monaten, in denen ich seinem Feed folgte, habe ich auch nicht ein einziges Mal gelacht. Vielleicht liegt es auch einfach an mir. Denn es gab viele Witze. Hier ist einer vom „World of Engineerig“-Account: „Was ist los, wenn ein Informatiker es nicht schafft, mit der Bedienung zu flirten? – Keine Verbindung zum Server.“ Den hat Musk gelikt. Ich nehme an, es ist witzig, im Sinne von lustig-merkwürdig, zu denken, dass Flirten als Erfolg/Versagen-Vorgang betrachtet werden kann, wie einen Code zu schreiben. Aber ist das lustig?Insgesamt findet sich in Musks Timeline viel Parodie und wenig geistreicher Witz. Er folgt dem „Not Jerome Powell“-Account, dessen Kernfunktion darin besteht, den Vorsitzenden der US-Zentralbank Federal Reserve zu trollen. Einen Großteil seiner Zeit verbringt der Absender des Accounts aber damit, wenig schmeichelhafte Fotos von Hillary Clinton oder von einem traurig blickenden Wolodymyr Selenskyj zu posten. Überhaupt sieht die Hetze gegen Leute mit einer linkeren Ansicht so aus, dass progressive Ansichten neben Fotos von unattraktiven Leuten gestellt werden, die blöde Sachen machen. Typisches Beispiel: ein Foto von einem dicken Mann mit rosafarbenen Leggins und einem hässlichen blauen Oberteil mit dem Text: „Nur damit Sie es wissen. Das ist der Typ, der Sie im Internet als Nazi bezeichnet.“Musk kann keiner gut konstruierten Maschine widerstehen – das gilt auch für die Künstliche Intelligenz. Er mag es, Accounts zu folgen, die Bilder von cool aussehendem Zeug posten: merkwürdige Gebäude, seltsame Muster in der Natur, formschöne Gadgets wie viktorianische Bleistiftspitzer oder mundgeblasene Glasornamente sowie viele, viele Bilder vom Weltall. „Black Hole“ ist einer von Musks Favoriten. Dazu folgt er Accounts, die „How Things Work“ und „Oddly Satisfying“ heißen. Seine Auseinandersetzung mit all diesen Informationen ist dabei überwältigend visuell: In Interviews hat er Probleme, vollständige Sätze zu formulieren, und wiederholt sich häufig – aber er liebt es, faszinierende Bilder anzugucken.Im Wesentlichen sind Musks Vorlieben zwischen dem Klassischen und Futuristischen hin- und hergerissen. Er teilt die menschliche Erfahrung in zwei Teile: Die Vergangenheit ist primär ästhetisch, die Zukunft überwältigend algorithmisch. Das bedeutet, dass ein Großteil von Westeuropa für Musk nur als eine Art glorifizierter Kulturerbe-Park existiert. Jeden Tag postet jemand in seinem Feed ein Bild von einem französischen Schloss oder einem römischen Tempel, einer Zisterzienserabtei oder einem Oxbridge-College und zeigt sich ehrfürchtig beeindruckt von ihrer Schönheit. Für Musk gehören ein Oxbridge-College und ein römischer Tempel in dieselbe Kategorie: ein prächtiges, im Grunde genommen todgeweihtes Relikt aus der Vergangenheit.Was sich über die Monate veränderte, war nicht Musks Haltung zu etwas draußen in der Welt, sondern seine Haltung zu X als Plattform selbst. Was in seiner Timeline erschien, änderte sich dramatisch, aber nur, weil sie mit Werbung und Werbe-Tweets vollgestopft wurde, da Musk so versuchte, das verlustbringende Unternehmen zu sanieren. Um ehrlich zu sein: Die Plattform hatte mir als jemandem, der neu auf ihr war, eigentlich ganz gut gefallen, bis sie nur noch ein weiteres abstoßendes Sammelsurium sinnloser Kommerzialisierung wurde.Der Masterplan: App für allesImmerhin bekam ich so einen Eindruck davon, was jemand wie Musk nach Annahme des Algorithmus kaufen wollen könnte. Es war eine Mischung aus Werbung für schicke Tech-Bro-Ausrüstung wie Rucksäcke oder Laufschuhe – und einer beeindruckenden Zahl von Trailern für die Filme Oppenheimer und Napoleon. Man muss nicht Einstein sein (dessen Biograf Walter Isaacson gerade eine Biografie von Musk veröffentlicht hat), um zu erraten, dass die Filme deshalb als für Musk attraktiv eingeschätzt werden, weil er glaubt, er gehöre zu dieser Gruppe von Leuten. Ohne Zweifel läuft irgendwo in seinem Kopf das Biopic seines eigenen Lebens im Hintergrund. Viele der Nicht-Einsteins in Musks Timeline wiesen ihn darauf hin: Guck dir den Film an, Elon, er ist wie für dich gemacht!Und dann änderte sich noch einmal alles, als die Plattform im Juli 2023 aufhörte, Twitter zu sein, und zu X wurde. Wie vieles, was Musk macht, kam die Markenumstellung über Nacht, unerwartet und mit viel Tamtam. X soll eine Allrounder-Plattform für Zahlungen, Kommunikation, Inhalte werden – Musk bewundert die Chinesen und insbesondere Apps wie WeChat, die einen Großteil des chinesischen Lebens erobert haben. Musk kaufte die Twitter-Plattform, um zu versuchen, sie in eine App für alles zu verwandeln. Dabei war er sich voll des Risikos bewusst, dass er sie in eine App für nichts verwandeln könnte.Der Alles-oder-nichts-Ansatz ist ein wesentliches Merkmal von Musks Weltsicht. Wenn ich ihr einen Namen geben müsste, würde ich „optimistische Endzeitstimmung“ sagen. Er ist unermüdlich fröhlich, während er über die bevorstehende Katastrophe nachdenkt. Seine Philosophie ist weniger „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“ als „Alles wagen und mal sehen, wer dann noch steht“. Für Twitter zahlte er 44 Milliarden US-Dollar. Das Wirtschaftsmagazin Fortune und der Finanzdienst Bloomberg schätzen, dass X zuletzt etwa 19 Milliarden Dollar wert war. Der reichste Mann der Welt ist Elon Musk trotzdem noch.Musks Timeline hilft, sich ein Bild davon zu machen, wie die Welt aus seiner Perspektive aussieht: Die meiste Zeit über ist es nur das, was direkt vor seiner Nase liegt – das können auch Witze über Hunde und Katzen sein. Die Tesla-Fabriken sind groß, aber danach kommt nicht mehr viel Herausragendes, bis wir das Weltall erreichen. Zwischen dem Hier und Jetzt und einer Zukunft, die jenseits dessen liegt, was wir heute wissen können, hat Musk keinen echten Standpunkt. Er ist enorm präsent und fast unglaublich weit weg. Ganz klar ein Genie, ist er zugleich ein Narr. Er atmet den Geist dieser Zeit.Placeholder authorbio-1
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