Falsche Schönheit

Klamotten Die Fashion-Designer finden den "Protest-Chic" jetzt ganz toll. So ein Unsinn! Denn eigentlich müsste man gegen die Modeindustrie selbst einmal demonstrieren

Im Kern geht es bei Mode immer um eine Botschaft, egal wie verkorkst diese auch immer sein mag. Und die Modeindustrie flirtet gern mit der Gegenkultur, obwohl sie selbst ein vielköpfiges Ungeheuer kapitalistischer Großkonzerne ist. Yves Saint Laurent zum Beispiel ging zuerst bei der Beat-Generation und dann bei den Hippies auf Beutezug. Ein Beispiel, das Schule machte.

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Es ist also wenig überraschend, dass immer, wenn breite Proteste erwachen, auch das Interesse der Modeindustrie geweckt wird. Vergangene Woche war zu lesen, Tilly Gifford, eine Aktivistin der britischen Anti-Flughafenausbau- Gruppe Plane Stupid sei mit ihren Mitstreitern für die Vogue abgelichtet worden. Die Mode-Beilagen der Zeitungen schreiben derweil von „Protest Chic“ – ein weiteres Beispiel dafür, dass die Modeindustrie nie müde wird, das Suffix „Chic“ hinter Worte zu hängen, mit denen es in keinerlei Zusammenhang steht. Für die Redakteure ist das ein Geschenk: Auf einmal hören die Leute auf, Geld für Luxusgüter auszugeben und gehen stattdessen protestieren – warum nicht darüber schreiben, was sie dabei anhaben?

Der Look, der jetzt als „Protest Chic“ bezeichnet wird, beschreibt so ziemlich die Garderobe der meisten Teenager und jungen Erwachsenen – Second Hand-Sachen, getragen, bis sie auseinander fallen. Dieser Vintage-Look dient mittelpreisigen Labels wie Marc by Marc Jacobs, die versuchen das Teenagerdasein in ihren Entwürfe einzufangen, als Inspiration.

Die Schönheit des ursprünglichen Teenager-Looks besteht jedoch darin, dass er „modefrei“ ist: Kauft man in einem Second Hand-Laden, dann kauft man eben nicht, was von der Modeindustrie zur Mode erkoren wurde. Natürlich ist diese Kleidung nicht schäbig. Nein, die Teenager durchforsten die Second-Hand-Läden nach dem Kürzesten, dem Engsten und dem Schockierendsten, das sie finden können. Überall in Europa findet man derzeit Teenager, die die Kufyia tragen, das traditionelle arabische Kopftuch, dass für einige Zeitgenossen mit Erinnerungen an den palästinensischen Widerstand belegt ist. Heute wird es auf allen Straßenmärkten verkauft. Solche Kleidungsstücke, zumal wenn sie gut aussehen, gehen dann als „Protest Chic“ durch. Bloß hat das unweigerlich wenig damit zu tun, was Demostranten tatsächlich tragen.

Für ernsthafte Demoteilnehmer muss das Outfit in erster Linie funktional sein, womit schon einmal ein Großteil der Sachen durchfällt, die so als Mode verkauft werden. Die meisten derjenigen, die heutzutage demonstrieren gehen, wünschen eine Entschleunigung der Gesellschaft herbei – keine weiteren Startbahnen für Flugzeuge, Schluss mit der Globalisierung. Am rastlosen Veränderungszwang der Konsumkultur dürften sie also wenig Gefallen finden.

Damit steckt die Modebranche in einer heiklen Situation. Vor ein paar Jahren waren viele Marken erpicht darauf, sich mit ihren neuen „Organic“-Kollektionen zu profilieren, die in Wirklichkeit aber nicht mehr als häppchenhafte Opfergaben waren. Der Grossteil der Sachen wurde weiterhin auf herkömmliche Weise produziert. Schon damals war offensichtlich, dass ethische Mode nichts anderes sein würde, als eine weitere Modeerscheinung. Und genau so ist es denn auch gekommen: Angesichts schwindender Profite gerät die Ethik in Vergessenheit. Die Mode mag mit den Symbolen und den Emotionen des Protests liebäugeln, am Ende hält sie aber doch lieber Abstand. Denn immerhin wissen wohl die meisten, dass die Moral und die Praktiken der Modebranche selbst Proteste hervorrufen könnten.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Charlie Porter, The Guardian | The Guardian

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