Gary Shteyngart über die Biografie des X-Chefs: Wer oder was ist schuld an Elon Musk?
Rezension Der Schriftsteller Gary Shteyngart benötigte sehr viel Espresso, um es durch Walter Isaacsons Buch „Elon Musk“ zu schaffen. Hinter all den Diagnosen machte er eine ernüchternde Entdeckung
Wer genau hinschaut, sieht, dass an der Nase mal etwas gemacht wurde
Foto: Patrick Pleul / Pool / AFP via Getty Images
Wer oder was ist schuld an Elon Musk? Walter Isaacson, berühmt für seine Biografien intellektueller Schwergewichte, wirft mit diesem langweiligen Ziegelstein ohne Erkenntnisse ein weites, aber löchriges Netz aus, um nach einer Antwort zu suchen. Musks Vertraute, Mitarbeiter, Ex-Ehefrauen und Freundinnen stellen in diesem Buch eine ganze Reihe psychiatrischer und sonstiger Theorien für die „dämonischen Anwandlungen“ vor, die das Leben seiner Untergebenen und zunehmend auch das von uns allen verdunkeln. Darunter: bipolare Störungen, Zwangsstörungen und die früher als Asperger-Syndrom bekannte Form des Autismus. Aber die Vorstellung, dass eine dieser Dispositionen Musk zu einem „Arschloch“ macht (auch das eine häufige Beschr
chreibung in dem Buch), während er gleichzeitig in seinen zahlreichen Unternehmungen erfolgreich ist, ist eine Beleidigung aller, die eine solche Diagnose haben und es schaffen, die Welt zu verändern, ohne eine Spur von Verletzten, scheiternden sozialen Netzwerken und allgemeiner Verzweiflung zu hinterlassen. Die Antwort muss also woanders liegen.Walter Isaacsons Prosa ist Handarbeit an der Grenze zur KIDie Lektüre des Buchs macht das nicht einfacher. Isaacson gehört zur Schule der „seine Augen leuchten auf“- Klischeeschreiber, der Rest seiner Prosa ist Handarbeit an der Grenze zu KI. Ich ließ meine Espressomaschine bis tief in die Nacht laufen, um sowohl das Handwerk als auch die Thematik zu überleben. Es kommt mir vor, als würde von Anfang bis Ende über Hunderte von Seiten dieselbe Szene wiedergegeben: Musk versucht, die Kosten verschiedener alltäglicher Gegenstände zu senken, um mehr Geld zu verdienen und seinen Traum zu verwirklichen, sich selbst (und möglicherweise uns alle) auf den Mars zu bringen. Ein oder zwei Beispiele hätten dafür vollkommen ausgereicht. Es ist Isaacson hoch anzurechnen, dass er ein Meister der Kapitel-Enden ist und die Erzählung gekonnt unterbricht, wenn eine von Musks Raketen explodiert oder er eine Frau schwängert, um die Leserschaft dann mit einer Reihe von Fotos zu belohnen, die die Langeweile bis zum nächsten Abstieg in das wilde, aber seltsam vorhersehbare Leben seines Protagonisten vertreiben.Der Prolog des Buchs enthält das, was man in Hollywoods Schreibstuben und in weniger bedeutenden Studiengängen für Kreatives Schreiben „das auslösende Moment“ nennt. Auf einem Spielplatz im Südafrika der 1980er Jahre wurde Musk von einer Gruppe von Mobbern so schwer verprügelt, dass seine Nase noch Jahrzehnte später operativ korrigiert werden musste. Laut Isaacson stellte sich sein Vater auf die Seite der Tyrannen. Dies sind Akte der Gewalt und des Verrats, die lebenslange Folgen haben, wie Musk selbst gesagt hat (und wie meine eigene Nase bezeugen kann, die schon viele Schläge einstecken musste). Faszinierend und deprimierend zugleich ist, wie Musk diese Mobbinghandlungen verinnerlicht hat. Twitter (jetzt X) war schon vor dem Kauf durch Musk eine rassistische und frauenfeindliche Schlackengrube, aber er hat den Tyrannen so gut wie freie Hand gelassen und plant nun, die Blockierfunktion zu entfernen, was bedeutet, dass Nutzer, denen metaphorisch auf die Nase geschlagen wird, nicht mehr in der Lage sein werden, ihre Arme zur Abwehr zu heben.Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Musk Ingenieuren befohlen haben soll, sein Starlink-Satellitensysteme über der Krim „abzuschalten“, als sich ukrainische Drohnen der russischen Flotte in Sewastopol näherten. Als Reaktion auf die Berichterstattung über diese Episode in dem Buch äußerte sich Musk auf X: „Es gab eine Notfallanfrage der Regierungsbehörden, Starlink bis nach Sewastopol zu aktivieren. Die offensichtliche Absicht war, den größten Teil der russischen Flotte, die dort ankerte, zu versenken. Hätte ich dieser Bitte zugestimmt, wäre SpaceX explizit an einer großen Kriegshandlung und Konflikteskalation beteiligt gewesen.“ Isaacsons nächster Schritt war, sein eigenes Buch „richtigzustellen“ und zu behaupten, dass sich die Starlink-Abdeckung nie auf die Krim erstreckt habe. „Musk hat es nicht ermöglicht“, schrieb er, „weil er – wahrscheinlich zu Recht – dachte, dass dies einen großen Krieg auslösen würde.“ Indem er Musks Aussagen bekräftigte, wurde Isaacson zum Verbreiter der russischen Botschaft, die Handlungen der Ukraine würden zu einem größeren Krieg führen („Sucht Frieden, solange ihr die Oberhand habt“, bedrängte General Musk die Ukrainer) – eine Annahme, die unzählige Male widerlegt wurde und von nützlichen Idioten des Kreml geteilt wird.Der messianische Teil des MuskiversumsEs war nicht erst hier, dass ich Isaacsons Urteilsvermögen für schwach hielt. Der Impfskeptiker Joe Rogan ist „kundig“. Musks Humor – er hat das „w“ aus dem Twitter-Zeichen in San Francisco entfernt, weil „tit“ so inhärent lustig ist – hält er für „vielschichtig“. Linda Yaccarino, Musks fast schon komisch tölpelhafte CEO von X, ist „wahnsinnig klug“. Die Menge an Zeit, die er Musk und seinen Gefolgsleuten gewidmet wird, führt dazu, dass die Erzählung zu dessen Gunsten verzerrt wird, vor allem weil Musk der ultimative unzuverlässige Erzähler ist. „Elon hat nicht nur übertrieben, er hat Dinge erfunden“, sagt ein ehemaliger Kollege.Ganz oben auf der Liste der Dinge, über die Musk nicht aufhören kann zu reden, steht der Mars. „Wir müssen zum Mars, bevor ich sterbe.“ „Wir müssen es versuchen, oder wir sitzen für immer auf der Erde fest.“ Der messianische Teil des Muskiversums ist sein Versuch, 380 Millionen Kilometer zwischen sich und seinen Vater zu legen, während er versucht, die Menschheit in eine „multiplanetare Zivilisation“ zu verwandeln, obwohl wir es als Uniplanetare schon schwer genug haben. Aber Musk weiß auch, was uns davon abhält, den unbelebten fernen Planeten zu erreichen, und er hat keine Angst, es uns zu sagen: „Wenn das Virus des woken Geistes ... nicht gestoppt wird, wird die Zivilisation niemals interplanetarisch werden.“ Im Schatten dieses Buches existiert ein weitaus interessanteres, das davon erzählt, wie unsere Gesellschaft ihre Vorrechte an die Musks dieser Welt abgetreten hat. Vieles spricht für Musks Hartnäckigkeit, zum Beispiel seine Fähigkeit, die Kosten-plus-Bürokratie der Nasa zu durchbrechen. Aber ist es das wert, wenn sich dein Retter als der lauteste Spinner der Welt entpuppt?So unangenehm wie eine Jungsumkleide in PretoriaWer oder was ist also für Elon Musk verantwortlich? „Als ich in Südafrika aufwuchs, war es normal, sich zu prügeln“, sagt Musk, und ein Hauch verzweifelter Maskulinität durchweht das ganze Buch, er riecht so unangenehm wie eine Jungsumkleide in Pretoria. Es ist kein Zufall, dass auf dem Buchrücken ein erigierter Penis abgebildet ist (manche mögen behaupten, es handle sich dabei um eine von Musks Raketen, aber ich bin davon nicht überzeugt).Als sich seine Eltern scheiden ließen, zog der junge Musk das Leben mit einem Vater vor, von dem er sagt, er habe ihn „psychisch gefoltert“, statt mit einer unvollkommenen, aber liebevollen Mutter. Er wird immer wieder in diese Dunkelheit zurückkehren und wahrscheinlich umso mehr in sie eintauchen, je mehr ihn die Tatsache der Sterblichkeit einholt. Wenn man so verkorkst ist wie unser Held, muss man eine Menge psychologischer Arbeit leisten, um die Abwärtsspirale zu stoppen – Arbeit, die langweiliger ist als eine Rakete zu bauen. Arbeit, die noch langweiliger ist als dieses Buch.Es ist kein Wunder, dass Musk Twitter nach seinem Lieblingsbuchstaben „X“ umbenannt hat. X bedeutet auch, etwas durchzustreichen, es ist das Gegenteil eines Häkchens, und entspricht dem, was Musk ständig mit seinem Vermächtnis gemacht hat. Isaacsons Buch versucht fortlaufend, eine dramatische Spannung zwischen dem unsere Spezies rettenden Visionär und dem geschlagenen, gemobbten Jungen aufzubauen. Aber wir kennen das Ende von Musks Geschichte schon, bevor wir dieses Buch überhaupt aufgeschlagen haben. Am Ende gewinnen die Tyrannen.
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