San-Bernardo-Archipel: Karibik-Inseln sind dem Untergang geweiht
Klima Die Lage des San-Bernardo-Archipels ist typisch für tief gelegene Territorien weltweit: Sie alle drohen vom Meer überspült zu werden, wenn der Klimawandel weiter an Fahrt aufnimmt
Schon 2014 prophezeite ein Report, dass 45 Prozent der Küsten von San Bernardo nicht zu halten sein würden. In den neun Jahren seither musste davon nichts zurückgenommen werden.
Illustration: der Freitag
„Jetzt können wir nur noch weglaufen“, sagen die Bewohner und meinen, dass der Untergang ihres Archipels San Bernardo eines nicht allzu fernen Tages unvermeidlich sein wird. Sie leben zwei Meter über dem Meeresspiegel wie auf einem Floß, das jederzeit untergehen kann. Wer tut etwas dagegen? Die Behörden zu wenig. Als Opfer des Klimawandels bleiben die Menschen in diesem wie in vielen anderen Fällen allein. Und fühlen sich vergessen.
Die winzige Insel Santa Cruz del Islote vor der Küste Kolumbiens
Die Bewohner der winzigen Insel Santa Cruz del Islote sind es gewohnt, dass ein sanftes Rauschen der Wellen ihren Schlaf umgibt. Was nach entspannter Glückseligkeit klingt, kann in Wirklichkeit äußert bedrohlich sein. Wenn man frühmo
enn man frühmorgens aufsteht, berühren die Füße feuchte Böden. Eine Erinnerung daran, dass die Häuser jederzeit überschwemmt werden können. Santa Cruz del Islote ist ein Teil des San-Bernardo-Archipels und liegt ein paar Meilen vor der Küste Kolumbiens. Die Situation des Eilands ist typisch für tief gelegene Gegenden weltweit, die zu den Opfern gehören werden, wenn der Klimawandel weiter an Fahrt aufnimmt.„Es ist sehr besorgniserregend. Der Meeresspiegel steigt langsam, aber unablässig. Wir müssen damit rechnen, dass unsere Inseln verschwinden“, sagt Adrián Caraballo, ein junger lokaler Klimaaktivist. Kürzlich sei man auf Santa Cruz del Islote, einer der am dichtesten besiedelten Kleininseln der Welt, auf den Straßen durch knöcheltiefes Wasser gewatet.Die zehn Inseln des Archipels sind Teil eines geschützten Naturparks und beherbergen etwa 1.500 Menschen. Sie liegen inmitten von Korallenriffen und salztoleranten Mangrovenbäumen, die über der Wasserlinie wachsen. Da erwartet wird, dass der globale Meeresspiegel bis 2050 um bis zu 30 Zentimeter steigt, dürfte das die Existenz der Inseln und damit die Lebensgrundlage der Bevölkerung von San Bernardo akut gefährden. Um zu leben, sind die Menschen auf Küstenfischerei und Tourismus angewiesen.Doch machen sich schon jetzt angesichts der Klimakrise eine fortschreitende Erosion, steigende Wassertemperaturen und eine veränderte Biodiversität des Meeres bemerkbar. Diese führt zu dezimierten Fischbeständen, die unverzichtbar sind, um die Familien hier zu ernähren. „Was sich abzeichnet, ist bedauerlich, weil neben dem menschlichen Faktor auch ein wichtiges ökologisches Erbe verloren geht“, meint Juan Manuel Díaz, der Direktor der Fundación MarViva Colombia, eines regionalen Naturschutzverbandes. „San Bernardo ist heute eine völlig andere Welt als das, was man noch vor fünf oder vier Jahrzehnten kannte.“Das Schicksal der Insel Maravilla ist paradigmatisch für die missliche Lage des Archipels insgesamt. Das ein Hektar große Terrain war einst wegen seiner Schwärme wandernder Albatrosse und Pelikane als „Vogelinsel“ bekannt und erhielt staatlichen Schutz, damit die natürlichen Bedingungen möglichst erhalten blieben. Seit 2017 ist das Eiland verschwunden, es wurde vom Meer verschluckt und zum Schnorchelparadies für Touristen. Frühzeitig hatte es Warnungen gegeben und ein Vorspiel, das Jahrzehnte zurücklag. In den frühen 1960er Jahren verschluckte das Meer bereits die winzigen Inseln Carivanita und Pérdida. Nach den Studien von Naturschützern und Wissenschaftlern wird Maravilla nicht das letzte Gebiet des Archipels San Bernardo sein, das abgeschrieben werden muss. „Die Zukunft dieser Inseln besteht im Verschwinden. Eine Schande“, findet Juan Manuel Díaz.Starke Winde, sich verändernde Gezeiten, wahlloses Abholzen von MangrovenÜber den Gestaden der Panda-Insel schwebt gleichfalls die Endlichkeit des Daseins. Die Einheimischen befürchten, dass sie innerhalb von zehn Jahren entschwunden sein könnte. Panda Island zerfiel bereits in zwei Teile, als ein steigender Wasserpegel in das Labyrinth der Mangroven eindrang und es in Mitleidenschaft zog. Um den Reigen der Untergänge abzuschließen: Die Insel Múcura, die größte des Archipels, kämpft mit ständigen Überschwemmungen, die Gebäuden wie einer Grundschule für 60 Schüler zusetzen. Seit Langem fürchten die Inselbewohner um den Bestand der Lehranstalt, die schon einmal fast zusammengestürzt wäre und gerettet wurde.Viele glauben, dass man Lehrer und Schüler bald endgültig evakuieren muss. Längst wurde für Múcura die Küstenzone zum kritischen Sektor, in dem die für das Archipel größte touristische Infrastruktur mit mehreren Hotels entlang einer zurückweichenden Küste liegt. Starke Winde, sich verändernde Gezeiten und das wahllose Abholzen von Mangroven – lebenswichtig für den Küstenschutz – beschleunigen, was man nur als Niedergang bezeichnen kann. In einem Report der lokalen Administration wurde schon im Jahr 2014 prophezeit, dass 45 Prozent der Küsten von San Bernardo nicht zu halten sein würden. Dem Dokument war zu entnehmen, dass bis 2040 22 bis 25 Prozent der Fläche von Múcura geflutet seien. In den neun Jahren seither musste davon nichts zurückgenommen werden.„Der Klimawandel hat erhebliche Auswirkungen für die wirtschaftliche Lage kleiner, fast winziger Inseln, wenn die sie umgebenden Korallenriffe in Mitleidenschaft gezogen werden“, urteilt Sandra Vilardy, eine prominente Ökologin und bis vor Kurzem Kolumbiens Vizeministerin für Klimaschutz. „Was geschieht, wirkt sich nicht nur auf die Ernährungssicherheit der Menschen aus, auch auf ihr seelisches Wohlergehen. Die Inseln verschwinden in aller Unwiderruflichkeit, sodass Einheimische, Wissenschaftler und Umweltschützer der Regierung in Bogotá nicht zu Unrecht vorwerfen, das Problem zu ignorieren. Irgendwann ist es endgültig zu spät, die Situation retten wollen.“Zu allem Überfluss leidet San Bernardo an sich überschneidenden administrativen Kompetenzen. Es untersteht der staatlichen Naturparkbehörde, wird aber von der 80 Kilometer entfernten Stadt Cartagena auf dem Festland verwaltet. Sandra Vilardy findet, dass die Verwaltungsineffizienz den Inseln schadet, weil es gerade in Fällen wie diesen darauf ankommt, dass der Staat Prioritäten setzt. „Warum hat das Umweltministerium keine direkte Zuständigkeit, abgesehen vom Erarbeiten gewisser Richtlinien? Für Inselgebiete wie San Bernardo und deren Behörden ist es ausgesprochen problematisch, wenn die eigentliche Gerichtsbarkeit auf dem Festland liegt, sodass ein solches Archipel Schwierigkeiten hat, in die öffentliche Verwaltung angemessen integriert zu werden.“Betonwände zum Schutz, mitten im NaturparkVersuche der Einheimischen, das drohende Unheil abzuwenden, vor allem abzuwehren, verstoßen gegen Umweltvorschriften, da man nicht so ohne Weiteres in die geschützte Landschaft eines Naturparks eingreifen darf. Doch viele Inselbewohner sagen unumwunden, sie hätten keine Wahl, und bauen rudimentäre Bollwerke, um sich gegen Wasser und Wellen zu schützen. Zusehends wird auf Betonwände zurückgegriffen. Adrián Caraballo, der Umweltaktivist, gehört zu denen, die stattdessen auf die Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern setzen. Sie tun das in der Hoffnung, den Inseln so zu helfen, die steigenden Gezeiten und unterspülten Küsten zu bekämpfen. „Wir müssen die Erosion unseres Lebensraumes durch die Anpflanzung von Mangroven aufhalten. Wenn wir dafür staatlichen Beistand hätten, wäre viel gewonnen, aber diese Unterstützung haben wir einfach nicht.“Dennoch hofft Adrián Caraballo weiterhin auf einen Ausweg. Juan Manuel Díaz, Direktor der Fundación MarViva, neigt in fatalistischer Stimmung zu naheliegenden Szenarien. „Langfristig bleibt uns nichts anderes übrig, als die Inseln zu verlassen. Gebraucht werden Evakuierungspläne. Wir haben noch Zeit, die zu entwickeln, bevor die Tragödie unausweichlich wird.“Placeholder authorbio-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.