Kein Kunstwerk existiert im luftleeren Raum. Aber stellt man sich für einen Moment vor, das elfte Album von Sleater-Kinney – Evergreen-Duo der singenden Gitarristinnen Carrie Brownstein und Corin Tucker – erschiene ohne Kontext, ohne den Ballast dessen, was im Leben so passiert – seine zehn Songs kämen vielleicht anders an.
Vielleicht würde die Schärfe des pointillistischen Post-Punks überschwängliches Lob ernten, oder das Knistern der Melodien. Little Rope fühlt sich jedenfalls wie eines der straffsten und konzentriertesten Werke von Sleater-Kinney an, bei dem jedes knackige Gitarrenriff und jeder ausdrucksstarke Gesang in einem strukturierten Relief präsentiert wird, das sich von der Umgebung abhebt wie der erhabene Druck auf einer altmodischen Bankkarte.
Little Rope rast dahin, als hätte es keine Zeit zu verlieren. Der offensichtlichste Popsong des Albums, Needlessly Wild, erzählt fröhlich von jemandem – wahrscheinlich einer Frau –, der sich durch erratisches Verhalten selbst befreit.
Trotz einer Pause von 2006 bis 2014 sind Sleater-Kinney eine der beständigsten Bands, die aus der Riot-Grrrl-Bewegung im Pazifischen Nordwesten der USA hervorgegangen sind. Sie setzen sich seit Langem für unbequeme, selbstbestimmte Formen der Selbstdarstellung ein. „Get up, girl, and dress yourself in clothes you love for a world you hate“, singt Brownstein in Dress Yourself, einem Song, der Menschen ermutigt, die sich im Zustand der Dauerkrise durch ihren Alltag schleppen. Six Mistakes hingegen hinterfragt, was die Realität ausmacht. Die mäandernde Gitarre verrät einen stalkerähnlichen Plot. „Is it all in my head, the life I’m living?“
Willkürliches Leben mit Sleater-Kinney
Ein Großteil von Little Rope war bereits skizziert, bevor ein entscheidendes Ereignis das Werk weiter prägte: der Tod von Brownsteins Mutter und Stiefvater bei einem Autounfall im Herbst 2022. Eine unmittelbare Folge ihres Verlustes ist, dass die Körperlichkeit des vertrauten, erdenden Gitarrenspiels für Brownstein entscheidend wurde, um die Nachwirkungen der Trauer zu bewältigen. „Am Leben zu sein, fühlt sich sehr willkürlich an“, sagte sie kürzlich im Interview mit dem Guardian.
Schmerz und Verwirrung sind also die bestimmenden Merkmale von Little Rope, aber nicht die einzigen Geschmacksnoten. Das trotzige Untidy Creature, der Schlusstrack, ist eine Reaktion auf die Aufhebung des Urteils Roe vs. Wade durch den Obersten Gerichtshof der USA im Jahr 2022, wodurch das Recht auf Abtreibung auf Bundesebene aufgehoben wurde.
Say It Like You Mean It könnte Sleater-Kinneys bisher mainstreamigster Song sein, ein vollmundiger Abschied von der Liebe, dessen von Brownstein inszeniertes Video mit der Schauspielerin J. Smith-Cameron (bekannt als Gerry Kellman aus Succession) auf die Unsichtbarkeit älterer Frauen sowie die Verzweiflung darüber, in einer Beziehung nicht gesehen zu werden, anspielen könnte.
Entscheidend ist jedoch, dass diese zehn Songs nicht traurig sind. Don’t Feel Right ist ein echter Knaller, ein Gute-Laune-Song über das Gefühl, sich schlecht zu fühlen, der in seiner trügerisch beschwingten Aufzählung von Dingen, die man tun kann, ausgerechnet an Alright der britischen Band Supergrass erinnert. Es gibt keinen richtigen Weg zu trauern, aber es wirkt, als ob Schock und Trauer Sleater-Kinney nur dazu gebracht haben, produktiv ihre Zeit zu nutzen und Prioritäten zu setzen.
Little Rope Sleater-Kinney Loma Vista 2024
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