Teeplantagen auf Sri Lanka: „Die Menschen dort arbeiteten oft wie Sklaven“
Erbärmliches Dasein Handelszertifizierer wie Fairtrade und Rainforest Alliance sind alarmiert. Nun stellen erste Unternehmen die Kooperation mit den Teelieferanten in Südasien wegen der prekären Arbeitsverhältnisse in Frage oder ein
Pro Tag müssen die Pflückerinnen 18 Kilo Teeblätter ernten. Dafür bekommen sie umgerechnet drei Euro
Foto: Rebecca Conway/Getty Images
Zuerst waren es Fairtrade und Rainforest Alliance, die sich alarmiert zeigten. Die beiden globalen Handelszertifizierungssysteme waren nach ihren Recherchen überzeugt, dass sich auf zehn der von ihnen untersuchten Plantagen die Teepflückerinnen nicht ausreichend ernähren können und in überaus ärmlichen Verhältnissen leben. Sie würden den Eigentümern der Ländereien zu Recht vorwerfen, sie in der derzeitigen ökonomischen Misere Sri Lankas nicht ausreichend zu unterstützen.
Die Preise für Essen, Benzin und Medikamente sind bereits im Vorjahr stark gestiegen, ohne dass die Löhne angepasst worden wären. In einigen Fällen sind Arbeiterinnen ihre Löhne gänzlich verweigert worden. Bei den anschließenden A
23;enden Auseinandersetzungen um das Geld werden die Frauen häufig beschimpft oder beleidigt. Einige Pflückerinnen haben so wenig Geld, dass sie Mahlzeiten überspringen müssen und gezwungen sind, ihre Kinder arbeiten zu schicken, um über die Runden zu kommen.Nach Angaben des britischen Teeproduzenten Tetley wurde deshalb bereits die Zusammenarbeit mit einigen großen Plantagen ausgesetzt und eigene Untersuchungen wurden angekündigt. Das Unternehmen Ekaterra, zu dem Lipton und PG Tips gehören, steht wegen der Missstände in Kontakt mit der Rainforest Alliance. Auch Yorkshire Tea, eine weitere Firma, die Tee aus Anbaugebieten in Sri Lanka bezieht, hat erklärt, mit Plantagenbesitzern im Gespräch zu sein.Blutegeln ausgesetztMehr als 300.000 Menschen arbeiten auf Sri Lanka als Pflanzer, Gärtner oder Pflücker von Tee, der vor allem im bergigen Hochland wächst und geerntet wird. Im Vorjahr exportierte die Branche Waren im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro.Bereits zu diesem Zeitpunkt mussten die Arbeiterinnen und Arbeiter mit einer Wirtschaftskrise kämpfen, die von einem Verbot chemischer Düngemittel im Jahr 2021 ausgelöst wurde. Dies führte zu einem Rückgang der Tee-Ernte, sodass die Produktion 2022 auf den niedrigsten Stand seit 26 Jahren fiel. Die Arbeiterinnen mussten nun mindestens 18 Kilo am Tag pflücken, um 1.000 Sri-Lanka-Rupien (etwa drei Euro) zu verdienen. Ein Betrag, der 2021 von einer nationalen Tarifkommission festgesetzt wurde. Wer weniger pflückt, erhält pro Kilo jeweils weniger Geld.Erschwerend kam hinzu, dass durch die Abwertung der Rupie der durchschnittliche Tageslohn in der Teebranche in 24 Monaten zwischen März 2021 und März 2023 real von umgerechnet 4,53 auf 2,55 Euro gesunken ist. Eine Rettungsaktion des Internationalen Währungsfonds im März ließ den Wert der Rupie wieder leicht auf etwa drei Euro ansteigen. Aber durch die Inflation, die im September 2022 mit 86 Prozent ein Allzeithoch erreichte, blieben die Lebensmittelpreise trotzdem hoch.So schätzte das UN-Welternährungsprogramm zu Jahresbeginn, dass 44 Prozent der Familien in den Teeplantagengebieten nicht ausreichend zu essen haben. Diese Quote ist doppelt so hoch in urbanen Regionen. Dabei wird von manchen Plantagenmanagern versucht, den Lohn der Teepflücker zusätzlich zu drücken. „Selbst wenn wir gute Blätter pflücken, behaupten sie, dass der Tee nicht gut genug ist und nicht verwendet werden kann“, klagt die 33-jährige Lakshman Devanayagie. „Wenn wir ihnen fünf Kilo Teeblätter geben, bezahlen sie uns nur für zwei oder drei. Wenn wir uns beschweren, heißt es: ‚Wir tun, was man uns sagt, also warum tut ihr nicht, was man euch sagt?‘ Manchmal habe ich Selbstmordgedanken.“Placeholder infobox-1Rangasamy Puwaneshkanthy lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in den Hügeln oberhalb einer Teeplantage. Sie erzählt, dass sie sich Geld leihen und regelmäßig Mahlzeiten auslassen müsse. Häufig werde auf Hygieneartikel verzichtet, um den Kindern Essen kaufen zu können. „Wenn wir nichts an Lebensmitteln zu Hause haben, dann habe ich auch nichts für die Mittagspause dabei“, so Puwaneshkanthy. „Ich erzähle dann dem Vorarbeiter, dass ich kurz nach Hause gehe, weil ich nicht zuschauen kann, wenn andere Leute essen.“Wegen des Arbeitsdrucks beim Pflücken habe sie keine Zeit, sich vor Blutegeln zu hüten, die in dem feuchten Klima häufig vorkommen. Im vergangenen Jahr hatte sie deswegen ein entzündetes Bein und musste eine Stunde weit zum Arzt laufen, weil sie sich eine Fahrt mit der Rikscha nicht leisten konnte. „Wenn wir Pause machen, um die Egel zu entfernen, fehlt uns am Ende ein Kilo. So denken wir, wenn wir arbeiten“, sagt Puwaneshkanthy. „Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Wir arbeiten und werden immer ärmer.“ Die 40-jährige Subramaniam Sathyavani, ebenfalls eine Pflückerin, beschreibt die drastische Lage noch dramatischer: „Wir geben unser letztes Blut, damit die Manager gut leben können.“Die meisten Arbeiterinnen sind Malayaga-Tamilen, Nachfahren von Arbeitsnomaden, die britische Kolonisatoren einst aus Südindien nach Sri Lanka brachten. Der größte Teil von ihnen wohnt bis heute in winzigen, einst von den britischen Kolonialherren errichteten Behausungen, die zu den Plantagen gehören.Einige davon haben kein fließendes Wasser und nur primitive Toiletten. Die Frauen sagen, sie seien gezwungen, ihre Notdurft im nahe gelegenen Fluss zu entrichten. Sie würden nicht auf die Toilette gehen, weil sie Angst hätten vor den Schlangen und Blutegeln im Wasser. Eine Frau behauptet, ihr Mann sei gestorben, nachdem er verunreinigtes Wasser getrunken habe.Natürlich ist niemand gezwungen, auf den Plantagen zu bleiben, doch gibt es im Hochland nur wenig anderweitige Beschäftigung, und viele der Pflücker und Pflückerinnen verfügen nur über eine beschränkte Schulbildung, sodass andere Jobs unerreichbar für sie sind. Die Kosten für die Unterbringung in den maroden Hütten werden ihnen vom Gehalt abgezogen.Es bleibt kaum Geld übrigWer sich die Lohnzettel anschaut, kann sich davon überzeugen, dass ein Abschlag von 50 Prozent keine Ausnahme ist. Mindestens einmal habe sie am Ende des Monats nichts mehr in der Hand gehabt, nachdem alles abgezogen war, was man ihr in Rechnung gestellt hat, klagt Puwaneshkanthy. „Wenn wir 23 Tage arbeiten, bekommen wir wegen der ganzen Abzüge nur den Lohn für 15 oder 16 Tage. Und wenn sie unsere Bezüge auch noch kürzen, dann ist kein Lohn übrig.“ Deshalb, so Puwaneshkanthy, sei sie die längste Zeit ihres Lebens Pflückerin gewesen und werde demnächst als Hausmädchen in Colombo anfangen, wo man sie mehr verdienen lasseLaut Jeevan Thondaman, Minister für Wasserwirtschaft und Siedlungsinfrastruktur, existiert auf Teeplantagen seines Landes eine „lupenreine Ausbeutung“. Es müsse deshalb darum gehen, „einen Weg zu finden, um Prozesse zu beschleunigen, an deren Ende die Leute hier eine menschenwürdige Arbeit bekommen. Ich glaube, dass wir das schaffen können, indem wir internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und Handelszertifizierer wie Flocert und Fairtrade einbeziehen.“ Einige Plantagen würden ausländische Organisationen betrügen, um als ethisch korrekt dazustehen und Finanzhilfen zu erhalten. Er denke, die Regierung müsse die Ländereien aufteilen und auch an Arbeiterinnen und Arbeiter verpachten. Dann könnten sie selbst Tee für ihren Verkauf anbauen.Fest steht, dass nach dem Fairtrade-Standard die Plantagenbesitzer verpflichtet sind, Löhne prinzipiell der Inflation anzupassen. „Fairtrade nimmt Vorwürfe von schlechter Behandlung sehr ernst“, heißt es in einem Statement der Organisation. „Die Lebensumstände von Arbeiterinnen in problematischen Bereichen zu verbessern, ist einer der Gründe, warum Fairtrade gegründet wurde.“ Ähnlich äußerte sich die Rainforest Alliance, die neun Plantagen überprüfte und erklärte: „Wir nehmen alle Missstände ernst und werden weitere Untersuchungen vornehmen. So gehen wir üblicherweise vor. Das Ergebnis entscheidet über das weitere Prozedere. Es könnte dazu führen, dass dadurch Zertifikate ausgesetzt oder entzogen werden.“Lalith Obeyesekere, Generalsekretär des Unternehmerverbandes Planters’ Association of Ceylon, der die jetzt in Verruf stehenden Plantagen vertritt, teilt mit, Behauptungen, wonach Arbeiterinnen durch Abzüge keinen oder so gut wie keinen Lohn mehr erhielten, seien „nicht belegt“. Alle Abzüge müssten autorisiert sein und dürften nie 50 Prozent des Einkommens übersteigen. Außerdem könnten die Betroffenen Beschwerde einlegen, wenn sie der Meinung seien, dass zu viel Geld einbehalten wurde. Die Mitglieder des Verbandes hätten aber nichts von Klagen berichtet. Mindeststandards seien 14 Tage bezahlter Urlaub und bis zu 14 bezahlte Krankentage ebenso wie Boni, dazu drei Monate bezahlter Mutterschaftsurlaub und Betreuung für Kinder bis zum Alter von fünf. Die Arbeiterinnen hätten zudem ein Anrecht auf Milchpulver, Mehl und Reis, die Kinder erhielten kostenlose Medikamente.Die Plantagen hätten ohnehin in eine verbesserte Versorgung investiert, unter anderem bei Wohnraum, Abwasser- und Sanitäranlagen. Die Branche versuche, alle Möglichkeiten auszuloten, um die schlimmsten Folgen der Wirtschaftskrise auf die Mitarbeiter abzuschwächen. Die Erhöhung der Löhne habe für den Verband Priorität. Aber Unternehmen könnten ihre Mitarbeiter nur aus Gewinnen bezahlen, so Lalith Obeyesekere, der ein Ende des aktuellen Bezahlungssystems verlangt. Vor knapp einem Jahr wies ein Berufungsgericht eine Petition von Plantagenbesitzern ab, die eine Lohnerhöhung, die es 2021 gegeben hatte, rückgängig machen wollten.Palani Digambaram, Chef der Nationalen Arbeitergewerkschaft und Parlamentsabgeordneter, sieht keine ausreichenden Verbesserungen. Er ist selbst auf Teeplantagen aufgewachsen. „Die Menschen dort arbeiteten oft wie Sklaven, ohne ausreichende Ernährung und angemessene Löhne“, sagt er. „Wenn es in Sri Lanka keine Teeplantagen gäbe, wäre ich glücklich. Müssen Menschen dort arbeiten, wo sie von Schlangen gebissen werden und Tigern oder anderen Gefahren ausgesetzt sind? Wo sie immer nur Teeblätter pflücken müssen? Ein ganzes Arbeitsleben lang.“Placeholder authorbio-1