Südsudan: Die Hauptstadt Juba will einmal zu den Boomtowns in Afrika gehören
Aufstieg Juba erzählt in vielerlei Hinsicht die Geschichte des Südsudan – vom Krieg um die Unabhängigkeit wie den Folgen des bewaffneten Konflikts zwischen 2013 und 2018. Danach erlebte die jüngste Hauptstadt der Welt einen neuen „Goldrausch“
Juba, die jüngste Hauptstadt der Welt, wächst seit Jahren – ebenso wie die krassen sozialen Unterschiede
Foto: Jim Huylebroek/NYT/Redux/laif
Wasserkocher dampfen auf Holzkohleöfen in der kühlen Morgenluft. Es ist ein regnerischer Tag in Juba, der Hauptstadt des Südsudan. Nur wenige Kunden warten an der Teestube, die an einer Kreuzung zwischen einer asphaltierten Durchgangsstraße und einer Schlammpiste liegt. Letztere führt zu einem der größeren Wohnquartiere. Die Häuser dieses Viertels sind hauptsächlich an die Gesandten von Nichtregierungsorganisationen (NGO) vermietet.
Für das kleine Lokal kümmert sich die 19-jährige Kiden Mary um die Bewirtung der Gäste. Sie sei nach Juba gekommen, „um das Geld zu suchen“, sagt sie und gießt starken, mit Ingwer gekochten Kaffee durch ein Sieb. Sie versorge ihre Mutter und Geschwister zu Hause in Kajo Keji, einem
und Geschwister zu Hause in Kajo Keji, einem Dorf 120 Kilometer weiter im Süden. Das liege fast an der Grenze zu Uganda. „Manchmal arbeite ich bis 21 Uhr abends. Das Wenige, das ich bekomme, schicke ich an meine Leute.“ Eine häufige Geschichte in Juba, das eine Stadt der Zuwanderer ist. Der Mangel an Sicherheit im ländlichen Südsudan, einer Region von der Größe Frankreichs mit einer Bevölkerung von gut zwölf Millionen Menschen, zwingt viele dazu, in der Hauptstadt Fuß zu fassen.Zusätzlich strömten seit April, als im benachbarten Sudan ein Krieg ausbrach, mehr als 6.000 Flüchtlinge nach Juba. Die meisten landeten in Gorom, einem vor Jahren eingerichteten Camp für Menschen aus Äthiopien. Die Gestrandeten können kaum ernährt werden und sind auf den Beistand der städtischen Gemeinschaft angewiesen. Die Not kann dazu führen, dass die Jüngeren aufbrechen, um nach Norden, in den Sudan, zurückzukehren oder sich nach Libyen zu wenden.Getönte ScheibenJuba erzählt in vielerlei Hinsicht die Geschichte des Südsudan. Das Land löste sich im Juli 2011 vom Nordsudan, nach einer Zeit der Autonomie, die mit dem Ende des zweiten sudanesischen Bürgerkrieges – er dauerte von 1983 bis 2005 – begann. Um jene Zeit war Juba eine kleine Garnisonsstadt der Sudanesischen Streitkräfte (SAF), die jahrelang von Rebellen der Südsudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) unter John Garang umzingelt war. Als der im Juli 2005, wenige Wochen nach seiner Vereidigung als erster Vizepräsident des Südsudan, bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam, nahm ganz Juba an seiner Beerdigung teil. Die ehemaligen Rebellen standen in der Stadt, die sie belagert, aber nie erobert hatten.Placeholder infobox-1Danach wurde die jüngste Kapitale der Welt zum Zentrum eines neuen „Goldrauschs“. Mit Ölgeldern und der finanziellen Hilfe westlicher Partner zog Juba gut bezahlte humanitäre Helfer, Händler, Investoren und Arbeitsmigranten aus Uganda, Kenia, Äthiopien oder Somalia an. Sie strömten in die Stadt, weil sie Anteil haben wollten am neuen Markt für importierte Waren und auf eine lukrative Beschäftigung in der Dienstleistungsbranche oder beim Aufbau der Infrastruktur rechneten. So galt Juba bis zum Ausbruch eines bewaffneten Konflikts Ende 2013 als eine der am schnellsten wachsenden Metropolen Afrikas. Als dann aber die Kämpfe zwischen den Anhängern des Präsidenten Salva Kiir und seines Stellvertreters Riek Machar tobten, wurde deutlich, wie fragil die staatlichen Institutionen im Südsudan noch waren. Sie hielten dieser Belastung nicht stand. Programme zum Aufbau des Landes, die teilweise von den Vereinten Nationen mitgetragen wurden, hatten über Nacht ausgesorgt.Erst 2018 wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet, um ein Desaster zu beenden, das fast 400.000 Todesopfer gefordert und ganze Bezirke Jubas verwüstet hatte. Zwei Jahre zuvor war der erste Anlauf gescheitert, eine Übereinkunft auszuhandeln. Statt sich zu versöhnen, schossen die Leibwächter der Rivalen Salva Kiir und Riek Machar vor dem Präsidentenpalast aufeinander. Es gab Hunderte von Toten. Die Einschusslöcher an den Gebäuden wurden erst beseitigt, als Papst Franziskus im Februar 2023 Juba besuchte.Nach 2018 begann die Stadt wieder zaghaft zu wachsen. Sie beherbergt nun eine Einheitsregierung, die Ende 2024 Wahlen abhalten will. Während die Instabilität in den ländlichen Regionen anhält, wartet Juba mit frisch asphaltierten Straßen, verbesserten Dienstleistungen und einem neuen Terminal am Airport auf. Es wurden Hotels eröffnet, dazu Klubs für die Kinder der Elite. Die Stadt wächst nach oben und dehnt sich aus. Er wisse, dass die Einwohnerzahl auf knapp 500.000 geschätzt werde, „tatsächlich ist sie doppelt so hoch“, erklärt Martin Simon Wani, Vorsteher des Stadtrats. Dabei seien die Vororte noch nicht einmal berücksichtigt, in denen sich inzwischen gut zwei Millionen Menschen niedergelassen hätten.In einer sich ständig verändernden Stadtlandschaft leben die sehr Reichen, die sehr Armen und eine selbstbewusste Mittelschicht nebeneinander. Glänzende, teure Autos mit getönten Scheiben fahren auf den Straßen an alten Frauen vorbei, die Steine zerkleinern, um sie in Säcken zu verkaufen. Hirten treiben ihr Langhornvieh mit Stöcken durch Wohngebiete, und am Wochenende finden auf öffentlichen Plätzen Hochzeiten mit Zelten, Musik und Tanz statt. In Juba treffen sich südsudanesische Unternehmer und NGO-Mitarbeiter auf Hoteldächern und in teuren Restaurants zum Lunch. Sie gönnen sich einen Blick hinunter auf den Weißen Nil. Und hinter hohen Zäunen, die mit Stacheldraht bewehrt sind, lagern die Gesandten humanitärer Organisationen um ihre Pools.Placeholder image-1Juba wurde einst von britischen Kolonisatoren gegründet und war insofern eine Schöpfung von Fremden, was man heute zu verdrängen sucht. Wahrzeichen aus der Kolonialzeit werden zerstört oder umgewidmet wie das von Griechen erbaute Juba-Kino, das nun als Kirche dient. Die indigene Bari-Gemeinschaft verlor ihr angestammtes Terrain an mächtige Militärs, sodass gewalttätige Auseinandersetzungen drohten. Weil Derartiges vermieden werden sollte, gab es ursprünglich den Plan, unmittelbar nach der Unabhängigkeit eine neue Hauptstadt in Ramciel, 250 Kilometer weiter nördlich, zu gründen. Es ist nie dazu gekommen.Asyl auf dem FriedhofGumbo-Sherikat am Ostufer des Nils ist heute ein dicht besiedeltes Revier. Zehntausende – sie stammen größtenteils aus der Region Bor – haben sich in einer Gegend niedergelassen, die von der Stadtverwaltung als „ländliche Region“ bezeichnet wird. An der neuen Autobahn Juba–Bor hat ein Viehmarkt sein Domizil. Dort gehört der 52-jährige Maguen Aleth Alith, ein von den Händlern gewählter Sprecher, zu denen, die von Jubas Aufstieg profitieren. „Die Nachfrage nach Rindern steigt, die hergetrieben werden müssen. Es sollte daher keine Probleme auf den Straßen geben.“ Er handele seit Jahrzehnten mit Vieh. Wenn es zu militärischen Konflikten kam, habe das stets den Geschäften geschadet. Als noch um die Souveränität des Südsudan gekämpft wurde, habe man häufig der Armee aus dem Norden ausweichen müssen.Unter einem Regenschirm am Straßenrand in Gumbo-Sherikat erinnert sich Simon Anei Madut (37) aus Warrap in der nordwestlichen Region Bahr el Ghazal, als Teenager mit der SPLA „in der Nähe von Juba“ gewesen zu sein. Heute sei er immer noch Soldat in der Regierungsarmee, sein Gehalt aber „viel zu niedrig“. Er müsse Holzkohle verkaufen, um das Schulgeld für seine Kinder bezahlen zu können. Sich nach der Decke strecken, das müssen gleichfalls die Frauen auf dem Fischmarkt des Viertels. „Früher verrottete unsere Ware“, sagt Esther Yom Mabior. Also gründeten sie eine Genossenschaft und erwarben gebrauchte Gefrierschränke, um den frischen Fisch vor dem Verderben zu bewahren. „Unsere Ehemänner sind entweder tot oder Trunkenbolde“, sagt Martha Angeth ungerührt. „Wir stehen auf dem Markt, um der Armut zu entkommen, aber das ist schwer.“ Das grüne Blätterdach der Mangobäume beschirmt halbfertige Wohnblöcke.Dieser Stadtteil besteht aus festen Gebäuden, Lehmhäusern und Unterkünften, über die Plastikplanen gespannt sind. Hier, in der Nähe des Konyo-Konyo-Marktes, findet sich eines der Lager, in denen Tausende von Binnenvertriebenen aushalten. Chol Anok unterrichtet dort an einer in den 1970er-Jahren erbauten Schule. „Alle Stämme des Südsudan sind hier“, meint er, „die meisten wurden durch den Krieg ab 2013 vertrieben“. Wegen des schmalen Gehalts müsse man sich zum Unterrichten an einer öffentlichen Schule berufen fühlen. Die meisten Lehrer suchten bei den ausländischen NGOs nach einem Job. Er tue das nicht, so Chol Anok. „Wir müssen Kinder erziehen, damit sie diese Nation verändern. Bildung hilft, den Frieden zu sichern. Eines Tages wird der Südsudan eines der besten Länder Afrikas sein.“ Vorerst jedoch wird das Leben für die Menschen rings um den Konyo-Konyo-Markt härter. Lebensmittel werden teurer. NGOs und UN-Organisationen kürzen Programme aus Geldmangel. Bisher wurden 2023 nur 45 Prozent der für den Südsudan als nötig eingestuften humanitären Hilfen finanziert, obwohl die Ernährungsunsicherheit noch nie so hoch war. Der 32-jährige Joseph Gurloch war Kindersoldat bei der SPLA, wurde 2002 im Kampf verwundet und hat jetzt eine Beinprothese. „Wir leben vom Müll, sammeln Plastikflaschen und verkaufen sie.“ Manchmal würden auch ein paar Essensreste der Stände auf dem Konyo-Konyo-Markt abfallen.Wenn die wenigen Hilfen, die sie jeden Monat erhalten, zur Neige gehen, ist es für die Menschen, die auf dem Hai-Malakal-Friedhof leben, eine Tortur, über die Runden zu kommen. „Das Leben hier ist hart“, sagt die 17-jährige Joyce Sunday Juan, bekleidet mit einem karierten Rock und einem BH, darüber ein Lawa, ein geblümtes Stück Stoff, das über die rechte Schulter gelegt ist. „Manchmal essen wir und manchmal eben nicht.“ Vor den Konflikten und ständigen Viehdiebstählen in ihrer Heimat rund um das Dorf Terekeka geflohen, lebt sie nun zusammen mit anderen zwischen oder auf den Gräbern. Neben dem Friedhof liegen zwei in den zurückliegenden Jahren eröffnete Fünf-Sterne-Hotels. „Wir wurden vergessen“, sagt der neben Joyce stehende James Jelle Pitia. „Ohne Waffen und ohne Geld hat man in Juba keinen Boden unter den Füßen.“Placeholder authorbio-1
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