Hands-On im Bundestag: Fehlt es an Unternehmergeist im Parlament?
Demokratie Nur zehn Prozent der Abgeordneten waren Unternehmer:innen, bevor sie in die Politik gingen. Wir haben drei von ihnen befragt, welche Folgen das für politische Entscheidungen hat
Ungefähr so sähe der Bundestag aus, sollten nur die Arbeiter, Erwerbslosen und Unternehmer auf ihrem Abgeordnetenstuhl Platz nehmen
Foto: K-H Spremberg/dpa
Ampelstreit im Endlosmodus, die Union in der Totalopposition, an den Rändern neue Parteien des Unmuts – das politische Klima im Land war selten so schlecht. Dabei ist der 20. Bundestag mit seinen 736 Abgeordneten das größte demokratisch gewählte Parlament der Welt. Aber viele Politiker machen noch lange keine bessere Politik …
Ein Vorwurf, der immer wieder zu hören ist: Zu viele Berufspolitiker fokussieren sich in erster Linie auf ihre Wiederwahl und nicht auf die dringend nötigen politischen Lösungen in Krisenzeiten. „Ich erlebe auch Kollegen“, sagt Volker Redder (FDP) gegenüber dem Freitag, „die fast nur in ihrer Blase unterwegs sind, die nur in Vier Jahres-Zyklen denken. Nachhaltige Lösungen dauern aber bekanntlic
ern aber bekanntlich oftmals länger als die recht kurzen vier Jahre einer Legislaturperiode.“Redder kam 2021 mit 62 Jahren als Neuparlamentarier in den Bundestag, er ist kein Berufspolitiker, sondern ein Politiker mit Beruf. Redder ist Diplom-Informatiker, in den 1990er Jahren hat er mehrere IT-Unternehmen gegründet, seit 2000 ist er geschäftsführender Gesellschafter einer Softwareentwicklungsfirma in Bremen. Solche wie ihn, Unternehmer, Selbstständige, Freiberufler, gibt es im aktuellen Bundestag kaum noch, sie machen weniger als zehn Prozent der Abgeordneten aus. Am stärksten zugenommen (um gut 45 Prozent) hat bei der letzten Wahl der Anteil der Angestellten von Parteien und Fraktionen. Jene Berufspolitiker also, von denen es gefühlt eh schon zu viele gibt. Würde der Bundestag bessere Politik machen, wenn mehr Unternehmer im Parlament säßen? „Auf jeden Fall“, glaubt Redder. „Ich habe im Job gelernt, mich und meine Entscheidungen stetig zu hinterfragen: Liege ich noch richtig? Muss ich die Strategie ändern, damit das Unternehmen nicht gegen die Wand fährt?“ Analog gelte das für die Politik. „Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, damit die Menschen in unserem Land vorankommen, die Wirtschaft brummt und wieder Optimismus und Zuversicht zu den tragenden Säulen unserer Gesellschaft werden?“ Früh musste er feststellen, dass seine „Fachlichkeit“ als störend empfunden wurde. Nun breche er seine Expertise wieder auf einfache Botschaften herunter. Der ironische Unterton ist nicht zu überhören.Auch für die Grünen sitzt mit Katharina Beck, 41, seit 2021 eine Gründerin und Managerin im Bundestag. In den sieben Jahren davor war sie bei der Unternehmensberatung Accenture, zuletzt als Direktorin für die Nachhaltigkeitsstrategie. Davor hatte die Wahlhamburgerin eine Nachhaltigkeitsplattform gegründet. Schon beruflich habe sie sich immer für das Wirtschaften innerhalb planetarer Grenzen interessiert, erklärt Beck. „Wo gibt es falsche Anreize im System? Und wer macht das System? Die Politik! Ich möchte gerne an Stellschrauben drehen, Hebel und Regeln kann man in der Politik verändern.“ Sie sei eine „Überzeugungstäterin“ und sehe es als ihre Aufgabe an, die „Entfremdung“ zwischen Parlament und Wählern, die durch das Fehlverhalten einzelner Politiker oder zu großen Lobbyismus entstanden sei, „wieder zusammenzuführen.“ „Demokratie ist was Schönes“, sagt Beck. Diese Schönheit müsse man einüben, nach außen tragen und erklären, wie Politik funktioniert.Festival-Chef in CuxhavenDas nimmt auch Quereinsteiger Daniel Schneider, 47, von der SPD für sich in Anspruch. Auch er ist seit gerade einmal zweieinhalb Jahren im Bundestag. Schneider erzählt schnell von seinen zwei kleinen Kindern: „Für eine gute Zukunft muss sich gerade auch die Politik ändern, es braucht ein neues Verantwortungsbewusstsein“, sagt er. „In welchem anderen Beruf hätte ich dieselbe Wirkung?“ Als ihn die Cuxhavener SPD fragte, ob er bei der Bundestagswahl 2021 kandidieren wolle, musste er sich erst mal in einer internen Kampfkandidatur gegen zwei andere durchsetzen.Auch Schneider gehört zur neuen Ära der Abgeordneten, die eine erfolgreiche Vita als Unternehmer vorweisen können, bevor sie sich in die Bundespolitik wagten. Schneider gründete Event- und Tourismusagenturen und 2005 das Deichbrand-Festival in Cuxhaven, bei dem jedes Jahr bis zu 100 Bands vor 60.000 Zuschauern auftreten. Darunter internationale Acts wie Prodigy, Thirty Seconds to Mars oder die Toten Hosen. 16 Festivals hat Schneider schon als Geschäftsführer organisiert.Redder, Beck, Schneider – allen dreien nimmt man ab, dass sie keine Legislaturperioden absitzen, sondern etwas für das Land bewegen wollen. Aber worin genau unterscheidet sich das Mindset der drei Neulinge vom Gros der Kolleginnen und Kollegen, die aus dem Partei- oder Beamtenapparat hervorgegangen sind? „Ich würde mir mehr Pragmatismus wünschen, mehr hands-on“, fordert Redder. „Also eine gewisse Ingenieurmentalität, die lösungsorientiert Chancen ergreift.“ Stattdessen erlebe er oft das Gegenteil, vor allem bei Abgeordneten mit juristischem Hintergrund, von denen es viel zu viele gebe im Parlament und die „scheinbar das Problem mehr lieben als die Lösung“.SPD-Mann Schneider, Mitglied im Kultur- und Umweltausschuss, sagt, die berufliche Erfahrung habe ihn „freier im Denken“ gemacht. „In meinen Gesprächen mit Landwirten, Meeresschutzverbänden, Wissenschaftlern, Kulturveranstaltern geht es immer ums Machen.“ Die Denkweise in der Politik sei für ihn völlig neu gewesen. Konzepte, Strategien und Visionen waren auf einmal nicht mehr gefragt, sondern nur noch das legislative, gesetzgeberische Denken. „Natürlich kann man immer von den dicken Brettern sprechen, die einen am Vorwärtskommen hindern, aber diesen Geist muss man überwinden.“Katharina Beck zum Beispiel will vorwärtskommen. „Was uns in der Politik fehlt, sind einheitliche Kennzahlen, sogenannte KPIs, so wie in Unternehmen“, sagt die finanzpolitische Sprecherin der Grünen. „Ich habe bei uns ein Impact Assessment eingeführt, sodass der Effekt eines Gesetzesentwurfs für Wirtschaft, Ökologie und Soziales auch sofort bewertet werden kann.“In einer Demokratie sind nicht immer alle happy. Beck nennt das die „Akzeptanz des Imperfekten“. Sie fragt sich: „Ist es immer die Verantwortung des Politischen, wenn das gesellschaftliche Misstrauen zunimmt? Man kann immer noch mehr Barrieren abbauen, aber jeder und jede kann in die Politik gehen, kann sich einbringen. Demokratie heißt immer auch Eigenverantwortlichkeit. Sich immer nur zu empören, ist viel zu einfach.“Auch deshalb will Daniel Schneider 2025 noch einmal antreten. Er könne sich zwei oder sogar drei Amtszeiten vorstellen. Seiner Meinung nach wäre es auch „viel zu teuer, wenn es nach einer Amtszeit mit der ganzen Einarbeitung schon wieder zu Ende wäre und alles Gelernte verpufft“.Auch Volker Redder wurde gebeten, 2025 noch einmal zu kandidieren, er schwankt noch. „Wenn ich sehe, wie lange es in der Politik dauert, bis es nach zähen Verhandlungen oftmals mittelmäßige Kompromisse gibt, dann ist das nicht wirklich mein Ding.“ Von seiner Bucket List mit zehn konkreten politischen Zielen zu Beginn der Legislatur (unter anderem ein neues Online-Zugangsgesetz) habe er gerade einmal drei abgearbeitet. „Drei von zehn!“, wiederholt Redder enttäuscht. „Der Bundestag ist eben kein Unternehmen.“Die Langwierigkeit von Politik im Vergleich zur Wirtschaft nervt auch Katharina Beck, aber so autokratisch wie Unternehmen sollte eine Demokratie mit ihren so unterschiedlichen Interessen ganz bewusst nicht regiert werden, sagt sie. Es gebe noch viele Dinge in der freien Wirtschaft, auf die sie Lust hätte, so Beck. Anders als viele andere habe sie auch eine sehr einfache Exit-Option. „Wenn man aber Angst hat, vor dem Nichts zu stehen, dann führt das zu Abgrenzung, da ist bei manchen Parlamentariern schon was dran“, hat Beck beobachtet. Nicht so bei ihr. „Was mein Handeln angeht, bin ich sehr angstfrei. Ich kann Dinge aus mir selbst herausziehen und entscheiden. Das ist eine Kompetenz, die ich mir beruflich erarbeitet habe.“Placeholder authorbio-1
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