Erklärt Tabucchi- zum Tode eines verkannten Genies

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In den letzten anderthalb Jahren sind viele große Verluste im Geistes- und Kulturleben der Welt zu verzeichnen: Christa Wolf, Friedrich Kittler, Curt Meyer-Clason, Wyslawa Szymborska und nun auch er- Antonio Tabucchi. Ein Mann, von dem man in Deutschland eigentlich nie viel gehört hatte. Ab und zu erschien ein Artikel über ihn, doch die vielen Interviews, wie sie sein "Konkurrent" Umberto Eco deutschen Zeitungen gab oder gar Fernsehauftritte in diesem Land konnte Tabucchi nicht für sich verbuchen. War er doch eher der leise Teil der italienischen Geisteswelt, ein Mann, der ganz groß war, ohne groß in den Medien zu sein.

Mein allererster Roman, den ich im Leben las, war "Erklärt Pereira" von Tabucchi. Dieses kongeniale Werk um einen einsamen und alternden Redakteur, der Nachrufe schrieb, mit dem Bild seiner toten Frau redete, stets die gleiche Limo und die gleiche Mahlzeit im gleichen Restaurant einnahm und später den Tod eines jungen Revolutionärs in den eingenen vier Wänden durch die PIDE, die Geheimpolizei des portugiesischen Diktators Salazar erdulden musste sowie sein kongenialen Aufdecken der Machenschaften der Diktatur in der Öffentlichkeit und seine Flucht haben bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen. Selbstverständlich habe ich auch die Verfilmung mit Marcello Mastroianni gesehen, überigens sein letzter Film, ein halbes Jahr später war er gestorben. Andere Jugendliche lasen- wenn überhaupt- Stephen King, ich las Tabucchi. Man kann fast sagen, dass Buch hat mich erzogen, es war für mich das, was für junge Bildungsbürger der Jahrhundertwende Herder, Goethe oder Lessing waren. Natürlich spielte hier auch meine Affinität zu Portugal eine Rolle, sonst hätte ich den Roman niemals verstehen können. Noch zwei weitere Bücher dieses Autors habe ich gelesen, damit ist er der einzige, von dem ich mehr als ein Buch gelesen habe.

Tabucchi war kein Bestseller-Autor. Auf die "Spiegel-Bestsellerliste" hat er es meines Wisens nie geschafft und doch ist es gerade diese liquide Melancholie, die aus dem Menschen und seinem Werk quillt, die ihn wahrscheinlich einzigartig gemacht hat. Das hat er wohl von seinem Alter Ego Fernando Pessoa. Kein Italiener, kein Nicht-Portugiese, wohlmöglich kein Europäer kannte Pessoa besser als er. Er schrieb über Pessoa, er lehrte über Pessoa, ja er lebte Pessoa. Er war es, der Pessoa in Italien bekannt machte und der ihn- über Umwege- auch dem Deutschen Publikum näher brachte.

Erinnern kann ich mich noch an einen Szene aus einer Kultursendung bei Arte, die über Antonio Tabucchi berichtete. Da stand er- ganz klischeehaft- in seiner Wahlheimat Portugal am Strand, natürlich nicht zum Schwimmen gekleidet und sinnierte über das Leben und dessen Sinn. Kaum einer dürfte dieses, Samstags vormittags ausgestrahlte Stück gesehen haben und doch kann man darüber nicht unbedingt verärgert sein: man hatte das Gefühl, Tabucchi für einen Augenblick ganz für sich alleine zu haben.

Ähnlich wie Jose Saramago, der seine Heimat aus ideelen Gründen verlassen hatte, lebte Tabucchi zuletzt in Portugal im Exil, weil er die engstirnige und kleinbürgerliche Regierung des Cavaliere de Berlusconi nicht mehr ertragen konnte. Einfach hat man es ihm nicht gemacht, er wurde sogar physisch verfolgt. Ein einmaliger Vorgang in der modernen italienischen Demokratie der letzten 20 Jahre. Dass er in Portugal beigesetzt wird, zeigt, dass er sich in seinem Exilland wohler gefühlt hat, als in seiner eigenen Heimat.

Der am 23.09.1943 bei Pisa geborene Autor war ein Titan. Mit Eco kann er einem Atemzug genannt werden. Sein Tod reißt eine rießige Lücke in das Geistes- und Kulturleben des heute vom Cavaliere befreiten Italien. Wer kann ihm, wer will, wer wird ihm nachfolgen? Was bleibt, sind seine Bücher, seine Melancholie und sein geistiger Kampf gegen die schlechten politischen Verhältnisse in seinem Land. Und es bleibt Pereira, der jetzt vielleicht wieder in seinem Lokal sitzt, sein Schnitzel isst, seine Limo trinkt, sich die Treppe hochschleppt und mit dem Bildnis seiner Frau redet...

Ende.

27.03.2012

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