„Nur das Beste für die Kinder“: Leichter gesagt als getan, lohnt sich aber immer
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Scheidungen sind ein persönliches Drama, für Frauen wie Männer – und werden zum Armutsrisiko, wenn es sich um Mütter und Väter handelt. In rund 90 Prozent der Fälle bleiben die Kinder nach einer Trennung bei der Mutter, der Vater wird im Gegenzug zum Unterhalt verpflichtet. „Einer betreut, einer zahlt“, so lautet das Prinzip. Dies will Justizminister Marco Buschmann (FDP) nun ändern: Die Zahlungen der weniger betreuenden Elternteile (meist der Väter) will er an den Umfang ihrer Kinderbetreuungszeiten koppeln. Wer sein Kind 30 Prozent der Zeit betreut, also etwa jedes zweite Wochenende von Freitag bis Montag plus die Hälfte der Ferien, soll weniger Geld für den Kindesunterhalt bei der Mutter zahlen müssen.
Während
ein persönliches Drama, für Frauen wie Männer – und werden zum Armutsrisiko, wenn es sich um Mütter und Väter handelt. In rund 90 Prozent der Fälle bleiben die Kinder nach einer Trennung bei der Mutter, der Vater wird im Gegenzug zum Unterhalt verpflichtet. „Einer betreut, einer zahlt“, so lautet das Prinzip. Dies will Justizminister Marco Buschmann (FDP) nun ändern: Die Zahlungen der weniger betreuenden Elternteile (meist der Väter) will er an den Umfang ihrer Kinderbetreuungszeiten koppeln. Wer sein Kind 30 Prozent der Zeit betreut, also etwa jedes zweite Wochenende von Freitag bis Montag plus die Hälfte der Ferien, soll weniger Geld für den Kindesunterhalt bei der Mutter zahlen müssen.WXX-replace-me-XXX228;hrend manche erziehenden Väter ihr Unrecht endlich erkannt sehen, ist der Aufschrei unter vielen Feministinnen groß. Die Sache mit dem Kindesunterhalt nach einer Trennung ist tatsächlich kompliziert. Für beide Ex-Partner:innen fallen erst einmal höhere Kosten an, bei der Haushaltsführung und für die zwei getrennten Wohnungen. Die zusätzlichen Belastungen im Alltag müssen meist die Frauen tragen, die Familiensoziologie nennt das neudeutsch „Mental Load“: Es ist keineswegs nebensächlich, wer im Alltag ständig Präsenz zeigt, den Kindergeburtstag organisiert, die anstehenden Arzttermine im Blick hat und selbstverständlich auch die Vornamen sämtlicher Kita-Freunde und -Freundinnen kennt.Die finanzielle Situation und die Verteilung der Sorgearbeit für das Kind ist nach der Trennung also keineswegs gleich. Wenn die Kinder beim Auseinanderbrechen der elterlichen Beziehung noch klein sind, ist es für Mütter besonders schwierig, zwischen Betreuung und Erwerbstätigkeit zu balancieren. Dazu kommt, dass sich in den Parteiprogrammen seit Jahrzehnten fast nur Vorschläge finden, von denen vorwiegend die Mittelschicht profitiert: Kindergeld, Unterstützung beim Erwerb einer Immobilie, Steuerfreibeträge. Alleinerziehende haben von dieser Art der Förderung oft nichts. Denn fast die Hälfte von ihnen ist auf Hartz IV angewiesen, jetzt beschönigend als Bürgergeld tituliert. Alle weiteren Zahlungen werden auf diese Leistung angerechnet.Die Hälfte zahlt null UnterhaltSchon 2016 schlug eine Studie der Bertelsmann-Stiftung in Kooperation mit der Hochschule Darmstadt Alarm. Der Untersuchung zufolge erhielten Alleinerziehende fünfmal häufiger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II als Paarhaushalte mit Kindern. 42 Prozent von ihnen verdienten weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens und fielen damit nach den Kriterien der Europäischen Union unter die Grenze für Armut. Für Alleinerziehende ist das Armutsrisiko seit 2005 sogar um 6,6 Prozent gestiegen – in Familien, wo Vater und Mutter in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist es dagegen binnen eines Jahrzehnts um 11,7 Prozent gesunken. Die staatliche Sozialpolitik zielte eben stets auf die „intakte“ Familie: Vater, Mutter, Kind.Mehr als zwei Millionen Heranwachsende wohnen in Deutschland nur mit einem Elternteil zusammen, mindestens die Hälfte davon gilt als bedürftig. „Kinderarmut ist ganz wesentlich auf die Armut von Alleinerziehenden zurückzuführen“, sagt Jörg Dräger von der Bertelsmann-Stiftung. Denn immerhin 61 Prozent, also fast zwei Drittel der überwiegend betroffenen Mütter, sind erwerbstätig – meist in Teilzeit oder als Minijobberin, weil sie nur so Beruf und Familie vereinbaren können. Die Studie macht daher einen anderen Faktor für diese Armut von Kindern und Alleinerziehenden aus: ausbleibende Unterhaltszahlungen, allermeist von Vätern.Genau das ist die Quelle für den feministischen Ärger angesichts von Marco Buschmanns Plänen, dass miterziehende Väter weniger Unterhalt zahlen sollen: Sie gehen ein Stück an den sozialstaatlichen Rahmenbedingungen vorbei, in denen sich Mütter und Väter derzeit bewegen.Nach wie vor kosten Kitaplätze fast überall viel Geld, und die Betreuung von Kindern unter drei Jahren bleibt trotz Rechtsanspruch hinter den Planungen weit zurück. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung ergab, dass 57 Prozent der Eltern regelmäßig mit unerwarteten Schließungen oder verkürzten Öffnungszeiten in den Tagesstätten konfrontiert sind. Hauptgrund für die Ausfälle sind fehlende Fachkräfte. Bettina Kohlrausch, Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Stiftung, fordert deshalb bessere Personalschlüssel und eine Ausbildungsoffensive für Erziehungsberufe. Von einer verlässlichen Ganztagsbetreuung in Kindergarten und Schule kann jedenfalls vor allem in ländlichen Regionen der westlichen Bundesländer kaum die Rede sein.Neben der fehlenden Kita-Betreuung sind staatliche Regelungen wie das Ehegattensplitting, die Mitversicherung der Ehepartnerin bei der Krankenkasse und die Teilzeitfalle die anderen Faktoren, die zu dem Umstand führen: Mütter sind nach einer Trennung finanziell meist schlechter aufgestellt als Väter. Müssen Väter nun weniger Kindesunterhalt an die Mütter zahlen – und diese in der Folge selbst für mehr Unterhalt aufkommen –, ist dies im Hinblick auf die soziale Ungleichheit problematisch.Dabei ist das Anliegen des Bundesjustizministers im Kern sinnvoll, denn die Vaterrolle wandelt sich. Bislang gab es zwischen dem vorherrschenden „Residenzmodell“ (Kind lebt ganz überwiegend bei der Mutter, Väter haben gelegentliches Umgangsrecht und müssen zahlen) und dem von Väterrechtlern massiv eingeforderten „Wechselmodell“ (50:50-Aufteilung auf zwei Wohnsitze, die Unterhaltszahlung entfällt dann) kaum Mischformen. Das ändert sich: Viele Paare leben ein Modell, nach dem das Kind beispielsweise zehn Tage bei der Mutter und vier Tage beim Vater lebt. Ein Trennungsvater, der etwa die gesamten Sommerferien lang mit seinen Kindern zelten geht und diese umfassend versorgt, ist womöglich zu Recht verärgert, wenn er trotzdem für diesen Zeitraum das volle Unterhaltsgeld an die Mutter der Kinder überweisen muss.Auch das Wechselmodell, ist kein Allheilmittel: Gerade pubertierende Scheidungskinder wollen nicht mehr ständig pendeln, vor allem dann nicht, wenn die Wohnungen ihrer Eltern weit auseinanderliegen. Und auch hier spielt natürlich das Geld eine Rolle: Einkommensschwache Eltern könnten es sich schlicht nicht leisten, die komplette Infrastruktur doppelt vorzuhalten, also Kinderzimmer in zwei Wohnungen zu finanzieren, inklusive Möbeln.Im Streit über die Kinderbetreuung und ihre Finanzierung herrscht schon über die korrekten Bezeichnungen Uneinigkeit. Von „Alleinerziehenden“ sprechen die Verbände der (ganz überwiegend weiblichen) Betroffenen, von „getrennt Erziehenden“ dagegen die Vereine, die sich für mehr Väterrechte einsetzen. Mit „fragile families“, zerbrechlichen Familien, haben US-amerikanische Sozialforscher versucht, einen passenderen Begriff zu finden.Dabei trifft das Wort „allein“ durchaus häufig zu: Viele Frauen, gerade aus nichtakademischen Milieus, werden von ihren Ex-Partnern tatsächlich alleingelassen, nicht nur räumlich, auch finanziell. Die Zahlen sind eindeutig: Nur die Hälfte der Scheidungsväter zahlt überhaupt Unterhalt, nur 25 Prozent überweisen regelmäßig den gesetzlich vorgeschriebenen Betrag. In den anderen Fällen landen alleinerziehende Mütter dann auf dem Amt und der Staat springt mit dem Unterhaltsvorschuss ein, der inzwischen immerhin bis zum 18. Lebensjahr ausgeweitet wurde.Dass aus den Unterhaltsvorschüssen häufig eine dauerhafte Zahlung wird, liegt entgegen gängigen Vorurteilen aber nicht nur an manch zahlungsunwilligen Männern, die sich mit Tricks arm rechnen. Es gibt sie tatsächlich, die überforderten und auch finanziell überlasteten Väter. Sie verdienen schlicht nicht genug, um sowohl Unterhalt an die Mutter zu zahlen als auch eine eigene Kinder-Infrastruktur für Miete, Möbel, Essen und Freizeitaktivitäten zu finanzieren. Nach einer Trennung fallen schlicht viele Ausgaben doppelt an.Der „Mental Load“Aus dieser Perspektive zielt Buschmanns Gesetzentwurf in die richtige Richtung. In seinem Eckpunktepapier für ein kommendes Gesetzesvorhaben schlägt er vor, dass ein Vater, der sich mehr als 29 und weniger als 50 Prozent an der Kindesbetreuung beteiligt, bis zu 100 Euro weniger Unterhalt zahlen muss. Gemessen wird dies an der Zahl der Kindesübernachtungen pro Monat. Das wäre etwa der Fall, wenn das Kind jedes zweite Wochenende von Freitag bis Montag beim Vater übernachtet.Nun ist Kindesbetreuung nicht nur Übernachtung, und darüber, was Betreuungsarbeit eigentlich alles beinhaltet, gibt es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen. Männer überschätzen oft ihren Beitrag zur Familienarbeit, und der schon erwähnte „Mental Load“, das Gefühl, immer an erster Stelle für die gemeinsamen Kinder verantwortlich zu sein, bleibt oft an den Frauen hängen. Viele Alleinerziehende sind aus verständlichen Gründen irritiert, wenn ihre Ex-Partner, die zuvor die Sorgearbeit weitgehend an die Mutter delegiert haben, nach der Trennung plötzlich egalitäre Modelle propagieren.Diese Irritation betrifft auch die Frage, ob das Wechselmodell, wie die FDP es gerne hätte, „Leitmodell“ werden soll. 2017 hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass das Wechselmodell „im Sinne des Kindeswohls“ angeordnet werden kann. Trennungsväter und ihre Interessenverbände, wie etwa der „Väteraufbruch für Kinder“, fühlten sich danach motiviert, alte Umgangsverfahren und vor allem die öffentliche Debatte neu aufzurollen. Die Väterverbände möchten darauf aufmerksam machen, dass auch Männer, die nicht mehr mit ihren Kindern zusammenleben, weiter Verantwortung übernehmen wollen. So mancher Väterlobbyist favorisiert das Modell aber schon deshalb, weil es ihm die Zahlung des Kindesunterhalts erspart. Wissenschaftlich gestützte Erfahrungen mit dem Wechselmodell sind in Deutschland bislang kaum vorhanden. Die FDP, in der einige der Trennungsväter-Lobbyisten seit Jahren aktiv sind, macht nun Druck. In diesen Kontext ist auch der aktuelle Gesetzentwurf von Justizminister Buschmann einzuordnen.Das Thema Trennungsfolgen im Umgang mit den Kindern bleibt also ein zentraler geschlechterpolitischer Konflikt. Fest steht lediglich, dass sich mehr geschiedene Eltern für eine weiterhin gemeinsame Betreuung der Kinder entscheiden als in der Vergangenheit – oder sie zumindest positiv bewerten. Dass die Zeit der alternativlosen Devise „ganz oder gar nicht“, die Frauen zu „Alleinerziehenden“ und Männer zu puren Zahlvätern degradierte, zu Ende geht, ist trotz allem Für und Wider aber eine gute Nachricht.