Das im Nürnberger Filmhaus untergebrachte KommKino hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der aufregendsten Hotspots der hiesigen Cinephilie entwickelt. Zumindest, wenn man Cinephilie nicht als bildungsbürgerliche Kinokulinarik versteht – sondern wortwörtlich als Liebe zum Kino, zu dessen Trägermedium und Aufführtechnik, als Liebe zu Expeditionen in unerschlossene Nebenarme der Filmgeschichte unter Bedingungen des gemeinschaftlichen Schauens.
In Nürnberg findet der berüchtigte Hofbauer-Kongress statt, aber auch „Terza Visione“, das Festival für den italienischen Genrefilm, zu dem die Kuratoren Andreas Beilharz und Christoph Draxtra vergangenes Wochenende zum dritten Male luden. Die Vorführungen sind größtenteils ausverkauft, im Saal sitzen Filmverrückte aus ganz Deutschland. Man kennt sich aus dem Netz, tauscht sich über Blogs und auf Facebook aus. Klassenfahrtatmosphäre.
Der lange als bloßes Copycat-Kino abgetane, seit den 90er Jahren wiederentdeckte italienische Unterhaltungsfilm verfügt mit seiner viele Jahrzehnte und alle populären Genres umfassenden Geschichte über einen Quasi-Kanon: Vorführungen von Dario Argentos Vier Fliegen auf grauem Samt (1971), der seine stilistisch hochkonzentrierten set pieces durch humoristische Vignetten bricht, und Lucio Fulcis zwischen Großstadtschmutz-Melancholie und finsteren Sado-Attacken changierendem Killer von Manhattan (1982) rahmten das Festival als obligatorische Verneigungen vor den als Pulp-Auteurs rehabilitierten Italokino-Mavericks.
Daneben standen Kostbarkeiten, die aus italienischen Archiven herangeschafft wurden: Antonio Margheritis traumhaft schöner, in Deutschland nie gezeigter Gothic-Horrorfilm Danza macabra (1964) oder Vittorio Cottafavis mit stimmungsvollen urbanen Fotografien aufwartende Kameliendame-Bearbeitung von 1953. Salvatore Samperis grandioser Film Malizia, eine so böse wie witzige Abrechnung mit den Neurosen und Infantilismen des italienischen Patriarchats, könnte heute als 1973 im Berlinale-Wettbewerb gezeigte commedia sexy all’italiana ohne weiteres Kanon sein, wäre er zumindest hierzulande nicht weitgehend in Vergessenheit geraten – in Nürnberg stieß die Vorführung der exzellenten 35-mm-Kopie auf einhellige Begeisterung.
Tatsächliche Bergungsarbeiten gingen der deutschen Erstaufführung von Cristiana monaca indemoniata (1972) voraus. Erst hartnäckige Recherchen in italienischen Sammlerkreisen förderten nach Monaten eine farblich schöne, materiell stark angegriffene Kopie des bis dahin nur in räudigen VHS-Digitalisaten kursierenden Films zutage, die von Draxtra mühevoll per Hand restauriert und mit (digital eingeblendeten) deutschen Untertiteln versehen wurde. Mit blutendem Herzen: Die Kopie leidet am Essigsyndrom, einem unaufhaltbaren chemischen Zersetzungsprozess.
Der hierzulande noch zu entdeckende Regisseur des auf diese Weise wenigstens noch für wenige Vorführungen geretteten Films, der Kino-Ekstatiker Sergio Bergonzelli, entpuppt sich darin als Freund der Turbulenzen und der Körper in Momenten ihrer Entgleisung. In These-Antithese-Manier erzählt er die Geschichte einer jungen, lebenslustigen Frau, die nach einem unter Todesgefahr ausgestoßenen Schwurgebet erst als Nonne im Kloster landet, dann aber, da sie ihr Begehren nicht zügeln kann, als Prostituierte unter die Räder einer Gesellschaft kommt, die Frauen nur als Heilige oder Hure sehen kann.
Auf dem Fundament dieses Stoffs errichtet Bergonzelli keine Lars-von-Trier’sche Kinokathedrale, sondern schafft eine genießerisch im Camp schwelgende Exploitation-Poesie, die reich ist an irrsinnigen bis burlesken Ideen – insbesondere, was die Wahl kurioser Orte für den Beischlaf betrifft. Bei allem Wahnwitz lässt Bergonzelli indes keinen Zweifel daran, dass hier im Kern eine Tragödie erzählt wird.
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