Guck mal, wer da klopft

Nicht im Kino Adam Wingard, der Regisseur von „The Guest“, lässt sich als Teil einer neuen Bewegung im US-Indie-Genrefilm begreifen. Deren Filmsozialisation fußt auf der VHS-Zeit
Ausgabe 26/2015

Sehr plötzlich steht der Afghanistan-Veteran David (Dan Stevens) vor der Tür der Familie Peterson, die um ihren im Krieg gefallenen Sohn trauert. Der Fremde sei eng befreundet mit ihm gewesen und habe ihm versprochen, der Familie Beistand zu leisten. Mit seinem verflucht attraktiven Äußeren, dem Lächeln, dem gewitzten Blick, dem gedämpften Tonfall, der betonten Zurückhaltung und nicht zuletzt dem ritterlichen Einsatz seiner Muskelkraft, wenn es darum geht, die Kinder der Familie vor den Gefahren des Highschool- und Partylebens zu bewahren, spielt er sich rasch ins Herz der Familie. Spätestens als Veteran David allerdings auf Autopilot schaltet, Waffen besorgt und aufgescheuchte Militärs auftauchen, die irgendetwas von einem schiefgelaufenen Experiment faseln, realisiert Familie Peterson, dass sie gehörig in der Patsche steckt.

Adam Wingard, der Regisseur von The Guest, Jahrgang 1982, ist ein cinephiles Kassettenkind. Den Fundus seiner Filmsozialisation bildet weniger das Kino als vielmehr ein mit reichlich VHS-Kassetten ausgestattetes Jugendzimmer. Die Geschichte vom Veteranen, der überraschend an die Tür klopft, vom Fremden, der in eine kleine Stadt kommt und diese aufmischt, von der Kampfmaschine, gegen die kaum ein Ankommen ist, speist sich gleichermaßen aus Videokassettenklassikern wie Rambo, Halloween und Terminator samt deren exploitativen Epigonen, die nie in Kino-, sondern nur in Direct-to-Video-Filmen aufgetreten sind.

Damit lässt sich Wingard, der 2011 bereits mit dem tollen You’re Next die Motivik des Slasherkinos neu verlötete, als Teil einer neuen Bewegung im US-Indie-Genrefilm begreifen: Auch Ti West (Jahrgang 1980) und Jim Mickle (1979) verleihen ihren Filmen wie House of the Devil und der Lansdale-Verfilmung Cold in July die Aura eines wiederentdeckten Artefakts.

Anders als die clevere Filmphilologie eines Quentin Tarantino setzen Wingard und Kollegen nicht auf ein enzyklopädisches Referenzsystem samt medienmaterieller Retro-Bildeinschreibungen. Tatsächlich sind die Filme in ihrer Textur sehr heutig, eher um authentische Atmosphäre als um ironisches Zitatebingo bemüht – und genau darin von irisierender Melancholie. So ist auch das Engagement des Hauntologen Steve Moore für den Soundtrack naheliegend; dessen meditativ um sich zirkelnde Synthesizermusik nähert sich den 80er-Soundtracks von John Carpenter und Tangerine Dream bis zur Ununterscheidbarkeit an. Als hätte sich die Gegenwart von damals nie als Vergangenes sedimentiert, spukt sie weiter – in The Guest genauso wie in endlosen Youtube-Nostalgienächten.

Großartig ist, wie Wingards Film in seinen Action-Setpieces nicht nur kernige Genretugenden bedient, sondern sich am Ende auch auf der Bildebene ins abstrakt Enträumlichte einer kunterbunten Halloweenkirmes begibt. Als hätte Orson Welles den berühmten Glaskabinett-Showdown aus Die Lady von Shanghai ins Horrorkino verpflanzt, löst sich die Melancholie des Films hier spielfreudig auf – in Licht und Schatten, Farben und Nebel, Requisit und Kulisse, Konkretion und Verspiegelung, Genre-Existenzialismus und karnevaleske Postmoderne.

Dass The Guest hierzulande nicht ins Kino kommt, sondern direkt auf DVD und per VoD ausgewertet wird, spielt ihm schon zu: Wie eine übersehene Kostbarkeit sollte man diesen Film über des Grauens Einbruch ins Private in der halböffentlichen Zirkulationssphäre privatistischer Heimmedien entdecken.

Info

The Guest Adam Wingard USA 2014, 96 Min., Splendid/WVG, auf DVD/Blu-ray und Video-on-Demand (ca. 4 €)

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Geschrieben von

Thomas Groh

lebt in Berlin und schreibt über Filme.

Thomas Groh

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