Nimmersatter Sammler

Archiv Was ein Sparkassenangestellter im Mainfränkischen zur Kinogeschichte beitrug
Ausgabe 31/2017
Material will sortiert, organisiert und gebündelt sein
Material will sortiert, organisiert und gebündelt sein

Foto: Martin Bureau/AFP/Getty Images

Auf einer Landkarte der Cinephilie des 20. Jahrhunderts wären die Hotspots vermutlich rasch gesetzt: Paris, New York, Berlin, Oberhausen, auch München. Auf den Gedanken, die mainfränkische Ortschaft Marktheidenfeld bei Würzburg prominent zu platzieren, kämen indessen nur wenige. Und doch verfing sich hier über die Jahre, fernab der Debatten, die in den Metropolen rund ums Kino geführt wurden, ein filmhistorischer Schatz, der Auskunft gibt über den Bildungshunger der Nachkriegszeit, über die Sehnsucht in der Provinz nach einem Stück der großen Welt: die Sammlung Heimo Bachstein.

Weite Teile dieses Schatzes hat die Bauhaus-Universität Weimar geborgen. Ein von Volker Pantenburg geleitetes Seminar unternahm erste Expeditionen ins Material – das Resultat waren eine Ausstellung sowie dieser von Ricarda Löser hervorragend gestaltete Bildband, der Einblick in den haptisch-visuellen Reichtum gestattet, den nüchterne Zahlen vorenthalten: Unter anderem 22.000 Fotografien, 7.900 Dias, 2.300 Broschüren und 850 Korrespondenzen fanden ihren Weg in Bachsteins Archiv, das architektonisch ursprünglich als eheliches Schlafzimmer konzipiert war.

Bitte schicken Sie mir doch Material

Dieser improvisierte Charakter verweist auf Bachsteins periphere Position: Die weltweiten Modernisierungen des Kinos seit den 1960ern beobachtet der 2011 verstorbene Sparkassenangestellte ohne institutionelle Rückbindung und persönliche Nahverhältnisse von den Rändern der Provinz her. Sammelleidenschaft, reger Korrespondenzwille und Vernetzung machten dieses Manko wett: Die Filme, die ihm der laufende Betrieb vorenthält, holt er auf eigene Faust in die Stadt, mit dem Filmemacher-Ehepaar Danièle Huillet und Jean-Marie Straub hält er freundschaftlichen Kontakt, er holt US-amerikanische Zeitschriften ein, die ihm vom New American Cinema künden, besucht Festivals, dreht eigene kleine Experimentalfilme und landet mitunter selbst vor der Kamera, in United Trash von Christoph Schlingensief etwa. Dazu stets der demütig geäußerte Wunsch: Bitte schicken Sie mir doch Material, sofern Sie welches erübrigen – Magazine, Festivalbroschüren, Plakate, Fotos oder Filmstreifen.

Material. Was heute im Zeitalter gut gefüllter, legaler wie illegaler Digital-Archive kaum mehr vermittelbar ist, wird noch mal aufs Rührendste offenbar: Der einerseits materiell schwergewichtige, andererseits flüchtig-unzugängliche Charakter von Film. Mit ihrem Schwerpunkt des modernen und subversiven Kinos des 20. Jahrhunderts bildet die Sammlung Heimo Bachstein eine gebündelte Rundschau über verstreute Erscheinungsformen der gestalterischen Nachkriegsmoderne – heute würde Bachstein wohl einen Tumblr führen.

Zusätzlichen Charme entwickelt die Sammlung allerdings auch wegen ihrer Handhabe, die der Band dankenswerterweise ebenso dokumentiert: Material will sortiert, organisiert, gebündelt sein – eine Tätigkeit, mit welcher der Sparkassenangestellte schon von Berufs wegen vertraut war. Liebreizend materiell sind eben nicht nur Schreibmaschinen-Korrespondenzen und Filmprogramme aus New York, sondern auch filzige Leitz-Mappen, Foto-Porst-Diakästen, Sparkassen-Hefter und andere ummantelnde Büro-Hilfsmittel, mit denen Bachstein der Archivfülle Herr zu werden versuchte. Die Insignien eines muffig-provinziellen Bürokratismus treffen hier in direkter Tuchfühlung auf den Aufbruch und das Freiheitsversprechen der Moderne – um die ästhetischen Dynamiken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so zu bündeln, musste man vielleicht wirklich vom paradox mittig-peripher in Deutschland gelegenen Marktheidenfeld aus in die Zeit geblickt haben.

Info

Kino-Enthusiasmus. Die Schenkung Heimo Bachstein Volker Pantenburg, Katrin Richter (Hg.), Lucia 2017, 144 S., 30 €

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Geschrieben von

Thomas Groh

lebt in Berlin und schreibt über Filme.

Thomas Groh

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