Kein Video, keine Waschmaschine

Salzburger Festspiele Peter Handke ist mit "Immer noch Sturm" persönlicher, politischer, zugleich verzweifelter als je zuvor. Auch die zweite Uraufführung fesselt bis zum letzten Wort

Man muss Thomas Oberender, dem Schauspielchef der Salzburger und künftigen Intendanten der Berliner Festspiele nicht folgen, wenn er Peter Handke als „Goethe unserer Zeit“ bezeichnet, wie man ihn nicht so recht ernst nehmen kann, wenn er ausgerechnet Thomas Bernhard einen „Dichter der Pausen“ nennt. Fest steht, dass Handke mit seinem neuen Stück Immer noch Sturm persönlicher, politischer und zugleich verzweifelter die Bühne betritt als je zuvor. Er betritt sie tatsächlich: in Gestalt der Figur, die „Ich“ heißt und von Jens Harzer atemberaubend verkörpert wird. Es geht am Beispiel von Handkes Familie um den bewaffneten Widerstand der Kärntner Slowenen gegen die deutsche Fremdherrschaft, dem Österreich aufgrund der Moskauer Erklärung von 1943 nach Kriegsende die staatliche Unabhängigkeit verdankte, wenngleich niemals dankte. Dimiter Gotscheff umhüllt die imaginierten Gespräche mit mehr als vier Stunden lang fallenden grünen und gelben Papierschnitzelblättern, wie Luc Perceval an gleicher Stelle vor vier Jahren – ein Déjà vu – seinen Molière mit Papierschnitzelschnee. Poesie und Politik bilden hier eine Symbiose. Selten hat das, woran ein Dichter leidet, so überzeugend Allgemeingültigkeit erlangt wie in diesem Stück von Peter Handke, der nun schon seit 45 Jahren immer wieder für Überraschungen gut ist.

Die zweite Uraufführung während der Salzburger Festspiele, Die vier Himmelsrichtungen von Roland Schimmelpfennig, trägt unverkennbar die Handschrift ihres Autors und fesselt auf ihre Art nicht weniger als der fast 25 Jahre ältere Handke vom ersten bis zum letzten Wort. Die Rede der frontal zum Publikum sprechenden vier Personen wird nur andeutungsweise durch Gesten illustriert. Der Minimalismus wertet jede Kleinigkeit, jede Bewegung einer Schulter oder eines Arms, jedes Verziehen der Augenbrauen auf. Die Aufmerksamkeit aber gilt dem Wort, genauer: dem gesprochenen Wort.

Und das ist es, was den Geschichten erzählenden Dramatiker Schimmelpfennig von einem echten Epiker unterscheidet. Sein Text kommt erst mit dem Tonfall der Sprecher, mit dem Klang der Stimme, dem lauten Vortrag also zu sich selbst. Deshalb stehen und fallen seine Stücke mit den Schauspielern, und die sind, das sei vorweggenommen, in dieser Inszenierung, in der der Autor selbst Regie führte, von allererster Qualität. Da nähert sich das Sprechtheater der Oper an. Die beste Partitur ist für die Katz, wenn die Sänger nicht singen können.

Noch nicht erschlossenes Niemandsland

Dem Minimalismus des gestischen Aufwands entspricht das Bühnenbild von Johannes Schütz. Sandiger Boden erinnert an eine Baustelle, an noch nicht erschlossenes Niemandsland. Kein Video, keine Waschmaschine, nur vier Menschen (Ulrich Matthes, Kathleen Morgeneyer, Andreas Döhler und Almut Zilcher) auf einer fast leeren Bühne. Bei Peter Brook hieß das „leerer Raum“, bei Jerzy Grotowski „armes Theater“.

Roland Schimmelpfennig wird gelegentlich – nein, nicht mit Goethe, aber mit Botho Strauß verglichen. Aber Schimmelpfennigs Texte entbehren der prätentiösen Vornehmheit, die den Theaterliebling früherer Jahrzehnte auszeichnet. Stofflich sind seine Stücke keineswegs so seicht, wie es bei oberflächlicher Betrachtung scheinen mag. Hinter skurrilen, gelegentlich heiteren Einfällen lauert im aktuellen Stück der Tod. Der Luftballonverkäufer mit der aufgemalten blauen Zunge kann uns darüber ebenso wenig hinwegtäuschen wie es Shakespeares Narren können.

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