Abgas & Affären: Zeit für eine Verkehrswende

Nachtrag zum Dieselgipfel Die deutsche Autoindustrie kann weitaus mehr, als Herrn Weil eine Rede zu schreiben. Es ist Zeit für eine Verkehrswende. Ein Kommentar in Wort und Bild

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Eines müssen wir am Anfang festhalten: Die Autofahrer im Lande sind sich durchaus darüber im Klaren, dass nicht die Händler und Zwischenhändler die Betrüger im Dieselskandal sind. Fest steht allerdings auch, dass ein großangelegter Betrug in der deutschen Autoindustrie schwelen konnte – über Jahre hinweg, bis hin zur Bildung eines firmenübergreifenden Kartells, dem beinah alle Vertreter der Branche angehörten.

Vorne mehr rein = hinten mehr raus

Was viele Autofahrer schon lange ahnten, wenn sie an der Tankstelle den realen Verbrauch mit den Angaben der Hersteller verglichen, wurde inzwischen durch hartnäckige Pressearbeit bestätigt: Die angeblich sparsamen Pkw schlucken in Wirklichkeit mehr als im Fahrzeugbrief steht, was folgerichtig bedeutet, dass auch die Papierwerte für den Ausstoß von giftigen Abgasen und Feinstaub nicht stimmen konnten.

Übrigens: Wer gegen die Presse wettert, weil sie den Skandal öffentlich gemacht hat und am Ball bleibt, dem sei gesagt: Ein Problem wird nicht gelöst, indem man den Boten tötet. Das ist so wenig hilfreich wie ein Software-Update bei unzureichender Hardware.

Eingebetteter Medieninhalt
Karikatur: „Kraftausdrucksbundesamt“; Quelle: www.timoessner.de

Der Dieselgipfel: Offenes Gespräch unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Mit dem Dieselgipfel wurde deutlich: Das angeblich offene Gespräch zwischen allen Beteiligten wurde unter Ausschluss der Betroffenen geführt; Vertreter der Autoindustrie trafen sich mit Spitzenpolitikern zum Tête-à-Tête, während Umweltverbände, Bürgerrechtsvertreter und sogar die Presse ausgeschlossen blieben. Brisant ist dabei, dass zwischen dem Verkehrsministerium und den Aufsichtsräten der Autoindustrie regelrecht eine Drehtür besteht; der ehemalige CDU-Politiker und Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (1993-98), heute Präsident des Verbandes der Autoindustrie (VDA), ist nur ein prominentes Beispiel. So werden aus Kontrolleuren die eifrigsten Fürsprecher der Kontrollierten. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ein Produkt eines deutschen Spitzenunternehmens. Das Produkt ist nicht ganz billig, Sie müssen dafür sparen oder einen Kredit aufnehmen. Für die Zulassung des Produkts sind gewisse Gesetze einzuhalten, darunter bspw. Sicherheitsvorschiften, damit Sie bei Gebrauch des Produkts nicht aus Versehen Ihren Nachbarn töten. Das Produkt muss zudem regelmäßig zur Untersuchung und Wartung, braucht außerdem eine nicht unbedeutende Menge teuren Treibstoffs, es kommen also zu den einmaligen Anschaffungskosten auch noch laufende Kosten. Dann stellt sich heraus: Sie mussten jahrelang zu viel teuren Treibstoff verbrauchen, was langfristig Ihren Nachbarn töten könnte. Stellen Sie sich nun vor, wir sprechen nicht von Ihrem Auto, sondern von Ihrem Laptop oder Smartphone. Würden Sie es ohne Protest hinnehmen und es achselzuckend weiter benutzen, wenn Ihr Handy in Flammen aufginge?

Das Spiel um die Verantwortung

Das Kraftfahrtbundesamt hat ebenso wie das Verkehrsministerium unter Alexander Dobrindt eine äußerst unrühmliche Rolle in der Affäre eingenommen. Ausgerechnet jene Behörde, die jeden Autofahrer beim geringsten Anlass aufs Korn nimmt, ausgerechnet jene Behörde, welche für die Einhaltung der Gesetze zur Verkehrstauglichkeit der Fahrzeuge zuständig ist, ausgerechnet das KBA hat sich schützend vor die Autoindustrie gestellt und ihre Berichte auf Wunsch bis ins letzte Detail zurechtgebogen, statt ihrer Verantwortung gerecht zu werden und die Produkte vom Markt zu nehmen. In einem eindeutigen Betrugsskandal wurden in den Mühlen aus Verkehrsministerium, KBA und Autoindustrie das Verursacherprinzip sowie die Nacherfüllungspflicht verdreht und das Problem dem Endkunden aufgebürdet: „Ihr Handy brennt? Tja, Pech. Hey, damit können Sie jetzt aber nicht mehr telefonieren, Sie sind ja eine Gefahr für Ihre Umgebung!“

Es zeichnet sich ab, was man bereits bei der Energiewende beobachten musste: Der Ausstieg aus der Atomkraft geht einher mit Winkelzügen seitens der Industrie, um sich der Verantwortung ihrer Produktionsmethoden zu entziehen. Was bei der Atomkraft die Rückbau- und Lagerkosten sind, werden beim „Dieselgate“ die langfristigen Folgeschäden für Mensch und Umwelt.

Erschwerend hinzu kommt, dass man Sie mit einem Produkt alleine lässt, das auch durch ein „Software-Update“ nicht gesetzeskonform wird. Indem man die Verantwortung an Sie, den Autobesitzer, abwälzt, entledigt man sich seitens der Industrie und der Politik auch der rechtlichen Verantwortung. Raten Sie mal, wer diese am Ende unverschuldet tragen muss? Raten Sie mal, wessen Euro-4-Norm-Diesel gesperrt wird, wenn die Städte in Sachen Feinstaub ihre Schutzverantwortung gegenüber den Bürgern wahrnehmen, wie es Stuttgart kürzlich getan hat? Raten Sie mal, wer das neue Auto bezahlen muss? Glauben Sie bloß nicht, dass die Politik die Grenzwerte zurücknehmen oder dass die Autoindustrie beim nächsten Modell die Grenzwerte einhalten wird.

Zeit für die Verkehrswende

Es ist dringend und überfällig an der Zeit, dass die deutsche Autoindustrie in den sauren Apfel beißt und sich endlich mit voller Kraft den Zukunftstechnologien zuwendet. Das Elektroauto ist längst keine spinnerte Träumerei mehr, sondern marktfähige Realität. Selbst das vielbeschworene Problem der Akkus ist eine reine Schutzbehauptung der Autoindustrie: Was in U-Booten funktioniert, sollte für ein Auto ausreichend sein; skaliert auf den Automarkt werden sogar Hochleistungsakkus günstiger als ein Satz neuer Reifen. Hersteller wie GM, Toyota und Renault haben schon in den 1990er Jahren bewiesen, dass ein Standard-Pkw mit 300 Kilometern Reichweite ohne Probleme möglich ist. Man darf annehmen, dass es 2017 auch noch so ist. Wer jetzt mit dem Totschlagargument „Arbeitsplätze“ winkt: Das wurde schon eindrucksvoll von der Energiewende widerlegt. Neue Technologien ersetzen alte Arbeitsplätze, doch es entstehen dabei stets viele neue – nicht zuletzt in neuen Zuliefererbetrieben. Bedenken Sie: Allein in Deutschland werden einige Millionen neuer Fahrzeuge in allen Klassen benötigt, um die Euro-1-bis-5-Diesel in den nächsten Jahren zu ersetzen.

Bevor die Autoindustrie bereit ist, sich vom Diesel zu lösen und den Elektromotor ernst zu nehmen, muss sie sich allerdings zunächst auf einen einheitlichen Anschluss einigen. Da die Privatunternehmen kein Interesse an einem offenen Patent haben und daher alle ihr eigenes Süppchen kochen, muss an der Stelle offenbar die Politik ihre Verantwortung wahrnehmen und die Industrie im Zweifel gesetzlich zu einem Standard zwingen. Auch dafür gibt es bereits funktionierende Beispiele, etwa den regulären Euro-Stecker oder den fünfpoligen Starkstrom-Anschluss.

Hier geht es nicht darum, eine Industrie schlechtzumachen – das hat sie schon ganz allein geschafft; der Skandal ist hausgemacht. Hier geht es auch nicht darum, Arbeitsplätze zu vernichten; davon hat keiner etwas und daran hat niemand Interesse. Es geht um die Einhaltung von Gesetzen und darum, sich im Zweifelsfall seiner Verantwortung zu stellen. Es kann nicht Ihre Aufgabe als Kunde sein, die Produkte der Autoindustrie überprüfen zu müssen; genauso wenig ist es Ihre Schuld, wenn man Ihnen ein Produkt verkauft, das nicht den Angaben des Herstellers und den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Außerdem ist es eine Frage des Gleichheitsprinzips: Warum sollten Unternehmen mit Kriminalität und Betrug davonkommen dürfen? Weil das Produktdesign so ansprechend ist?

Wir sind an einem Punkt, an dem die Diesel-Technologie die gesetzlichen Vorgaben nicht mehr erfüllen kann. Eine Technologie, die es bereits kann, steht bereit. Wagen wir den Sprung nach vorn!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Timo Essner

Flensburger Jung, zweisprachig aufgewachsen, dritter Sohn von Literaten.Karikaturist und freier Redakteur in diversen Publikationen on- und offline.

Timo Essner

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